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Freitag, 11. Juni 2021

Ein Freitagabend Ende Mai, eine Woche nach der Waffenruhe zwischen der Hamas im Gazastreifen und der israelischen Armee. In einer Synagoge in Tel Aviv haben sich Menschen zum Schabbatgottesdienst versammelt, rund vierzig Frauen und Männer. In losem Rund sitzen sie auf Stühlen, Sesseln und Sofas. Die Synagoge gehört zur konservativen, nicht-orthodoxen Strömung des Judentums, das keine Geschlechtertrennung verlangt.

Junge und alte Menschen sind gekommen, ein paar Kinder, mehrere homosexuelle Paare, eine buntgemischte Gruppe. Und doch sticht ein Mann heraus. Er sitzt in der ersten Reihe, ein hochgewachsener, älterer Herr mit schwarzem Hemd und weissem Kollar. Mit geradem Rücken und ernstem Blick lauscht er dem hebräischen Gebet.

Der Besucher heisst Vater Samuel Fanous. Er ist aus Ramla gekommen, einer jüdisch-arabischen Kleinstadt im Zentrum Israels, wo er als Pastor in einer anglikanischen Kirche dient. Ramla gehört zu jenen Städten, in denen wenige Tage zuvor jüdische und arabische Extremisten aufeinander losgingen. Auf viele Israeli wirkten diese Szenen verstörender noch als die Raketen­angriffe der Hamas, schliesslich waren es Bürger desselben Landes, die hier einander bekämpften.

Zwei Männer kamen dabei ums Leben, ein Jude, ein Araber. Seit der zweiten Intifada hat das Land keinen derartigen Gewaltausbruch zwischen den beiden Volksgruppen erlebt. Den Schock, die Wut, das Misstrauen zu überwinden könnte Jahre dauern. Falls es überhaupt gelingen kann. Vater Samuel glaubt, es kann. Deshalb ist er an diesem Abend in die Synagoge gekommen, auf Einladung des jungen Rabbiners, Ariel Pollack. «Come as you are», lautet das Motto der Gemeinde, «Komm, wie du bist», es steht draussen vor der Tür auf einem Plakat.

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Und so ist Vater Samuel Fanous gekommen, ein Christ mit weissem Kollar und arabischem Akzent. Der Rabbiner spricht über den Bibelabschnitt dieser Woche, sagt dann ein paar Worte zur politischen Lage, plädiert für Frieden und Akzeptanz der anderen, der Fremden. Dann bittet er Samuel Fanous nach vorn. An diesem Abend ist der Pastor der Fremde. Fanous greift nach dem Mikrofon und beginnt zu erzählen. Gut zwei Wochen ist es her, dass jüdische Jugendliche vor dem Haus seiner Schwester auftauchten, gegen die Tür hämmerten und Steine warfen. Die Angreifer, sagt er, hätten Kippa getragen. «Aber soll ich deshalb jeden mit Kippa hassen?» Er blickt in die Runde. Die Gemeinde schweigt. «Natürlich nicht», sagt er. «Auch ihr tragt Kippa.»

Das ist seine Botschaft in diesen Tagen, in denen das Land seine Wunden leckt: Ihr sollt nicht hassen. Ihr sollt nicht von einem auf alle schliessen, sondern den Menschen unter der Kippa, unter dem Kopftuch sehen. Es ist eine Botschaft, die fast trivial klingt in ihrer Schlichtheit. Und doch ist sie an manchen Orten Israels in diesen Tagen schwer zu vermitteln.

Begonnen hatte die jüngste Eskalation Mitte April in Jerusalem, mit dem Einsetzen des islamischen Fastenmonats Ramadan. Israelische Polizisten sperrten einen unter Palästinensern beliebten Platz ab, worauf es zu wütenden Protesten kam. Im Zuge der Ausschreitungen drangen Sicherheitskräfte in die Al-Aqsa-Moschee ein, das drittwichtigste Heiligtum des Islams. Die Terrororganisation Hamas begann, Raketen aus Gaza auf israelische Städte zu feuern, Israels Luftwaffe flog Gegenangriffe. Und innerhalb des Landes gingen arabische Bürger in Protest gegen Israels Vorgehen auf die Strasse.

