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Autorin: Noa Zenger
Freitag, 15. September 2017

Ich schreibe es frei heraus: Meine Jugendjahre und das Erwachsenwerden waren geprägt von Schwermut. Denke ich heute zurück an mein damaliges Lebensgefühl, kommt mir ein Vogel mit gestutzten Flügeln in den Sinn. Meine Eltern waren streng – zumindest empfand ich das so. Meine Mutter hatte zudem grosse gesundheitliche Probleme und war aufgrund der Schmerzen oft ungeduldig und gereizt.

Später, in Studienzeiten, litt ich unter starken Gemütsschwankungen. Eine diffuse Trauer beschwerte mich. Mit einem Drang zur Selbstperfektion konnte ich mich aber recht gut über Wasser halten und das Gesicht nach aussen wahren. Dann meldete ich mich für meine ersten Exerzitientage an, viele weitere sollten folgen – an diese Erfahrung aber erinnere ich mich, als wär es gestern gewesen: In aller Härte stiess ich auf die tiefe Trauer in mir.

Ich musste mir eingestehen, dass ich mich in dieser Welt ganz und gar nicht zuhause, ja dass ich mich abgelehnt fühlte. Viele Tränen flossen. Das Hadern mit meiner Geschichte liess mein Gemüt erbeben – ich lehnte meine Herkunftsfamilie ab und machte insbesondere meiner Mutter Vorwürfe. Diese waren laut, allein mit mir in der Stille. In diesem Erbeben stiess ich auch auf Wut Gott gegenüber: Warum hatte er mir nicht ein besseres Los zukommen lassen?

Es war wie ein Pfropfen, der sich unter grossem Druck endlich lösen konnte. Die heftigen Gefühle waren zunächst kaum auszuhalten. Mein Exerzitienbegleiter ermutigte mich, alles zuzulassen, alles zu fühlen und mit meiner ganzen Wahrheit in Gottes Gegenwart zu sein, möglichst ohne mich zu verurteilen oder mich zu schämen dafür. Verletzungen aus meiner Kindheit kamen hoch, durften da sein. Ich erlebte zum ersten Mal eine innere Ahnung davon, angenommen zu sein mit allem.

Nach Jahren der fast völligen Distanziertheit verspürte ich eine Sehnsucht nach meiner Mutter, was ich mir jedoch nur schwer eingestehen konnte.

Nach einer Phase der Anklage trug mein Exerzitienbegleiter sorgfältig auch die Frage der eigenen Schuld an mich heran. Es ging darum, den Tunnelblick zu weiten, um aus der Opferrolle herauszukommen. Nach einigem Widerstand konnte ich allmählich sehen, wie sehr auch ich meine Eltern durch mein Verhalten, meinen Bruch mit ihnen verletzt hatte.

Auch hatte ich die Einsicht, dass meine Mutter oft aufgrund ihrer Schmerzen gereizt und überfordert war – ich konnte ahnen, dass sie wohl gerne mit mehr Liebe da gewesen wäre. Und ich machte eine wichtige Entdeckung: Nach Jahren der fast völligen Distanziertheit verspürte ich eine Sehnsucht nach meiner Mutter, was ich mir jedoch nur schwer eingestehen konnte. Mein Exerzitienbegleiter leitete mich an, in den Meditationen imaginativ meine Mutter neben mich einzuladen.

Anfangs war es mir kaum möglich, Nähe zuzulassen. Ich sollte aber nichts erzwingen, vielmehr immer wieder gut in mich hineinfühlen, wie viel jetzt möglich sei. Mit der Zeit, nach vielen Stunden der Meditation und der Bitte vor Gott um Liebe, konnte ich in meinen Meditationen ihre Nähe langsam ertragen. Ich setzte sie immer wieder ins Licht Gottes. Und eines Tages war ich bereit, meiner Mutter wieder zu begegnen. Wir unternahmen zusammen eine Wanderung.

