«Sie tigern mit dem heissen Atem des Ressentiments durch die Talkshows, wo sie vor einem Millionenpublikum erklären, dass sie mundtot gemacht werden.» Der Satz stammt aus der Einleitung des neuen Buches von Carolin Amringer und Oliver Nachtwey. Die Autorinnen meinen damit Menschen, die derzeit für Freiheitsrechte kämpfen, die gar nicht bedroht sind – oder zumindest nichts mit jenen Grundrechten zu tun haben, die seinerzeit in der Aufklärung blutig erstritten werden mussten.
Statt um Freiheit geht es diesen Menschen um Privilegien, die eine vielfältige und gleichberechtigte Gesellschaft nicht mehr duldet: etwa sexistische, rassistische oder diskriminierende Sprüche zu machen. Amringer und Nachtwey dazu: «Verteidigt wird weniger die Freiheit, sondern die eigene Freiheit, auch weiterhin den Raum des Sagbaren festzulegen.»
Damit könnte alles gesagt sein. Doch «Gekränkte Freiheit» will mehr als die argumentativen Widersprüche von Corona-Rebellen und alternativen Intellektuellen aufdecken, die gegen eine imaginäre Diktatur demonstrieren oder Sprechverbote beklagen. Das Buch gibt diesen Menschen ein Profil und verortet sie in der heutigen Zeit. Dafür haben Amringer und Nachtwey 60 Interviews mit Vertretern der Querdenker-Szene sowie aktivistischen AfD-Anhängerinnen geführt.
Ihr wichtigstes Fazit: Diese Menschen eint ein Hang zu einer neuen Form des Autoritarismus. Dieser Befund ist überraschend, da es sich um Personen handelt, die sich gerade nicht mit Führerfiguren identifizieren, sondern sich gegen Autoritäten auflehnen – den Staat, die «Mächtigen», die «Elite». Ansonsten jedoch teilen sie viele Charakteristika von Autoritären: Sie werten andere Positionen aggressiv ab, unterstellen ihren Gegnern böse Absichten und geheime Pläne und richten ihren Zorn auf unterlegene Gruppen wie Frauen, Transgender-Menschen oder Migrantinnen.
Ein neuer Autoritarismus ausgerechnet im Namen der Freiheit. Wie verlogen das ist, sezieren die Autorinnen gekonnt. «Der libertär-autoritäre Protest richtet sich gegen die spätmoderne Gesellschaft, rebelliert aber im Namen ihrer zentralen Werte: Selbstbestimmung und Souveränität.» Und: «Auch diejenigen, die Demokratie und Freiheit subversiv zersetzen wollen, tun dies im Namen von Demokratie und Freiheit.»
Interessant auch: Viele der Befragten engagierten sich für den Frieden, die Umwelt oder für Vielfalt, ehe sie eine radikale innere Wende vollzogen. Auslöser war häufig ein plötzliches Ereignis. Durch die einschränkenden Massnahmen während der Corona-Pandemie etwa war Selbstoptimierung – das Credo unserer Zeit – plötzlich nicht mehr möglich. Kurzarbeit oder die Schliessung von Fitnessstudios oder Nachtklubs verhinderten dies. Als Mittel, sich trotzdem herauszuheben, dienten alternative Ansichten und Meinungen. «Die Erwachten hoben sich von den Schlafschafen ab – ein Mittel also, sich wieder zu besondern.»
Als Ursache der neuen autoritären Bewegung identifizieren Amringer und Nachtwey ein uneingelöstes Versprechen unserer spätmodernen Gesellschaft. Dem Kapitalismus hafte ein «Kult des Erfolgs» an. Längst nicht alle hätten allerdings die Möglichkeit, sich stets selbst zu verbessern, zu entfalten und zu verwirklichen. Aus diesem Grund fühlten viele eine Ohnmacht, eine «gekränkte Freiheit». Darauf reagierten manche mit Wut, Neid, Groll und Ressentiments.
Das liest sich überzeugend, wenn auch etwas umständlich. Manche «Rebellen» dürften nicht alleine wegen verhinderter Selbstverwirklichung, sondern wegen ganz realer Probleme auf die Strasse gehen – Jobverlust oder politische Exklusion zum Beispiel. Auch bleibt im Dunkeln, wer das Gefühl der «gekränkten Freiheit» politisch bewirtschaftet und wie diesem entgegnet werden kann. Am Ende fordern die Autoren vage eine «Demokratisierung der Demokratie und Wirtschaft». Das passt so gar nicht zu ihrem ansonsten erfrischend undiplomatischen Stil.
Carolin Amringer, Oliver Nachtwey: «Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus». Suhrkamp, Berlin 2022; 478 Seiten; ca. 33 Franken.