Die arabische Minderheit macht ein Fünftel der Bevölkerung aus, viele von ihnen identifizieren sich mit den Palästinensern. Mancherorts eskalierten die Proteste in Gewaltorgien. Arabische und jüdische Randalierer warfen Fenster ein, schmissen Steine auf Autos und attackierten Passanten. Synagogen brannten, ein muslimischer Friedhof wurde beschädigt. Über Tage hinweg entglitt der Polizei die Kontrolle.

Inzwischen herrscht Waffenstillstand: zwischen Israel und der Hamas, zwischen Juden und Arabern im israelischen Kernland. Doch viele sind geschockt von dem Ausmass der Wut, die sich auf israelischen Strassen Bahn brach. Und die christliche Gemeinde findet sich in einer besonders sensiblen Lage wieder.

«Werden wir als Araber bedroht, dann stehen wir zusammen. Leidet aber ein Jude, dann halte ich zu ihm.» Pfarrer Samuel Fanous

Rund 180 000 Christen leben in Israel, knapp zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die meisten gehörten der arabischen Minderheit an. Im Gegensatz zu den arabischen Muslimen gelten die Christen als gut integriert in die jüdische Mehrheitsgesellschaft. Viele bekleiden hohe Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft, einer von ihnen dient derzeit als Richter am Obersten Gericht. Zugleich ist ihre Position als religiöse Minderheit innerhalb der arabischen Minderheit auch in Friedenszeiten kompliziert. Auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit schlagen sie unterschiedliche Wege ein, die manche von ihnen zu ideologischen Gegnern machen. Und der jüngste Gewaltausbruch droht die Gräben zu vertiefen.

Ein Besuch in Ramla, der Heimatstadt Vater Samuels. 7600 Menschen leben hier, rund drei Viertel von ihnen sind jüdisch, die übrigen arabisch, 4000 davon christlichen Glaubens. Die Stadt hat einen dürftigen Ruf, gilt als vernachlässigt und drogenverseucht. Geduckte Flachbauten mit brüchiger Fassade stehen neben hellen, modernen Wohntürmen. Die Strassen sind staubig, vielen fehlt der Bürgersteig.

In einer kleinen Gasse nahe der Altstadt steht das Open House, eine Begegnungsstätte für Juden, Christen und Muslime. Im gekühlten Inneren des Gebäudes sitzt Vivian Rabia. Sie ist 54 Jahre alt, trägt ein schlichtes schwarzes Sommerkleid und die Haare offen. Seit über zwanzig Jahren leitet sie Programme im Open House, Gesprächskreise von jüdischen und arabischen Frauen etwa und kulturelle Initiativen. Sie stammt aus einer griechisch-orthodox-christlichen Familie, ihre Eltern, Mitglieder der arabisch-kommunistischen Partei Hadash (Neu), gingen jedoch nur an Feiertagen in die Kirche. Sich selbst beschreibt sie als Atheistin.

«Wenn mich früher jemand fragte, ob ich Muslimin oder Christin sei, bin ich sehr wütend geworden», erzählt sie. «Ich bin Palästinenserin! Ich hatte das Gefühl, die Frage spaltet uns in ‹gute› Christen und ‹böse› Muslime.» Inzwischen lebt sie in Frieden mit ihrem christlichen Erbe. «Ich schätze sehr, was Jesus getan hat», sagt sie. «Er hat revoltiert gegen die Institutionen, er hat die einfachen Menschen beschützt und Hierarchien gebrochen. Ich sehe ihn als ersten Palästinenser, der eine Revolution begonnen hat.»

Vivian Rabias Vater zählt zu den rund tausend palästinensischen Arabern, die nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 in Ramla blieben und nicht vor israelischen Soldaten in die Nachbarländer flohen. «Nakba», Katastrophe, nennen Araber die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser aus dem heutigen israelischen Kernland in arabische Nachbarstaaten. Wie viele von ihnen von Soldaten aus ihren Häusern gejagt wurden und wie viele aus Angst flohen, ist unter Historikern umstritten. Dass es die Fluchtbewegung gab, ist es nicht.

