Streifzüge durch die Duftabteilung eines assortierten Kaufhauses gehören zu meinen heimlichen Leidenschaften. Im künstlichen Licht und unter den scheelen Blicken der Verkäuferinnen versinke ich kurzzeitig im Reich der Sinne. Ohne jegliche Kaufabsicht. Die Parfumverkäuferinnen meiner Stadt kennen mich als Wiederholungstäterin. Beratungsgespräche wehre ich ab, während mein Blick über die Flakons schweift. Encre Noire, L’Orpheline, Un Matin d’Orage, Dans tes bras …
Heute steht mir der Sinn nach Neroli. Ich will den Duft der Bitterorangenblüte auf meiner Haut tragen. Süss, frisch, blumig, aber nicht zu blumig. Herb, würzig, aber nicht zu viel Gras. Kein klassisches Cologne. Wie schon so oft greife ich nach dem türkisfarbenen Quader. Meine Nasenflügel weiten sich erwartungsvoll, als ich den Sprühkopf an die Nase führe. Da ist es. T. S. Eliot am Bassinrand, rotblauweisse Bojenketten, der bittere Geschmack von Chlor, Armzug um Armzug im lavendelblauen Wasser. Unmittelbarer als jeder Gedanke trifft der Geruch in mein Zentrum. Genau so roch der Sommer vor sieben Jahren. Ich schwamm täglich, brachte mir selbst das Crawlen bei und hatte mich verliebt. Die Sonnenlotion, die ich benutzte, roch nach der Blüte der Pomeranze. So riecht meine Sehnsucht.
Ich weiss nicht, wie oft ich schon in dieser Kaufhausecke stand und in Düften versank. Ich mache es meist, wenn ich mich als zu leicht und flüchtig empfinde. Grenouille, der seltsam geruchlose Protagonist in Patrick Süskinds Roman Das Parfum, tötete, um einen Geruch zu haben. Einen Duft zu haben heisst jemand zu sein. Morden würde ich nicht. Aber vielleicht geht es auch mir darum, mich mehr zu spüren. Ich umhülle mich mit der Aura von Weihrauch und Zedern oder der irritierenden Note von Jasmin. Ein Duft nach dem anderen. Eine Explosion von Erinnerungen und Gefühlen zwischen Pulsader und Armbeuge. Rieche ich etwas, dann weiss ich, dass ich lebe. Süskinds Grenouille nannte den Geruch den Bruder des Atems. Meine englische Grossmutter trug stets ein Fläschchen Riechsalz in der Schürzentasche. Wie ich neigte sie zu Ohnmacht. Der Ammoniakgeruch hielt sie bei Bewusstsein. In Grannys Bungalow roch es aber eher nach getoastetem Brot, Baked Beans und Blue Grass, dem Parfum ihrer Wahl. Es ist der Duft meiner Kindheitserinnerungen an die Englandferien.