Früher hatte ich sie so oft mit Vorwürfen belastet – jetzt war mir sehr deutlich bewusst: Es ging nicht darum, sie weiter zu beschuldigen, vielmehr sie für meinen Anteil um Verzeihung zu bitten. Das konnte ich aber nur, weil ich bereit war, mich aus meiner Selbstumkreisung herausrufen zu lassen, über mein Ich hinaus. Ich war bereit zu vergeben. Mir wurde bewusst, dass es nicht half, einer Kindheit nachzutrauern, die hätte anders sein können. Ich musste die «Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit» aufgeben und wollte nicht mehr so beschwert und gebunden in die Zukunft schreiten.

«Leben ist verletzend»

Wie lernt man vergeben? Am besten fängt man bei sich selber an...

September 2017
Susanne Leuenberger
Noëlle Guidon

Die Begegnung mit meiner Mutter kostete mich viel, aber die Wirkung gleicht für mich bis heute einem Wunder. Nach vielen Jahren konnte ich zulassen, dass mich meine Mutter umarmte. Ich brauche zwar immer noch eine gewisse Distanz, aber es wurde spürbar ein neuer Beziehungsgrund gelegt, der auch in allen übrigen Lebensbereichen Veränderung brachte. Eine Last ist abgefallen, Kraft und Vitalität sind mir neu zugeflossen.

* * *

Eine Schlüsselgeschichte zur Versöhnung ist für mich die bekannte biblische Erzählung aus dem Lukasevangelium vom barmherzigen Vater mit den beiden Söhnen (Lk 15,11–32). Sie beschreibt die Barmherzigkeit und Liebe in Gott, die für mich der Kraftquell zu Vergebung und Versöhnung ist: Der jüngere der beiden Söhne lässt sich vom Vater seinen Erbteil auszahlen und reist in die Ferne. Dort lässt er es sich über die Massen wohlergehen. Bald ist sein Vermögen verprasst, und er muss sich als Schweinehirt verdingen. Er hat seinen absoluten Tiefpunkt erreicht, denn durch diese Arbeit gilt er in den Augen der jüdischen Gesellschaft als «unrein» und verliert dadurch Autonomie und Würde.

In der Krise erinnert er sich an seinen Vater und macht sich auf den Heimweg. Der läuft ihm entgegen und veranstaltet ein grosses Freudenfest. Der ältere Sohn wird von Zorn erfüllt, als er dies mitbekommt, und wirft dem Vater Undank und Ungerechtigkeit vor. Er bevorzuge den jüngeren Sohn, obwohl er selbst es doch sei, der ihm all die Jahre treu gedient hätte. Der Vater entgegnet ihm, dass sie doch die ganze Zeit über miteinander waren und alles geteilt hätten und dass die Rückkehr des verloren geglaubten Sohns nun gefeiert werden müsse. Wie der ältere Sohn auf das Werben des Vaters eingeht, lässt die Erzählung offen.

Beide Söhne suchen nach Erfüllung und Liebe, aber beide irren sie in eine falsche Richtung. Beide suchen im Aussen: der jüngere in anderen Welten, im Konsum und Genuss, der ältere durch Arbeit und Leistung. Und beide entfremden sich vom Vater, der in dieser Geschichte Gottes Barmherzigkeit und Liebe verkörpert. Für mich ist Gott die letztlich grenzenlose Liebe, der wir uns verdanken. Wenn wir uns in dieser Liebe beheimaten, wissen wir uns angenommen und bejaht trotz allen Grenzen. Aus diesem Zuhause in uns genährt, können wir geben und vergeben, weil uns selbst gegeben wird.

* * *

Aus meiner eigenen Lebensgeschichte und aus der Erfahrung als Exerzitienbegleiterin scheinen mir drei Stationen auf einem Weg der Versöhnung wesentlich: Fundamental ist eine gute Verwurzelung im nährenden Boden der Gottesliebe. Weiter ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit unserer Gefühlswelt unumgänglich, und es braucht für eine echte Versöhnung den Schritt des Vergebens. Dies führt zu einer alltäglichen Versöhnungskultur als Beitrag zum Frieden – darauf werde ich am Schluss des Kapitels eingehen.

