Pandemie, Kriege, Teuerung: Gefühlt sind wir seit Jahren im Krisenmodus. Bei manchen löst das Angst aus. Wie geht es Ihnen als freischaffender Künstler?
Ich spüre, dass viele in meinem Umfeld belastet sind. Ich selbst bin es auch. Aktuell treibt mich eine finanzielle Angst um. Vier Jahre lang habe ich an meinem zweiten Buch gearbeitet. Auf die Abgabe hin war der Druck sehr gross. In den vergangenen zehn Monaten konnte ich an keinen anderen Aufträgen arbeiten und habe somit nichts verdient. Hinzu kam eine private Krise. Eine langjährige Beziehung ging zu Ende, fast gleichzeitig verschwand unsere Katze. Ich verlor meine «kleine Familie». Glücklicherweise ist meine Angststörung dennoch nicht aufgeflammt.
Seit wann haben Sie diese?
Schon in meiner Kindheit hatte ich Angst. Ich fürchtete mich davor, im Schwimmbad vom Fünf-Meter-Turm zu springen. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich Angst vor der Dunkelheit hatte. Konflikte machten mir Angst.
Das klingt per se nicht ungewöhnlich.
Das stimmt, diese universellen Ängste kennen viele. Angst ist etwas Natürliches und ein Selbstschutz, sie hat durchaus ihr Gutes. Ich hatte aber ganz konkret Angst davor, dass mein Körper versagt und dass ich krank bin. Das äusserte sich unter anderem in Bauchschmerzen.

Nando von Arb hat den Kampf gegen seine Angststörung in einem Buch aufgearbeitet.
Woher kommt diese Angst?
Meine Mutter war alleinerziehend. Meine zwei Schwestern und ich bedeuteten ihr alles. Sie hat sich sehr um uns gesorgt. Diese Sorge hat sie mir in Form von Angst weitergegeben. Heute weiss ich, dass es sich bei meinen Ängsten nicht nur um gewöhnliche Kindheitsängste handelte, sondern dass diese ein pathologisches Problem waren. In der Pubertät traten dann erstmals Angststörungen in Form von Panikattacken auf.
Erinnern Sie sich daran, wo und wie Sie diese erlebten?
Ich sass in einem Restaurant und wollte etwas essen. Plötzlich schnürte sich mein Hals zu. Ich hatte kalte Hände und Füsse und gleichzeitig Schweissausbrüche. Mein Herz raste. Mir wurde schwindlig und schlecht und ich wusste nicht, warum. Ich dachte, ich werde krank. Ich habe mich dann auf der Toilette eingeschlossen. Nach einiger Zeit ging es mir besser. Es war wie eine Welle, die mich mitgerissen und dann wieder losgelassen hat. Ich habe lange mit niemandem darüber gesprochen, weil ich Angst hatte, als schwach zu gelten.

