
Simon Enzler, 46 Jahre, Komiker
Angst kenne ich als Komiker nur zu gut. Sie kommt jedesmal dann, wenn ich an neuen Nummern arbeite. Ich zweifle an mir selbst und an meinen Fähigkeiten, ein Programm auf die Beine zu stellen, das beim Publikum gut ankommt. Dann liege ich im Halbschlaf da und ich spüre mein Herz heftig klopfen. Früher habe ich vieles ausprobiert, um herunterzukommen. Ich habe Beruhigungstee getrunken oder natürliche Präparate geschluckt. Nichts half.
Konkret habe ich Angst davor, dass ich auf der Bühne mein Gesicht verliere, weil meine Pointen nicht fruchten. Diese Urangst des öffentlichen Scheiterns ist wohl in uns allen drin. Man könnte meinen, dass mit zunehmendem Alter und mehr Erfahrung die Angst und die Zweifel weniger werden würden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Früher stieg ich als junger Komiker mit dem Motto auf die Bühne: Nach mir die Sintflut! Heute überlege ich hundert Mal, ob das Programm richtig, lustig und relevant ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass mehr auf dem Spiel steht als früher. Heute ist Komiker-Sein mein Beruf, den ich sehr gerne ausübe.
Deshalb bin ich umso glücklicher, einen Umgang mit der Angst gefunden zu haben. Ich fand nämlich heraus, dass sie einen Zweck erfüllt. Die Angst gehört zu meinem kreativen Prozess. Sie sorgt dafür, dass ich fokussiert bin und mein Bestes gebe. Natürlich muss ich aufpassen, dass sie mich nicht lähmt und auch nicht in eine Perfektionsspirale treibt. Irgendwann ist genug «rumgetäschelt» und das Programm muss raus vors Publikum. Dieser Sprung ins kalte Wasser bleibt keinem Komiker, keiner Komikerin erspart. Die Gefahr, dabei zu scheitern, gehört dazu. Wenn man Qualität im Programm haben möchte, dann muss man sich auf die Äste hinauswagen. Natürlich könnte ich einen ganzen Abend lang Appenzeller-Witze machen. Das ist keine Kunst, sondern Übungssache. Aber ich will Themen erzählen, die ich für relevant halte und die hoffentlich auch für das Publikum relevant sind. Dafür muss ich mich der Angst stellen.
Im Umgang damit halte ich es für das Wichtigste, zu erkennen, was in meiner Kontrolle ist und was nicht. Wie das Publikum reagiert, liegt zum Beispiel ausserhalb. Wie ich aber meine Pointen gestalte, kann ich beeinflussen. Hier kann ich mein Bestes geben. Nur schon diese Unterscheidung machen zu können ist in meinen Augen das Wichtigste, um mit der Angst gut leben zu können.
Aufgezeichnet von Andreas Bättig

Klara Obermüller, 82 Jahre, Publizistin
Mich vor dem Tod zu fürchten fällt mir schwer. Ich hatte schon immer Probleme, Angst vor etwas zu haben, das ich nicht kenne. Im Laufe meines Lebens habe ich mich das eine oder andere Mal in gefährliche Situationen begeben, weil ich die möglichen Konsequenzen meines Verhaltens nicht abzuschätzen vermochte. Die Angst kam immer erst dann, wenn es wirklich brenzlig wurde.
Zum Glück bin ich mit einem soliden Grundvertrauen ausgestattet, das mir immer wieder sagt: «Das Leben meint es gut mit dir. Es wird dir schon nichts Schlimmes passieren.» Es ist eine nicht näher zu erklärende Gewissheit, die ich schon immer in mir trug: als Kind, und auch jetzt, da ich 82 Jahre alt geworden und in die letzte Phase meines Lebens eingetreten bin. Ich hoffe, dass dieses Grundvertrauen mich auch in der Stunde meines Todes nicht verlassen wird.