Die Staatsbürgerin als Sicherheitsrisiko

Die jüngste Gewaltwelle, erzählt Vivian Rabia, hätte in ihrem Umkreis die Angst vor einer neuen Nakba geweckt. Auch sie selbst bekam die Gewalt zu spüren: Unbekannte schlugen die Fenster ihres Autos ein, und ihre jüdischen Nachbarn sprach lautstark auf dem Balkon davon, Araber verstünden nur Gewalt. «Ich hatte Angst, aus dem Haus zu gehen, Angst vor Vertreibung», erzählt sie. «Das ist ein kollektives palästinensisches Trauma.» Spricht sie von dem Land, in dem sie lebt, sagt sie nur: «dieser Staat». Das Wort Israel kommt ihr während des Gesprächs nicht über die Lippen.

«Der Staat, in dem ich lebe, gründet auf Rassismus und der Vorstellung, dass es kein palästinensisches Volk gibt.» Vivian Rabia

«Es gibt hier einen Staat, der auf Rassismus und Diskriminierung gegründet wurde und auf der Vorstellung, dass es kein palästinensisches Volk gibt», klagt sie. Zum Beleg verweist sie das 2018 beschlossene Nationalstaatsgesetz, das unter anderem festlegt, nur Juden hätten im Staat Israel das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Während Verteidiger des Gesetzes darin lediglich die Bestätigung der Realität sehen, empfinden Palästinenser es als Leugnung ihrer nationalen Identität, ihrer Wurzeln und ihres Rechts auf staatliche Unabhängigkeit.

Ansonsten sind jüdische und arabische Bürger innerhalb Israels formal gleichgestellt, davon abgesehen, dass Christen und Muslime vom Wehrdienst befreit sind. Viele klagen jedoch über Diskriminierung im Alltag. «Ich trage mehr zu meiner Gesellschaft bei als viele andere», sagt Vivian Rabia. «Trotzdem gelte ich am Flughafen als Sicherheitsrisiko.»

Trotz allem hat sie Hoffnung auf eine hellere Zukunft, die die vergangenen Wochen sogar neu belebt haben. «Bei all dem Schmerz und all der Angst habe ich auch eine palästinensische Vitalität gespürt», sagt sie. An einem Tag Mitte Mai hatten palästinensische Araber über die Landesgrenzen hinweg gestreikt. «Das gab uns ein Gefühl, dass wir alle zusammenstehen. In der palästinensischen Gesellschaft gibt es viele Brüche, aber wir müssen das Gemeinsame finden, um voranzukommen.»

Vivian Rabias Traum von palästinensischer Einigkeit ist genau das, was Shadi Khalloul verhindern will. Auch Shadi Khalloul ist Christ. Er ist 45 Jahre alt, Vater zweier Söhne und lebt in Jish, einem Dorf weit im Norden Israels. Jish hat gut 3000 Einwohner, ein Drittel davon sind Muslime, die übrigen Christen. Die meisten, auch Khalloul, gehören der maronitisch-katholischen Kirche an, deren Liturgiesprache das Aramäische ist.

2014 setzte Khalloul durch, dass der Staat die aramäischen Christen als eigene Volksgruppe anerkennt. Üblicherweise werden arabischsprachige Christen im Innenministerium als Araber geführt. Nun aber können maronitische Christen die Eintragung als «Aramäer» beantragen. Es ist einer der grössten Erfolge Khallouls, seine christliche Gemeinde von den arabischen Muslimen abzugrenzen – und von dem palästinensischen Kampf.

Der Schritt stiess in der arabischen Minderheit auf heftigen Widerstand. Neunzehn arabische Nichtregierungsorganisationen veröffentlichen eine Protestnote, in der es hiess, das neue Gesetz sei «ein gefährlicher Versuch des Staates, die arabische Identität der Palästinenser in Israel zu verzerren». Es ist genau diese Zuschreibung von Identität, gegen die Shadi Khalloul sich wehrt. «Wir sind keine Araber», sagt er im Zoom-Gespräch. «Ich habe mich immer schon als Israeli gefühlt. Ich bin stolz, Zionist zu sein.» Wegen solcher Sätze ist er auch unter Christen umstritten.

