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Autorin: Anna Miller
Freitag, 07. Juli 2017

Das Schöne an dieser Geschichte ist, dass sie so frei ist von Planung und von Vergangenheit, sie passierte einfach in einem Zwischenraum, in einem Moment, den niemand voraussah und den sich auch keiner erklären kann, im nachhinein, wenn er es denn müsste.

Ich war für sechs Wochen in Berlin gestrandet, in dieser viel zu lauten, zu grossen Stadt, mitten im Februar, die Temperaturen lagen bei minus 15 Grad, ich zog mir an diesem Abend einen Haarreif mit Pfauenfeder über den Kopf und ging aus. Wir fuhren mit dem Auto meiner Mit­bewohnerin durch die Strassen Berlins, wir tranken, lach­ten und kamen irgendwo in einem Hinterhof zum Stehen, Party eines alten Studienkollegen, und ich irgendwie da­bei, obwohl ich keinen kannte. Für einen kurzen Moment vergass ich mich, drehte mich auf dieser schummrigen Tanzfläche um die eigene Achse, leicht und selig, Hun­derte Kilometer weit weg von dem Ort, den ich Daheim nannte, ich erwartete nichts und wollte auch niemand Besonderes sein, einfach ein Mädchen mit Feder im Haar, das Zeit hat, sich zu drehen, was ich sonst selten tue.

Und da stand er, an der Bar, er hatte einen schwarzen Hut auf, er hatte grüne Augen und sah zu mir rüber, ich lach­te und stellte mich neben ihn, wir wechselten kein Wort, nur einen Blick, da nahm ich im Rausch der Musik den schwarzen Hut von seinem Kopf und setzte ihn auf mei­nen, er zog mich an sich, und wir küssten uns und dreh­ten uns weiter zur Musik, wir hielten nicht an und nicht inne, es war so, wie es sein muss, wie man es sich immer vorstellt und immer wünscht, aber nie kriegt, solange man es sich ausdenkt. Wir waren verzaubert voneinan­der, ja, das gibt’s, und wir waren es ohne Worte, ohne Floskeln und die ewig gleichen Fragen nach Beruf, Ein­ kommen und sozioökonomischem Status, wir waren, was wir waren, und waren uns darin nah.

Wir haben uns ein paar Wochen getroffen, er redete mor­gens nicht gern und hatte andere Pläne fürs Leben, es hörte anstrengender auf, als es angefangen hatte, weil das Leben sich verdichtet und verkopft. Und das ist das Schö­ne an einem Kuss aus dem Nichts, mit einem Fremden, der einem so nah ist im Moment wie sonst nie jemand, weil man ihn nicht durchdenken, zerreden, entzaubern kann: dass er ehrlich ist, frisch, rein und unmittelbar, dass er nicht gewollt ist, dass er frei ist von Zwang, von Vergangenheit und Zukunft. Und dass er nichts weiter braucht als sich selbst und jemanden wie mich, die sich dreht, obwohl sie das sonst selten tut.