Als junge Frau hatte ich das Gefühl, ich stünde einem Meer von Zeit gegenüber. Das andere Ufer schien damals so weit entfernt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, es jemals zu erreichen. Wenn ich am Abend ins Bett ging und auf den Schlaf wartete, war ich mir sicher, dass ich am Morgen wieder erwachen würde.
Meine Sicht auf das Lebensende veränderte sich, als ich 39 Jahre alt war. Mein damaliger Ehemann, der Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann, erkrankte an Krebs. Von einem Tag auf den anderen brachen sämtliche Gewissheiten unseres Lebens weg. Von der Diagnose bis zum Tod dauerte es ziemlich genau ein Jahr. Gestorben ist mein Mann zuhause. Ich erlebte den Sterbeprozess als etwas sehr Organisches und auch Friedliches.
Erst durch die Erkrankung meines Mannes wurde mir klar, dass ich die eigene Sterblichkeit verdrängt hatte. Erst mit seinem Tod überkam mich die unwiderrufliche Einsicht in die Endlichkeit des Daseins. Indem ich meinen Mann in seinem Sterben begleitete und dabei erleben durfte, wie natürlich es sich vollzog, verlor ich etwas von der Angst vor dem Tod. Es war wie eine Offenbarung, die meine Sicht auf das Leben und den Tod bis heute prägt.
Ich bin zur Einsicht gelangt, dass der Umgang mit Sterbenden die Lebenden verändert und ihnen dereinst beim eigenen Sterben helfen kann. Vielleicht werden auch mir diese Erfahrungen in der Stunde meines Todes die Angst nehmen. Ich weiss auf jeden Fall, dass sie mir ermöglicht haben, mich mit ihm vertraut zu machen. Sie zeigten mir, wie ich sterben möchte. Ob es so kommt, wie ich es mir wünsche, weiss ich nicht.
Aber ich weiss, dass ich auch bei einer schweren Krankheit dem Tod nicht vorgreifen will, sondern das Sterben möglichst bewusst erleben möchte. Ich will nicht auf einer Intensivstation landen und zugedröhnt an Maschinen angeschlossen sein, sondern mein Leben nach Möglichkeit mit palliativer Betreuung zu Ende leben. Zusammen mit meinem Mann habe ich während der Pandemie eine sogenannte ärztliche Notverordnung aufgesetzt, die festhält, dass wir im Ernstfall auf Reanimation und künstliche Beatmung verzichten. Als ich meine Unterschrift unter das Dokument gesetzt hatte, war mir zunächst etwas mulmig zumute. Danach aber überkam mich ein Gefühl grosser Ruhe und Gelassenheit. Die Angst war weg, obwohl draussen das Virus umging und man nicht wusste, wie gefährlich es für uns Ältere sein würde.
Aufgezeichnet von Tom Kroll

Patrick Fassbind, 47 Jahre, Jurist
Mein Job besteht aus lauter sozialen Krisen. Als Leiter der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Basel-Stadt muss ich beurteilen, wer selbst- oder fremdgefährdet ist. Situationen einzuschätzen und Ereignisse einzuordnen raubt mir nach so vielen Jahren nicht mehr den Schlaf. Ich muss damit umgehen können und vertraue darauf, dank meinem Fachwissen, meiner Erfahrung und gestützt auf seriöse Beurteilungen Risiken abzuwägen. Sind Kinder gefährdet oder sind Menschen psychisch schwerstkrank, berührt mich das jedesmal. Gleichzeitig muss ich einen professionellen Zugang haben und darf diese Geschehnisse nicht zu nahe an mich heranlassen, sonst könnte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben.