Doch Khalloul ist überzeugt, dass sein Weg der einzige ist, der seiner Gemeinde Sicherheit und Wohlstand garantiert. «Unsere Grundprinzipien lauten: Wir sind israelische Bürger, wir sind loyal zum Staat und sind bereit, unseren Beitrag zu leisten.» Er selbst meldete sich als junger Mann freiwillig zum Wehrdienst in der israelischen Armee, arbeitete sich hoch bis zum Rang eines Hauptmanns. Heute wirbt er in seiner Gemeinde für den Dienst. Ausserdem ist er Mitglied in der rechten Partei Israel Beitenu, dessen Vorsitzender Avigdor Lieberman schon einmal verpflichtende Loyalitätsbekenntnisse für arabische Bürger forderte.

Khalloul trat mehrfach für die Partei zu Parlamentswahlen an, zuletzt auf Listenplatz elf, verpasste jedoch den Einzug in die Knesset, nachdem die Partei nur sieben Mandate erhalten hatte. Khalloul pflegt einen engen Draht auch zu hochrangigen Vertretern anderer Parteien. Den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, unter vielen arabischen Bürgern verhasst, hat er mehrmals getroffen. Im März, kurz vor der jüngsten Wahl, besuchte Netanjahu Khalloul und seine Gemeinde in Jish.

Shadi Khalloul sagt, die Gleichberechtigung, die pro-palästinensische Aktivisten so vehement einfordern, gebe es in Israel längst. Wer studiere, hart arbeite und zur Armee gehe, der könne hier alles erreichen. Und während viele arabische Bürger den jüdischen Charakter des Staates als diskriminierend empfinden, sieht Khalloul darin den Garanten seiner Freiheit. «Solange der Staat eine grosse jüdische Mehrheit hat, haben wir eine Garantie, dass er ein demokratischer Staat bleibt», meint er. «Je stärker der Staat arabisch-muslimisch wird, desto mehr wird er sein wie alle anderen arabischen Staaten. Davor haben die Christen Angst.»

Zwischen Hammer und Amboss

Wie viele seiner Glaubensbrüder und -schwestern wie er denken, ist schwer zu sagen. Unter Christen gilt seine Haltung als Minderheitenposition, manche rollen die Augen, wenn sie nur seinen Namen hören. Khalloul selbst glaubt wiederum, die meisten stünden insgeheim auf seiner Seite. «Sie müssen ein wenig Solidarität mit der muslimischen Sache zeigen, um sich vor Angriffen zu schützen», sagt er. «Aber in ihrer Seele sind sie nicht dabei.»

«Ich habe mich immer als Israeli gefühlt und bin stolz, Zionist zu sein.» Shadi Khalloul

Ihrer Staatstreue zum Trotz gerieten während der jüngsten Gewaltwelle jedoch auch Khalloul und seine Mitstreiter zwischen alle Fronten. «Auf Hebräisch sagen wir: zwischen Hammer und Amboss», sagt er. Muslimische Randalierer hätten Steine auf das Auto seines Bruders geworfen, nachdem sie sein Kreuz in der Windschutzscheibe hätten hängen sehen. «Es waren muslimische Gangs, die Lynchattacken auf Juden begonnen haben», sagt er. «Und als die Juden zurückschlugen, haben sie nicht differenziert zwischen Muslimen und Christen.»

Auch Khallouls Vorfahren wurden 1948 von israelischen Soldaten aus ihrem Dorf vertrieben. Kfar Birem hiess es, seine Ruinen stehen noch, nicht weit von Jish entfernt. Khalloul träumt davon, das Dorf wieder aufzubauen, eines Tages. Dafür spricht er mit Politikern, schreibt Artikel, betreibt Lobbyarbeit. Auch er kämpft für seine Vision. Doch anders als manche seiner Glaubensbrüder glaubt er, sie nicht im Widerstand gegen den israelischen Staat erfüllen zu können, sondern durch möglichst grosse Nähe zu ihm.

Shadi Khalloul in Jish und Vivian Rabia in Ramla stehen an entgegengesetzten Enden eines ideologischen Spektrums. Beide kämpfen einen Kampf, mit unterschiedlichen Zielen und unterschiedlichen Mitteln. Es ist alles andere als ein einfacher Kampf, ausser vielleicht in einer Hinsicht: Beide haben ein klares Weltbild und ein klares Ziel.