Jeder ignatianische Exerzitienweg beginnt mit der Arbeit am Fundament. Es ist ein Hinspüren zum Ja Gottes, das mich in der Tiefe trägt. Biblische Texte des Zuspruchs, des Segens sind in dieser Phase wegleitend. Erfahrungen, die Vertrauen, Geborgenheit, Liebe, Hoffnung und Mut vermittelt haben, werden aufgespürt. Im Gebet ist die Dankbarkeit eine zentrale Ausdrucksform. Es geht darum, Blick und Empfindung dafür zu entwickeln, dass ich als Mensch bejaht und in meiner Tiefe getragen bin. Dies entspricht der Botschaft von Jesus, wie ich sie verstehe und wie sie den Exerzitien nach Ignatius von Loyola zugrunde liegt.

Wer sich der göttlichen Liebe aussetzt, kommt auch mit Anteilen in sich in Kontakt, die nach Heilung verlangen. Es sind Wunden, die uns durch andere zugefügt wurden, oder solche, für die niemand direkt verantwortlich gemacht werden kann: Unfälle, Krankheiten, Kinderlosigkeit etwa. Ebenso trägt die Seele Wunden, wenn ein Mensch in leidvolle Strukturen verstrickt ist, soziale Not leidet, wenn man selbst Fehler begangen hat und sich und andere verletzt hat.

Hier sind wir mitten im Thema der Versöhnung. Wir brauchen Versöhnung, wo andere uns verletzt haben und wo wir andere verletzt haben. Und wir brauchen Versöhnung mit unserer Geschichte an den Punkten, wo das Leben andere Wege als die sehnsüchtig erhofften eingeschlagen hat oder wo wir vielleicht durch eigenes Verschulden gescheitert sind.

* * *

Wenn eine Wunde aufbricht, ermutige ich die von mir begleiteten Menschen, wirklich jedes Gefühl, jede Erinnerung zuzulassen. Und ich stehe an ihrer Seite, hoffend und an die heilende Liebe Gottes glaubend. Das bedeutet vor allem mitaushalten: Alles, was aufbricht, darf sein. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich mich damals zunächst geschämt habe für mein Weinen, meine heftigen Äusserungen über meine Mutter, über Gott und mich selbst. Die Erfahrung, dass ich alles vor meinem geistlichen Begleiter aussprechen durfte, ohne belehrt, ermahnt oder gar abgelehnt zu werden, war bereits heilsam. Er war für mich ein lebendiges Zeichen der Liebe Gottes.

Der Kontakt mit dem Schmerz und den eigenen Gefühlen ist für einen Versöhnungsprozess wesentlich. Diesen Punkt möchte ich mit Nachdruck betonen. Wenn wir fühlende Menschen werden, können wir viel zum Frieden in unserem Umfeld beitragen! Dies habe ich schon so oft beobachtet und selber erfahren. Wenn ich mich selbst verstehen lerne und mit mir empathisch bin, kann ich auch andere Menschen mit ihren Kanten, ihrer Verletzlichkeit und ihren Abgründen besser verstehen und mit ihnen fühlen.

Ich helfe den Menschen also, in Exerzitien ihre Gefühle wahrzunehmen. Oft braucht es Zeit und Geduld, bis sich ein Gefühl deutlich zeigt. Der weitere Schritt: Gefühle benennen und versuchen, sie zu verstehen. Meistens werden die einen Gemütsregungen als positiv, andere als negativ bewertet. Für einen heilsamen Prozess gilt es, empathisch mit sich zu sein und nichts abzulehnen, also die Gefühle in ihrer Vielfalt als positive Kraft anzunehmen. Denn nur, was angenommen wird, kann integriert und gelöst werden. Bei allen Schritten ist es zentral, sich mit allem im Gebet der liebenden Gegenwart Gottes anzuvertrauen.