Wie ich das schaffe? Ich bin ein «Ablenkungstyp». Bei mir muss immer etwas los sein, ich reisse ständig neue Projekte an. Es fällt mir leichter abzuschalten, wenn etwas läuft. Zusammen mit meiner Frau habe ich ein Buch herausgegeben zum Thema «Kinderrechte», ich engagiere mich ehrenamtlich in verschiedenen Vereinen und präsidiere unter anderem eine Ehemaligenorganisation einer juristischen Fakultät. Ich lese viel, gehe mit unserem Hund spazieren, verbringe Zeit mit meiner Frau und unseren Kindern. Auf der faulen Haut liegen ist nicht mein Ding. Je mehr läuft, desto besser. Es hilft mir, eine gewisse Normalität zu leben. Gerade weil ich beruflich mit zerrütteten Familien zu tun habe, brauche ich privat meine heile Welt. Ich bin dankbar für das, was wir haben, im Bewusstsein, dass dieses Glück vergänglich ist und sich Konstellationen rasch ändern können. Ich bin nicht naiv. Ich kenne Leute, denen ging es so gut wie mir, und innert kürzester Zeit sind sie abgestürzt.
Darüber hinaus habe ich mir eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Ich schaue mir zum Beispiel bewusst keine Bilder aus dem Ukraine-Krieg an. Das belastet mich zu sehr. Als junger Mensch habe ich den Irak-Krieg auf CNN mitverfolgt. Damals war das abstrakt und technisch, heute sind Bilder in den sozialen Netzwerken in aller Grausamkeit dauerpräsent. Im Haus, in dem ich wohne, leben ukrainische Flüchtlinge. Meine Kinder sind 11 und 13 Jahre alt, sie waren unmittelbar mit dem Thema konfrontiert. Das hat bei ihnen viele Fragen ausgelöst. Sie wollten zum Beispiel wissen: Was ist ein Atomkrieg, wieso macht Russland das? Wie viele Menschen sterben? Wichtig ist meiner Frau und mir, ehrlich und offen zu antworten, ohne etwas zu verharmlosen oder zu dramatisieren. Kinder haben Anspruch darauf zu wissen, was läuft. Man muss mit ihnen über ihre Ängste sprechen, sie ernst nehmen und ihnen Hoffnung geben.
Unter dem Strich will ich Positivität vermitteln. Jede Person hat jeden Tag die Möglichkeit, zu Gutem beizutragen – zum Beispiel, indem wir Geld sammeln und spenden. Ich kann den Ukraine-Krieg nicht beenden, aber ich kann eine Kleidersammlung organisieren. Versuchen wir, uns nicht von den Greueln lähmen zu lassen, sondern nutzen wir unsere Energien, um für Lichtblicke zu sorgen.
Aufgezeichnet von Johanna Wedl

Kathrin Fritz, 60 Jahre, Journalistin und Hobbygärtnerin
Wenn ich von einem hektischen Arbeitstag nach Hause komme, gehe ich immer zuerst in den Garten. Ich setze mich ins Gras, schaue in die Blüten des Kirschbaumes und fühle die Halme unter meinem Körper. Manchmal lege ich mich auch in die Hängematte, durch deren Löcher ich das Geschehen um mich herum beobachten kann. Es ist faszinierend, wie man zuerst nur eine grüne Fläche wahrnimmt und sich der Blick dann immer mehr schärft: Plötzlich sind da einzelne Gräser, Blumen, kleine Insekten. Der Garten ist voller Leben.
Ich brauche das Gefühl, mit einem Fuss in der Natur zu stehen. Und das wortwörtlich – wenn ich zuhause bin, gehe ich fast immer barfuss. Schon als Kind habe ich einen Grossteil meiner Zeit draussen verbracht, war viel im Wald. Zudem besass meine Familie eine Gärtnerei. Dort musste ich zwar nicht oft mithelfen; trotzdem glaube ich, dass ich meine Freude an Pflanzen von meinen Eltern geerbt habe.
