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Freitag, 11. November 2022

Die Strasse, die in diese Bündner Sackgasse führt, heisst Kirchgasse. Vorbei am Werk des Baumaterialien-Herstellers Holcim fährt der Bus in den beschaulichen 2300-Seelen-Ort Untervaz, das ­einzige Dorf zwischen Chur und Landquart, das komplett auf der linken Seite des Rheins liegt. Dahinter türmt sich die Zweitausender-Bergkette Calanda auf. Der Bus hält direkt vor der reformierten Kirche, der Chauffeur setzt sich für die Pause auf die Kirchenmauer. Endhaltestelle.

Désirée Bergauer öffnet die Tür zum Pfarrhaus. Es ist halb neun, um sieben hat sie ihre anderthalbjährige Tochter zur ­Tagesmutter gebracht, ab halb acht mit Oberstufenschülerinnen ein Gespräch über Erfolg und Misserfolg geführt. «Heute hat einer der Jungen gefragt, ob Gott ein Mann ist», erzählt sie, als sie sich fürs Fotoshooting schnell einen Mantel überwirft. «Ich sagte ihm, dass in der deutschen Sprache alles ein Pronomen braucht. Aber dass es auch eine Bibelstelle gibt, wo Gott eine Gebärmutter hat.»

So sagt Johannes über Jesus: «Niemand hat Gott je ge­sehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoss ist, der hat es verkündigt.» Dabei sei das griechische Wort «kolpos» aus dem Originaltext erst durch Übersetzungen männlich ­geworden. Im Original bedeute es eben: Gebärmutter.

Bergauer öffnet die Kirche, legt ihren Mantel auf eine Kirchbank, putzt ihre Brille, um für das Bild zu posieren. Sie wirkt scheu, die Schultern hängen leicht, ihr karierter Rock erinnert an eine Schuluniform, zusammen mit dem kindlich illustrierten Touristenshirt aus Taiwan wirkt das fast mädchenhaft. Als ob sie ihr ohnehin jugendliches Äusseres noch akzentuieren wollte.

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