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Freitag, 07. Juli 2017

Ein wohliges Gefühl breitet sich an der Innenseite meiner Schenkel aus. Ich treibe im Fluss und pinkle. 37 Grad körperwarmes Nass vermengt sich mit 18 Grad kühlem Aarewasser. Während sich meine Blase heimlich gehen lässt, betrachte ich drei Jugendliche, die sich an ein Gummikrokodil klammern und an mir vor­beischaukeln. Ich winke ihnen zu, als ob nichts wäre.

Sich inmitten unwissender Badender zu erleichtern hat etwas herrlich Dreistes. Es gelingt mir nie auf Anhieb. Ich brauche einen Moment, um die Hemmungen fallen zu lassen. Da ist ein Widerstand, halb im Unterleib, halb im Kopf. Dabei ist es gerade dieser kleine Tabubruch, der das freie Urinieren zum doppelten Vergnügen macht.

Lange Zeit dachte ich, nur Kleinkinder und ich würden es tun. Glaubt man jedoch der Website badi­info.ch, so ist die heimliche Säuniggelei so etwas wie der Volkssport von Herrn und Frau Schweizer. Neun von zehn Baden­den sollen ihrem Harndrang im Wasser freien Lauf las­sen – sogar in öffentlichen Badeanstalten. Als ich Mario, den Bademeister meiner Berner Lieblingsbadi, darauf anspreche, gibt er sich skeptisch. Er hält diese Dunkel­ziffer für «masslos übertrieben». Die Wasserqualität sei­ner Badi sei einwandfrei, versichert er mir und zeigt auf das Kleinkinderbecken: «Dieses Wasser könnte man trinken.» Vielleicht habe ich Mario mit meiner Frage aber doch etwas ins Grübeln gebracht, denn beim Ab­schied meint er: «Ich habe zumindest noch niemanden pinkeln sehen, wenn er vom Dreimeter gesprungen ist.»

Die Badipinkelei zelebriert wohl niemand öffentlich. Dem Bademeister würde ich sie nie gestehen, denn sie lebt von ihrer Heimlichkeit. De Sade, der unbestrittene Meister der moralischen Überschreitung, forderte in sei­ner Philosophie aus dem Boudoir einst den sexuellen Exzess, um sich von den Fesseln der Gesellschaft zu lösen. Das enthemmte Pinkeln ist so etwas wie die klein­mütige Variante der Befreiung des Unterleibs. Mehr Re­gression als Revolution. Ein Fötus im Mutterleib uriniert stündlich und erzeugt dabei sein eigenes Fruchtwasser. So gesehen ist das Badipinkeln eine kurzfristige Rück­kehr ins vorgeburtliche Paradies, in dem es Innen und Aussen, Ich und Nicht-­Ich noch nicht gab. Eine Zeit vor dem Erlernen körperlicher Kontrolle und moralischer Etiketten. Es bleibt ein privates Vergnügen. Niemand merkt es, niemand sieht es, fort ist fort.