Es mag nach einem Kalauer klingen, aber mein Garten erdet mich. Er hilft mir, Dinge zu verarbeiten und mit Negativem klarzukommen. Manchmal auch ganz praktisch: Wenn ich bei meiner Arbeit als Journalistin einen Schreibstau habe, werke ich oft für eine halbe Stunde draussen herum, und dann fliesst es wieder. Überhaupt ist ein Garten etwas wahnsinnig Kreatives: Man kann ganze Landschaften gestalten und immer wieder neue Projekte angehen. Ein Garten ist niemals fertig. Ich weiss, wovon ich rede: Wir gärtnern hier bei unserem Haus in Winterthur schon seit zwanzig Jahren, und trotzdem ist es jedes Jahr wieder anders.
Natürlich merke ich meinem Garten an, wie sich das Klima verändert. Es gibt immer stärkere Regenphasen, gleichzeitig werden die Sommer trockener. Im letzten Jahr hatten wir nicht eine einzige Kirsche am Baum. Das besorgt mich, vor allem wenn ich an die Menschen denke, die von ihren Ernteerträgen leben müssen. Auch sonst finde ich die aktuelle Weltlage sehr beunruhigend – die erstarkenden autoritären Regime in Europa, die nationalistische Stimmung in vielen Ländern und natürlich der Ukraine-Krieg. Da fühle ich die gleiche Angst wie wahrscheinlich viele andere Menschen. Es wäre vermessen zu sagen, dass mein Garten dagegen hilft. Ich kann nur versuchen, solidarisch zu sein und – etwa beim Klimawandel – meinen Beitrag zu leisten, damit es nicht noch schlimmer wird.
Aufgezeichnet von Vanessa Buff

Lukas Niederberger, 57 Jahre, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft
Vor fünfzehn Jahren überschritt ich eine grosse Schwelle in meinem Leben. Das löste Fragen und Ängste aus, bedeutete es doch, ein neues Leben zu beginnen.
Bis 2007 war ich katholischer Priester im Jesuitenorden und leitete das Bildungszentrum Lassalle-Haus oberhalb von Zug. Mit den Kursgästen, den Mitarbeitenden und der Ordensgemeinschaft hatte ich es gut, und die Tätigkeit als Seelsorger machte mir Freude. Gleichzeitig hatte ich mit der Lebensform zunehmend Mühe. Mir kam es so vor, als ob zölibatäre Männer einzig für ihre Arbeit lebten. Darum wollte ich die Gemeinschaft verlassen. Doch welche Art Leben würde mich erwarten? Ich besass keine Altersvorsorge und kein Vermögen, würde viele Beziehungen und angenehme Privilegien verlieren. Als Theologe war ich zudem für einen Beruf ausserhalb der Kirche nicht optimal vorbereitet. Einige Jahre wartete ich mit dem Entscheid zu, dann wagte ich den Schritt.
Drei Techniken haben mir geholfen, meine Entscheidung zu finden und dabei die Ängste zu überwinden.
Die erste Übung stammt aus den Exerzitien von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens. Er riet, ein paar Tage lang so zu leben, als habe man bereits die angstbehaftete Entscheidung getroffen, und dabei die verschiedenen Handlungsoptionen durchzuspielen. Auf diese Weise wägt man nicht im Minutentakt rationale Argumente gegeneinander ab, sondern nimmt ganzheitlich die unterschiedlichen Gefühle, Emotionen und Träume wahr. Die Option, bei der ich mehr Freude, Kraft und Leichtigkeit spüre, ist mit höchster Wahrscheinlichkeit die stimmigere.
Die zweite Übung im Entscheidungsprozess war die Imagination des Worst-Case-Szenarios. Dabei erinnerte ich mich an mein Praktikum in einer Pfarrei in Zürich, wo ich regelmässig betagte Alkoholiker in einem Männerheim besuchte. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn ich in diesem Heim landen würde, ohne einen Franken in der Tasche. Ich will das Leben armer Menschen nicht romantisieren, aber mir hat es geholfen zu erfahren, dass ich auch ohne ein Einkommen weiterhin lesen, meditieren, spazieren gehen und meine Freunde treffen könnte und dass ich auch ohne Besitz und gesellschaftlichen Status Zufriedenheit finden würde.
