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Freitag, 07. Juli 2017

Liebhabern der Hochkultur sind sie ein Greuel und Anlass zu Spott und Verachtung: Kitsch­romane. Wenn überhaupt, greifen sie nur mit Ekel zu den bunten Büchern mit den melodramatischen Umschlagbildern. Blonde Schönheiten gleiten darauf in die Arme muskulöser und gleichwohl feinfühliger Män­ner, blutrote Sonnenuntergänge und wilde Naturwelten künden von den anstehenden Seelendramen.

Rosamunde Pilcher, Hedwig Courths­-Mahler oder Utta Danella heissen die Könnerinnen des Genres, deren Bücher Auflagenhöhen erzielten, von denen ernsthafte Autorinnen nur träumen können. Dabei ist der Anspruch des Kitschromans durchaus ebenso ernsthaft: Nur geht es ihm nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit der Welt, sondern um Harmonie, Heilung und Versöh­nung. Der Leser von Kitschromanen ist bereit, einen langen und grausamen Weg auf sich zu nehmen, weiss er doch, dass am Ende aller Schmerz vergessen und die Welt auf wundersame Weise wieder im Lot ist.

Eine langwierige und schmerzhafte Reise mit glückli­chem Ausgang ist auch die Geschichte von Christine in Utta Danellas Der blaue Vogel. Traumatisiert vom Eifersuchtsmord an ihrer Mutter verweigert sich die fragile junge Frau der Liebe und wählt die einsame Existenz einer alleinstehenden Gutsbesitzerin. In der weiten Landschaft Schleswig-­Holsteins, in heilendem Kontakt mit Natur und Pferden, findet das zarte Geschöpf ganz langsam wieder Vertrauen ins Leben – und die Liebe. Der kluge und behutsame Journalist Julian ist es schliesslich, der den süssen Kelch stückchenweise öff­nen und die erblühende Rose ans Tageslicht ziehen kann.

600 Seiten Schleswig­-Holstein, 600 Seiten Pferdepsychologie, Landwirtschaftskunde und Ausflüge in die Seele der wortkargen, aber gutherzigen Landbevölke­rung: Das Gefühl der Erhebung am Ende kostet etwas; vielleicht ist das der Grund, warum Leser so süchtig nach Kitschromanen sind. Auf besonders naive Weise repro­duziert der Kitschroman eine Überzeugung, die anders­ wo differenzierter ausgedrückt ist: Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Dem kleinen Betrug an der Realität darf, ja soll man sich ruhig einmal hingeben. Auf die Dauer mag Kitsch gefährlich sein, in dosierter Form gibt es kein besseres Mittel gegen den eigenen Dünkel.