* * *

Bevor ich auf meine Mutter zugehen konnte, musste ich bereit sein, ihr zu vergeben. Wer vergibt, gibt etwas her, und zwar aus freier Entscheidung. Es geht darum, die «Bürde der Nichtvergebung», des Nachtragens abzugeben, wie dies Konrad Strauss trefflich formuliert hat. Diese Bürde bestand in meiner Mutterbeziehung aus Groll, Schmerz, Bitterkeit. Diese Gefühle zeigten die Wunde, sie waren als Reaktion auf die Verletzungen nachvollziehbar.

Diese Last hat mir das Leben schwergemacht. Und die Vergebung war der Weg, um frei zu werden davon. Denn solange ich jemandem etwas nachtrage, gehe ich nicht meinen Weg. Was geschehen ist, ist geschehen – es ging nicht darum, alles gutzuheissen. Trotzdem sollten Wut und Schmerz nicht länger bestimmend sein. Sie konnten durch die Vergebung in Mitgefühl, Verständnis und vielleicht sogar in Liebe gewandelt werden.

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Zum Schritt der Vergebung haben mir zwei Einsichten geholfen: zum einen die Bereitschaft, meinen eigenen Anteil der Schuld anzuschauen, und zum anderen die Offenheit, meine Mutter in einem neuen Licht zu sehen. Offenheit und neue Sicht konnte ich nicht selbst bewirken. In meinem Erleben war es die verwandelnde Kraft des Heiligen Geistes, die mich dazu befähigte. Dennoch war von mir auch eine Entscheidung verlangt, nämlich meinen Blick vom Opfersein abwenden zu wollen.

Ich möchte an dieser Stelle betonen: Es gibt Leiderfahrungen, bei denen es nicht darum gehen kann, eigene Schuld zu suchen! Da bin ich als geistliche Begleiterin gefordert, genau zu unterscheiden. Doch an einem Schritt der Vergebung kann trotzdem gearbeitet werden. Indem versucht wird, das Vergangene als Teil der eigenen Geschichte anzunehmen und nicht mehr auf eine bessere Vergangenheit zu hoffen. Auch da gilt es etwas herzugeben. Gott kann nur dort wandeln, wo ich auch bereit bin dazu. Ich ermutige dazu, im Gebet um diese Bereitschaft echt und aufrichtig zu bitten.

Wichtig erscheint mir auch: Vergeben kann man, ohne dass die Person, die einen verletzt hat, einbezogen wird. Ich durfte bereits oft Zeugin davon sein. Für eine Versöhnung hingegen braucht es auch vom Gegenüber eine Einsicht. Versöhnung ist auch deshalb ein anspruchsvoller Schritt, weil mindestens zwei Personen daran beteiligt sind.

Bei Beziehungsbrüchen ist es nun aber oft so, dass die eine Person bereit ist zur Aufarbeitung, die andere jedoch nicht. Das ist sehr schwierig auszuhalten. Als geistliche Begleiterin versuche ich dennoch, eine Vergebung zu unterstützen, damit die Person, die zur Aufarbeitung bereit ist, in eine neue Freiheit hineinfinden kann.

Oft sind Schuldzuweisungen nicht eindeutig möglich. Wenn ich mich als Täterin erkenne, kann ich mich entschuldigen für mein Verhalten. Allerdings muss ich es aushalten, wenn vom Gegenüber diese Entschuldigung nicht angenommen wird. Bei traumatischen Verletzungen kann es zum Schutz des Opfers auch wichtig sein, auf eine Konfrontation mit dem Täter oder der Täterin zu verzichten.