Einen dritten Anhaltspunkt zur Orientierung hat mir die Regel «zehn Sekunden, zehn Monate, zehn Jahre» gegeben. Deren Erfinderin Suzy Welch sagte sinngemäss: Das Schlimmste bei Veränderungen sind die ersten Sekunden, wenn ich beispielsweise andere Menschen enttäuschen muss. Auch die ersten Monate einer Veränderung können sehr mühsam sein und einen daran hindern, den Status quo zu verlassen. Darum ist es umso wichtiger, mir die Situation in zehn Jahren vor Augen zu führen. Die Vision des Neuen gibt mir die nötige Kraft, um die kurzfristige Mühsal zu meistern und die vielen Ängste zu überwinden. Als ich im Jahr 2007 diese Übung machte, spürte ich klar: Ich wollte im Jahr 2017 an einem anderen Ort stehen.
Und so sprang ich ins kalte Wasser. Privat und beruflich erlebte ich in den ersten Jahren zwar eine ziemliche Achterbahnfahrt. Aber ich habe den Schritt nie bereut und fand zu einer neuen tiefen Zufriedenheit.
Mich hat der damalige Bruch drei Dinge gelehrt: Erstens ist es wichtig, die eigene Zufriedenheit in meinen verschiedenen Rollen regelmässig zu hinterfragen. Zweitens geht es darum, mich an meinen Zielen und Werten zu orientieren. Und drittens ist es unerlässlich, meine Ängste kennenzulernen, ihnen Namen zu geben und sie mit auf den Weg zu nehmen, ohne dass sie die Richtung bestimmen.
Aufgezeichnet von Tom Kroll

Erich Gyr, 51 Jahre, Waldpädagoge
Der Wald ist für mich so etwas wie meine Heimat. Schon als Kind fühlte ich mich von ihm angezogen. Mein Grossvater war Landwirt und besass ein eigenes Waldstück. Bei den Arbeiten dort packte die ganze Familie mit an, auch wir Kinder. Eine faszinierende Welt tat sich mir auf. Ich mochte speziell die grossen alten Bäume. Es gab dort auch einen Bach mit Quelle, aus der wir frisches Wasser trinken konnten. Das alles hatte für mich etwas Magisches.
Als Jugendlicher entschied ich mich für die Lehre als Forstwart. Ich wollte unbedingt einen Beruf im Freien ausüben. In die feuchte Erde zu greifen und einen Baum zu setzen, das gefiel mir. Heute arbeite ich hauptsächlich als Waldpädagoge und bringe allen möglichen Zielgruppen, von Kleinkindern bis zu Senioren, den Lebensraum Wald näher. Das ist für mich ein Privileg: Ich kann dort arbeiten, wo ich mich auch in meiner freien Zeit am liebsten aufhalte.
Für mich gibt es keinen besseren Ort, um aufzutanken. Oft gehe ich sonntags in meinem Privatwald spazieren. Ich versuche dann bewusst, ziellos unterwegs zu sein. Alles auszublenden und einfach an nichts zu denken. Das ist gar nicht so einfach. Als Förster, Jäger und Waldbesitzer sehe ich den Wald immer unter einem bestimmten Blickwinkel. Ich habe hier viele Lieblingsplätze, zum Beispiel unter einer grossen Eiche. Dort setze ich mich hin und geniesse den Augenblick.
Solche Momente sind für mich die beste Entspannung. Manchmal erlebe ich dabei Unerwartetes. Vor zwei Wochen ist plötzlich eine Rehgeiss aus dem Dickicht gekommen. Sie hatte mich nicht gesehen und war ganz nah. Als sie mich schliesslich doch bemerkte, ist sie zu Tode erschrocken und davongesprungen.
Geholfen hat mir der Wald auch in schwierigen Lebenssituationen. Während des Corona-Lockdowns zum Beispiel fielen meine Aufträge als Waldpädagoge fast vollständig weg. Es war von einem Tag auf den andern nicht mehr möglich, in Gruppen in den Wald zu gehen. Ich bin dann eines Morgens einfach losgezogen und habe ein paar Hundert Bäume gepflanzt. Das hat mir gutgetan, weil ich das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles zu tun.
