Der ehrliche Klappentextbref+

«Berta» von Béatrice Gysin

Berta wurde als Kind fremdplatziert. Ihr Leben war geprägt von härtester Arbeit und Einsamkeit, aber später auch von einer liebevollen Beziehung zu ihren Enkelkindern. Die Bieler Künstlerin Béatrice Gysin hat das Schicksal ihrer Grossmutter in einem besonderen Buch nachgezeichnet.
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Autor: Fabio Peter
Freitag, 06. Oktober 2023

Berta» beginnt mit den schönen Erinnerungen. Die längsten Apfelhautschlangen der Welt, die Suche nach dem Bären am Sternenhimmel, die gemeinsamen Spielabende. Erst dann folgt ein erster Hinweis darauf, dass nicht alles schön war.

Berta kam 1884 als viertes Kind einer armen Bauernfamilie im Kanton Aargau auf die Welt. Bei der Geburt des fünften Kindes starben sowohl ihre Mutter als auch das Neugeborene. Der Vater kam daraufhin kaum mehr über die Runden und wurde depressiv. Die Behörden schritten ein. Berta und ihre Geschwister wurden dem Vater weggenommen, getrennt und fremdplatziert. «Verdingkinder waren sie nun», heisst es im Buch von Béatrice Gysin. Was folgte, war ein Leben voller Entbehrungen und 16-Stunden-Arbeitstagen. «Oft sass Berta allein in der Küche. Oft blieb der Hunger.» Zur Schule durfte Berta nur teilweise gehen, eine Ausbildung blieb ihr verwehrt.

Berta war eines von Zehntausenden Kindern in der Schweiz, die im 19. und 20. Jahrhundert von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen waren. Zunächst richteten sich diese vorwiegend gegen arme Familien, später gegen solche, die den gesellschaftlichen Normen nicht entsprachen. «Das gefährdete Kind galt auch immer als gefährlich», wird in «Berta» treffend festgehalten. Fremdplatzierte Kinder mussten häufig auf Bauernhöfen oder in Erziehungsanstalten arbeiten, wurden misshandelt und manchmal sogar versteigert – alles, um sie auf den «rechten Weg» zu bringen. Die Praxis dauerte bis 1980.

Später war Berta eine von Zehntausenden Frauen, die ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen verdienen mussten. Auch da galten harte Arbeitsbedingungen. Dienstmädchen arbeiteten meist sieben Tage in der Woche, meistens von früh bis spät. Sie lebten bei ihren Arbeitgebern und waren ihnen ausgeliefert.

Und schliesslich war Berta eine von Zehntausenden Schweizerinnen, die ausgebürgert wurden, weil sie einen Ausländer geheiratet hatten. Ihr deutscher Ehemann musste zudem im Ersten Weltkrieg kämpfen. Als Nicht-Schweizerin hatte sie keinen Anspruch auf Unterstützung durch die Behörden. Erst ab 1952 erhielten die Frauen in der Schweiz die Möglichkeit, ihre Staatsbürgerschaft nach der Heirat zu behalten.

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