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Autorin: Antje Schrupp
Illustration: Jannis Pätzold
Freitag, 12. August 2022

«Ich bin faul und liege dazu», steht auf einer Postkarte, die seit vielen Jahren an meinen Kühlschrank gepinnt ist. Sie stammt von einer befreundeten Künstlerin, Verena Lettmayer, und der Ort ist ironisch gewählt: Wenn ich am Herd stehe und koche – und das ist die Gelegenheit, bei der mir die Karte regelmässig ins Auge fällt –, bin ich ja gerade nicht faul.

Bis vor kurzem habe ich die Aussage als Witz verstanden, als kleinen augenzwinkernden Impuls, auch mal eine Pause einzulegen von der alltäglichen Tretmühle, sich von Betriebsamkeit und Hektik nicht unterkriegen zu lassen. In letzter Zeit mehren sich jedoch die Hinweise, dass das Bekenntnis zur Faulheit viel mehr sein könnte.

«Faulheit ist die umweltverträglichste Daseinsform», stand neulich in einer Pressemitteilung der Evangelischen Akademie Tutzing. Darin mahnt die Nachhaltigkeitsforscherin der Wirtschaftsuniversität Wien Maja Hoffmann: «Arbeit ist klimaschädlich. Menschen, werdet fauler!» Maximal sechs Stunden pro Woche dürfe ein Mensch arbeiten, um innerhalb des verbleibenden CO2-Budgets zu bleiben. Die britische Tages­zeitung «The Guardian» sieht es ähnlich. Sie hat schon vor Wochen getitelt: «Ökonomisches Wachstum zerstört den Planeten». Und die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichte kürzlich eine Grafik, die im Detail vorrechnet, wie viel CO2 verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten verursachen – verbunden mit dem Appell, sie doch womöglich lieber sein zu lassen.

Protestantische Arbeitsmoral

Ist Faulsein also nicht nur ein kleiner, persönlicher Widerstand gegen die Überforderung, sondern eine politische Tugend? Das zu glauben fällt zunächst schwer. «Ohne Fleiss kein Preis», «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen», «Müssigkeit ist aller Laster Anfang» – das ist es, was mir von klein auf eingebleut wurde. In der Schule lernten wir Schillers «Lied von der Glocke»: Männer müssen «wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, wetten und wagen», und die «züchtige Hausfrau», die «… ruhet nimmer». Die Politiker meiner Jugend warnten unermüdlich vor Gefahren wie dem «Frei­zeitpark Deutschland» (Helmut Kohl) oder «spätrömischer Dekadenz» (Guido Westerwelle).

Doch einleuchtend ist die Idee, dass Nichtstun die moralisch bessere Option sein könnte, durchaus. Energieverbrauch etwa zerstört ja nicht nur das Klima, sondern macht uns von Autokraten und ihren Lieferketten abhängig. Auch für die ­Menschenrechte wäre es also besser, wir blieben einfach liegen.

Wie aber gelingt die geistig-moralische Umprogrammierung? Dazu müssen wir dem Drang zum permanenten Tä­tigsein auf den Grund gehen. Der deutsche Soziologe Max Weber hat in seinem 1904 erschienenen Buch «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» die These aufgestellt, dass die Reformation dazu Massgebliches beigesteuert habe. Erst durch die «protestantische Arbeitsmoral» mit Tugenden wie Fleiss, Verzicht und Sparsamkeit wären Überschüsse, Investitionen und Wachstum möglich geworden, also Kapitalismus.

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