Wenn Sie es noch nicht tun, Trash-TV schauen, so schauderhafte Sendungen wie Germanys Next Topmodel, Dschungelcamp oder Der Bachelor, dann ist Ihnen, nein, wirklich, nicht mehr zu helfen. Welch menschliche Entwicklungen, welch Abgründe, welch Wahrheiten sind Ihnen da entgangen! Ja, natürlich, jeder halbwegs anständige Mensch, der sich tagsüber ab und zu Gedanken zu sich selbst und zum Zustand der Welt macht, hält nun inne und denkt: Was soll das denn? Trash-TV? Ich? Dieser Voyeurismus, diese gesellschaftliche Nacktheit, dieses Primitive, diese sinnlose Überbrückung von Nicht-Zeit?
Ich aber sage Ihnen: Sie wähnen sich in falscher Sicherheit. Sie versuchen, sich von Ihrem ursprünglichen Menschsein, Ihren Trieben, Ihrer Einfältigkeit und Ihrem Drang nach Wut, Trauer, Einsamkeit, Hoffnung und Verrücktheit zu distanzieren. Aber Sie verleugnen sich. Erst, wenn Sie den Fernseher anmachen und sich eingestehen, dass Sie selbst genau die gleichen Gefühle und Regungen in sich tragen wie diese Menschen in diesen Trash-Sendungen, erst dann werden Sie wirklich bei sich ankommen, sich ganz fühlen in Ihrem Menschsein.
Sie werden durch Dschungelcamp zurück zu Ihrem Ekelgefühl finden, zurück zu Ihrer Urangst vor Tod und Verderben. Sie werden zusammen mit den jungen Mädchen von Germanys Next Topmodel leiden und sich daran zurückerinnern, wie es war, den eigenen Selbstwert in etwas Materiellem zu suchen und sich durch Nichtigkeiten bestätigt zu fühlen. Sie werden mit der Bachelorette mitfiebern und sich die ganz grossen Fragen des Lebens stellen, nämlich, ob Sie es wert sind, geliebt zu werden, ob hinter dem Spiel um Reiz und Reaktion so etwas wie Beständigkeit liegen kann und ob sich diese Beständigkeit am Ende doch durchsetzen wird, trotz all der TV-Präsenz, der geskripteten Scheinwelt und der Oberflächlichkeit irgendwelcher Strandküsse im Rampenlicht.
Ja, die groteskesten Sendungen arbeiten am Ende des Tages mit den urtümlichsten Sehnsüchten, Fragen und Gefühlen unserer Zeit, unseres Menschseins, in ihnen spiegelt sich die Wahrheit unserer Gattung. Sie werden dem sowieso nicht ausweichen können, das Leben holt Sie irgendwann ein. Also setzen Sie sich doch lieber geschlagen von dieser Kenntnis vor den Fernseher und schauen Sie dem Niedergang und dem Wiederauferstehen direkt zu, wie es sich, komprimiert auf ein paar Stunden und in all seiner Komplexität, vor Ihnen ausbreitet.
So können Sie mitleiden, mitfühlen und mitzittern, ein bisschen sein wie wir alle, in all Ihrer Demut und Dankbarkeit, dass andere Ihnen den Weg in diese Abgründe ebnen. Und Sie am Ende zum Glück gerade nur Zuschauer sind, und nicht etwa – Gott bewahre! – einer von ihnen.