In Ihrem Buch schildern Sie, wie Sie sich als Jugendlicher einer Lehrerin anvertrauten. «Ich wusste es noch nicht, aber es war wohl meine erste Therapiestunde», schreiben Sie.
Vor einer Klassenreise sagte ich, ich könne nicht mitkommen, ich hätte Flugangst. Das war nur ein Bruchteil der Wahrheit. Die Lehrerin lud mich zu sich nach Hause ein und redete mit mir darüber. Ihr Mann war Therapeut und so verschaffte sie mir ein Beruhigungsmittel. Dieses half mir, an der Reise teilzunehmen. Es hat jedoch mein Empfinden gedämpft und ich habe deswegen kaum Erinnerungen an die Reise. Ich weiss aber noch, dass sich meine Freunde um mich kümmerten und mich ablenkten. Niemand hat mich ausgelacht.
Wie ging es danach weiter?
Jahrelang habe ich Situationen gemieden, von denen ich wusste, dort könnte ich eine Panikattacke haben. Heute helfen mir Tabletten akut in Ausnahmezuständen. Sie lassen mich körperlich ruhiger werden, aber auch im Kopf wissen, ich habe eine Möglichkeit, die Angst einzudämmen. Ich nehme sie präventiv sehr selten, zum Beispiel vor Flugreisen. Als ich volljährig wurde, habe ich meine erste Therapie begonnen.
Nando von Arb ist in Zürich geboren und aufgewachsen. Der 31jährige hat an der Hochschule Luzern einen Bachelor in Illustration erworben und in Gent, Belgien, den Master in freier Kunst mit Schwerpunkt Illustration abgeschlossen. 2019 publizierte er mit «Drei Väter» sein Erstlingswerk, ebenfalls eine Graphic Novel, in dem er seine Familiengeschichte erzählt. Dafür erhielt von Arb den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2020.
Wie kam es dazu?
Der Auslöser war die Einberufung zum Militärdienst. Ich wusste, die Rekrutenschule packe ich nicht. In meinem Kopf spann ich wilde Szenarien, die sehr starke Ängste auslösten. Also ging ich zu einer Therapeutin. Sie sollte mir bescheinigen, dass ich keinen Dienst machen kann. Davon habe ich allerdings niemandem etwas gesagt. Irgendwann wunderte ich mich, dass ich nie Rechnungen erhielt. Meine Mutter hatte die Sitzungen monatelang gezahlt, ohne dass wir darüber gesprochen hätten. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Nach den Therapien ging es mir deutlich besser. Ich hätte allerdings früher über meine Ängste sprechen sollen.
Sie seien zu Ihren Therapeutinnen nicht immer ehrlich gewesen, steht im Buch.
Ich habe nie gelogen. Aber ich habe Dinge verschwiegen, um mich selbst zu schützen und nicht ausgelacht oder blossgestellt zu werden. Eine Zeitlang habe ich versucht, mich abzulenken. Ich spielte Videospiele oder zeichnete. Auch heute noch flüchte ich manchmal in andere Welten.
Wie haben Sie Ihre Angststörung bewältigt?
Ich lernte, die Ängste zu akzeptieren und mit ihnen zu leben. Dazu gehört auch, mich immer wieder von der Angst schlucken zu lassen und sie auszuhalten, bis sie sich auflöst. Mir hat es auch geholfen, mich selbst nicht ganz ernst zu nehmen. Mit der Zeit konnte ich mir sagen: «Du hast eine Panikattacke, na und?» Ich habe eine gewisse Toleranz entwickelt und gelernt: Sobald die Angst nichts mehr hat, mit dem sie dich bedrohen kann, löst sie sich auf. Dazu gibt es ein von mir abgeändertes Zitat: «Die Angst klopft an die Tür. Die Akzeptanz öffnet – und es ist niemand da.»
Politik und auch Religion schüren Ängste bewusst. Ist Angst ein Geschäftsmodell?
Angst lässt sich einsetzen, um Menschen zu manipulieren. Das Spiel mit der Angst, das auch Medien betreiben, probiere ich nicht mitzumachen. Ich versuche, Medien bewusst zu konsumieren und die Informationen zu abstrahieren. Meine eigenen Ängste haben mich lange genug beschäftigt und eingeschränkt.
Inwiefern?
Ich habe Besuche im Kino oder im Museum gemieden. Ich machte kaum Reisen. Ich fühlte mich im Unterricht oft unwohl und hatte Panikattacken während der Arbeit. Ich besuchte keine Restaurants mehr. Die Angst führte dazu, dass ich mich isolierte.
Beeinträchtigt Sie Ihre Angststörung im Alltag?
Mein soziales Leben ist praktisch uneingeschränkt möglich. Ich stehe zu meiner Angst – auch weil ich weiss, ich bin bei weitem nicht der Einzige mit einer Angststörung. Die gesellschaftliche Akzeptanz wird immer grösser und die Erkrankung ist toleriert. Aber psychosomatisch ist es schwierig. Ich fühle mich oft unwohl, habe häufig Bauchschmerzen oder andere Symptome, mit denen ich mich dann zu stark auseinandersetze. Ich muss lernen, nicht in den Strudel zu geraten, der dazu führt, dass ich bei jedem Ziehen in der Brust davon überzeugt bin, einen Herzinfarkt zu erleiden.

Sie haben eine Szene gezeichnet, in der Sie nachts genau deswegen die Sanität rufen.
Ich lag neben meiner Freundin im Bett. Sie schlief, ich jedoch konnte nicht einschlafen, weil ich das Ziehen spürte. Dann wurde mein Arm taub, meine Beine lahmten. Der Atem ging schneller. Ich steigerte mich in die Empfindungen hinein und hatte einen «full flash», sprich eine ausgereifte Panikattacke. Mein Herz raste, ich war nicht mehr zu beruhigen. Ich fiel mental komplett auseinander. Ich dachte: «Jetzt sterbe ich». Ich traute mich zunächst nicht, meine Freundin zu wecken. Dann alarmierte ich die Sanität.
Das klingt furchtbar.
Von jenem Moment an, in dem ich wusste, Hilfe naht, ging es mir besser. Die Sanitäter waren sehr schnell da. Sie fragten, ob ich schon einmal eine Panikattacke gehabt hätte, redeten beruhigend auf mich ein und schlossen mich an ein EKG an. Ich hatte dann ein schlechtes Gewissen, weil ich die Zeit des Gesundheitspersonals brauchte, die jemandem fehlte, der sie vielleicht nötiger gehabt hätte. Die Sanitäter waren aber sehr verständnisvoll und versicherten mir, meine Sorge sei unbegründet. Mittlerweile treten solche Panikattacken kaum mehr auf.

Was hilft Ihnen, stabil zu bleiben?
Es sind einfache Ratschläge. Ich versuche, gesund zu essen und viel zu schlafen. Ich gestalte meinen Arbeitsrhythmus, wie er für mich stimmig ist. Meistens arbeite ich von 10 bis 19 Uhr, und das an vier Tagen pro Woche. Zudem hilft mir Kraftsport. Meinen Körper und meine Beine zu spüren hält mich am Boden. Ich fühle mich dadurch geerdet und sicher.
Ihr Buch trägt den Titel «Fürchten lernen». Wie ist das gemeint?
Bereits als Kind wird uns beigebracht, vor gewissen Dingen Angst zu haben. So wie wir lernen zu vertrauen oder zu lieben, müssen wir auch lernen, mit Angst umzugehen. Gewissen gelingt das besser. Ich musste fürchten lernen, und das sollten wir alle. Wir können die Furcht bezwingen und sie ein Teil unseres Lebens sein lassen.
Buchhinweis: Nando von Arb: «Fürchten lernen». Edition Moderne, Zürich 2023; 428 Seiten, 46 Franken.