Mittler des Friedens

Vielleicht ist es am kompliziertesten, in der Mitte des Spektrums zu stehen, im Graubereich der Nuancen und Widersprüche. Das ist das gedankliche Reich des Pastors Samuel Fanous. Anders als Vivian Rabia und Shadi Khalloul hat der 68jährige Geistliche keine klare Antwort auf die Frage nach seiner Identität. «Sie wechselt ständig», sagt er. «Unter den Christen gibt es auch Stereotype gegen Muslime, aber wenn wir als Ethnie bedroht werden, stehen wir alle zusammen. Derzeit ist der arabische Teil meiner Identität stärker. Aber», fügt er hinzu, «wenn Araber uns schaden, identifiziere ich mich mit den Israeli.»

An einem schwülen Maimorgen sitzt Samuel Fanous in einem Anbau seiner Kirche in Ramla und spricht über die vergangenen Wochen. Auch ihn haben die Geschehnisse spürbar mitgenommen. «Zum ersten Mal hatte ich wirklich Angst um meine Familie», sagt er. «Ich hatte keinen Moment der Ruhe.» Er berichtet von jüdischen Extremisten, die von ausserhalb in die Stadt gekommen seien, um wahllos arabische Einwohner anzugreifen.

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Geschichten dieser Art hört man in diesen Tagen viele. Doch im Gegensatz zu anderen Menschen auf beiden Seiten des Konflikts, deren Worte von Angst und Wut getrieben sind, bildet der Pastor seine Sätze mit Bedacht. «Jesus war Jude», sagt er. «Wenn ein Jude leidet, dann stehen wir auch an seiner Seite.»

Er hofft auf eine Zwei-Staaten-Lösung, auf einen palästinensischen Staat an der Seite Israels. Doch er selbst zählt sich nicht zu den Palästinensern und würde in ihrem Staat nicht leben wollen. Er schätzt den Lebensstandard in Israel, das Bildungssystem, die Gesundheitsversorgung. Zugleich klagt er über Benachteiligung arabischer Bürger, etwa bei der Vergabe von Baugenehmigungen.

Auch das Verhalten vieler Staatsvertreter während der jüngsten Ausschreitungen ärgert ihn. Manche Politiker hatten einzig die Gewalt der Araber verurteilt. Nachdem Israels Polizeichef sagte, seine Beamten würden «das Recht gegenüber allen Terroristen auf beiden Seiten durchsetzen», griff ihn Amir Ohana, Minister für innere Sicherheit, dafür öffentlich an. «Es gibt und gab keine Symmetrie», rügte er. Die ehemalige Justizministerin Ayelet Shaked sagte während eines Besuchs in Lod: «Heute haben die jüdischen Nachbarn Angst vor den arabischen Nachbarn.» Von der Angst der arabischen Nachbarn sagte sie nichts.

«Ich will kein Araber mehr sein, ich bin Aramäer.»: Shadi Khalloul überblickt sein Land, das auch durch ihn weiter gespalten wird.

«Ich will dazugehören, und ich strenge mich an dafür», beschreibt Fanous die Haltung vieler Christen. «Aber man drängt mich an den Rand.» Er wirbt für Integration, hält es jedoch für verfrüht, arabische Christen in die Armee einzuziehen, schliesslich haben viele von ihnen familiäre Bande in den palästinensischen Gebieten. Dennoch haben sich zwei seiner drei Kinder aus eigenem Antrieb dafür entschieden, Nationaldienst zu leisten, eine Art zivile Alternative zum Wehrdienst, die manche arabischen Bürger als Eintrittskarte in die jüdische Mehrheitsgesellschaft betrachten. Sein jüngerer Sohn diente bei der Feuerwehr, seine Tochter bei der Polizei. «Bei denen, die die arabischen Demonstrationen stoppen», sagt Samuel Fanous und lacht. Das Dilemma der Christen bildet sich in seiner eigenen Familie ab.

Er selbst hat sich geändert mit der Zeit. Als junger Pastor diente er im Westjordanland. Dort verlangten manche Palästinenser von ihm, sich im Gottesdienst gegen die israelische Besatzung auszusprechen. «Am Anfang habe ich das getan», erzählt er. «Doch dann sagte eine Nonne aus der Schweiz zu mir: ‹Vielleicht gibt es Leute, die deine Predigt hören und das dann mit nach draussen tragen? Dabei sollten sie doch andere Menschen nicht hassen.› Da habe ich damit aufgehört. Denn ich stimme dem zu. Wir Geistlichen müssen zum Frieden aufrufen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.»