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In meinem Fall habe ich kraft des Heiligen Geistes meiner Mutter vergeben und sie um Verzeihung gebeten für die Verletzungen, die ich ihr zugefügt hatte. Es war nicht möglich, dass meine Mutter ihre Schuld aufarbeiten konnte. Auch dies gehörte für mich zur Vergebung: zu sehen, dass sie nicht dieselben Möglichkeiten der Reflexion hat wie ich. Von Herzen zu Herzen hat es aber sehr wohl eine Versöhnung gegeben.

Die Vergebung ist also ein Akt der Freiheit. Sie hat mit meiner Entscheidung zu tun, frei werden zu wollen von einer Last. Ich muss bereit sein, diese Bürde, also Emotionen und Anschuldigungen freizugeben, nicht mehr daran anzuhaften. Und ich muss bereit sein zu einer neuen Sicht der Dinge. Ob Versöhnung möglich ist, hängt dann auch vom Gegenüber ab. Versöhnung ist ein zwischenmenschliches Geschehen. Von beiden Seiten braucht es den Wunsch, aufeinander zuzugehen, und den Wunsch, die Beziehung zukünftig auf einer neuen Ebene weiterzuführen. Damit Versöhnung gelingen kann, braucht es von beiden Seiten her den Entschluss, weiter auf Vorwürfe und Anklagen zu verzichten.

* * *

Die Erfahrung aus der Exerzitienarbeit zeigt, dass es eine Reflexion über die eigene Biografie braucht, um zu einer Kultur der Vergebung und Versöhnung im Alltag zu finden. Ein wesentlicher Teil ist oft Vergebung, allenfalls Versöhnung mit den Eltern. Die Einsicht hilft, dass leben an sich verletzt, dass also überall, wo Menschen zusammenleben, Verletzungen geschehen, auch durch mich. Es braucht, um weiterzukommen, eine nüchterne Sicht auf das Leben, wie es ist.

Vergebung ist kein analytisches Geschehen im Kopf, sondern ein emotionales Geschehen, das mitten durchs Herz geht.

Wichtig ist, Vergeben und Versöhnen nicht als Ersatz für echte Auseinandersetzung zu sehen. In gewalttätigen Beziehungen braucht es vorerst nicht Vergebungsarbeit, sondern Konfrontation, und oft ist die Trennung ein notwendiger Schritt. Vielleicht ist erst Jahre später Versöhnungsarbeit möglich.

Versöhnen verstehe ich als ein kreatives Geschehen, das sich in Beziehungen jeden Tag neu artikulieren muss. Dies geschieht in einer vitalen Beziehung meist, ohne bewusst über Vergebung und Versöhnung nachzudenken.

Den Schlüssel dazu sehe ich in Empathie. Sie ist überhaupt die Grundlage für Friedensarbeit im eigenen Umfeld. Denn Vergebung ist kein analytisches Geschehen im Kopf, sondern ein emotionales Geschehen, das mitten durchs Herz geht. Eine langjährige Beziehung lebt nur, wenn zwei Menschen empathisch miteinander sind und einander stets wieder grosszügig entgegenkommen. Und um empathisch sein zu können, braucht es eine tiefgründige Auseinandersetzung mit sich selbst.

Persönlich kann ich mir schlecht vorstellen, wie ich ohne das Gebet die Kraft zum stetigen Dranbleiben, zum grosszügigen Vergeben im Zusammenleben finden könnte. Im Gebet – oft ein schlichtes Stillsein in der Gegenwart Gottes – verbinde ich mich bewusst mit meinem Urgrund und empfange Stärkung in meiner inneren Mitte. So verwurzelt brauche ich meinen Halt weniger im Aussen zu suchen – andere sind nicht für mein Glück zuständig. Kränkungen sind so weniger absolut, denn Wert und Würde sind mir von Gott her gegeben. Vergeben wird möglich, weil mir selbst gegeben wird.

Dieser Text ist ein Vorabdruck aus dem Buch «Kann ich damit leben? Prominente über Konflikt und Versöhnung» von Achim Kuhn (Hg.). TVZ, Zürich 2017; 322 Seiten; 29.80 Franken.