

Markus Raetz (1941–2020), «Crossing (YES/NO)», Bern, 2002, Eisenguss, 161 × 41 × 30 cm (mit Sockel).
YES. Ein Schritt zur Seite. NO. Ein Schritt zurück. YES. Und plötzlich ist da beides. YES und NO. Verblüffend. Eine Skulptur, die sich nicht festlegen lässt. Drei gusseiserne Lettern auf einem Sockel formen das Wort YES, doch sobald ich mich bewege, wird daraus ein NO. Ein Dialog beginnt – Ja oder Nein? Beides? Weder noch? – und pendelt zwischen den Möglichkeiten.
Es ist eine wundersame Metamorphose, magisch, und zugleich ganz real. Nur mein Blick ist es, der alles ändert. Die Plastik «YES – NO» von Markus Raetz ist eine Einladung zum Zusammenspiel. Ich bleibe nicht ausserhalb als Betrachterin, sondern werde Teil des Kunstwerks. Mit meiner Wahrnehmung, meinem Blick, meiner Bewegung gestalte ich es mit.
Raetz erforschte in seiner Kunst, wie wir sehen, was wir sehen. Und wie das Gesehene sich durch unsere Anschauung verwandelt. Indem etwa eine aus Eisendraht gezeichnete Silhouette einen Mann darstellt, der zur Frau wird, wenn man die Skulptur umwandert.
Oder im Zwischenraum zwischen zwei rotierenden Zylindern eine tanzende Figur erscheint. Oder sich ein Hase im Spiegel als Mann mit Hut zeigt. Staunend erleben wir bei Raetz, dass Wahrnehmung nicht nur ein passives Empfangen, sondern im Gegenteil ein aktives Tun ist.
Die Frage: Ist dies die einzige Art, die Dinge zu sehen?, die Markus Raetz sich zeitlebens stellte, begleitet auch mich. Denn unser Sehen ist begrenzt, gelenkt von Erfahrungen und Erwartungen, vom Wunsch nach Eindeutigkeit.
Stets suchen wir Bestätigung für das, was wir zu wissen glauben. Wie schaffen wir es, uns darauf zu besinnen, dass wir nur sehen, was wir zu erkennen vermögen? «YES – NO», «Madame et Monsieur» oder «Hasenspiegel» locken uns spielerisch aus der bequemen Zone des Erwarteten, indem sie die Neugier wecken und uns überraschen.
In heiterer Leichtigkeit führen sie vor Augen, dass unsere Realität sich mit jeder kleinen Verlagerung unseres Standpunkts verändert. Dass es nicht nur eine Wahrheit gibt, sondern viele mögliche Perspektiven. «Nichts ist eindeutig, alles hat auch eine andere Seite», so der Titel einer Raetz-Ausstellung.
Markus Raetz’ Werke sind poetische (und gerne würde ich meinen: auch politische) Anstösse. Sie erinnern uns daran, dass der Blick der anderen unser eigenes Sehen bereichert.
YES und NO sind nie gleichzeitig sichtbar. Doch das Staunen darüber, dass beides im selben Augenblick sein kann, verändert alles. Vielleicht ist genau das die Kunst: nicht an einer einzigen Perspektive festzuhalten, sondern in Bewegung zu bleiben. Dem Staunen zu erlauben, die Welt zu erweitern.