In meinem ursprünglichen Beruf als Forstwart habe ich gelernt, mit Angst umzugehen. Es ist wahrscheinlich einer der gefährlichsten Berufe überhaupt. Beim Fällen eines grossen Baumes ist jede Situation anders: das Gelände, das Wetter. Das alles muss sorgfältig einkalkuliert werden. Angst ist dabei ein schlechter Ratgeber, sie lähmt nur. Hingegen ist es wichtig, Respekt zu haben. Zu wissen, welche Kräfte in der Natur am Werk sind. Und dass wir trotz allen Vorsichtsmassnahmen nicht über alles die Kontrolle haben können. Diese Lektion habe ich auch immer meinen Auszubildenden mit auf den Weg gegeben.
Für mich hat diese Haltung viel mit Ehrfurcht zu tun. Im Wald habe ich Bescheidenheit gelernt. Hier spüre ich, dass wir Menschen nur ein kleiner Teil eines grossen Ganzen sind. Das ist ein schönes Gefühl. Es gibt mir das Vertrauen, dass trotz allen Problemen auf der Welt am Ende doch alles gut kommt. Das relativiert auch meine eigenen Sorgen und Ängste.
Aufgezeichnet von Heimito Nollé

Peter Colat, 50 Jahre, Architekt und Apnoetaucher
Beim Apnoetauchen ohne Sauerstoffflasche darf ich keine Angst haben. Sonst würde es schnell gefährlich. Einerseits, weil Angst den Puls erhöht und ich so mehr Sauerstoff brauche. Andererseits muss ich innerhalb von Millisekunden Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod bestimmen können. Furcht oder Nervosität würden mich dabei behindern und mich blockieren.
Deshalb tue ich alles, damit gar nie Angst aufkommt, ich gehe kein Risiko ein. Am Anfang steht eine gute Vorbereitung. Auf einen Wettkampf oder Rekordversuch hin trainiere ich intensiv. Ich versuche, mich Stück für Stück ans Ziel heranzutasten. Ich nehme mir immer ein bisschen mehr vor und tauche immer ein bisschen weiter. Das funktioniert auch im Alltag so. Früher hatte ich Mühe, vor Publikum zu sprechen. Dann habe ich das trainiert, den Rahmen Stück für Stück erweitert. Heute kann ich auch vor einer grossen Menschenmenge frei aus dem Bauch sprechen.
Vor einem Tauchgang mache ich Atemübungen, um mich zu beruhigen und den Puls zu senken. Gleichzeitig konzentriere ich mich ganz bewusst. Dann atme ich ein paar Mal schnell ein und aus, damit noch mehr Sauerstoff in meine Lunge gelangt. Anschliessend atme ich voll ein, konzentriere mich nochmal und tauche ab. Während des Tauchgangs spreche ich mit mir selbst: Nicht zu schnell schwimmen, entspannt schwimmen. Aber das Wichtigste ist, dass ich auf meinen Körper höre. Ich tauche mittlerweile seit 26 Jahren und kenne meinen Körper sehr gut. Wenn ich spüre, dass ich nicht in Hochform bin oder einen strengen Tag hatte, dann gehe ich nicht ans Limit, sondern setze mir ein lockereres Ziel. Und auch während eines Wettkampfs merke ich sehr genau, ob ich es beispielsweise beim Tauchen unter Eis noch zum nächsten Loch schaffe oder nicht. Manche schwimmen einfach drauflos, «ghaue oder gstoche». Das mache ich nie, sondern nehme mich zurück, wenn es nicht geht.
Unter dem Eis kann ich mich anhand eines Führungsseils orientieren, und die Löcher sind speziell markiert. Auch das gibt mir Sicherheit. Als weitere Vorsichtsmassnahme sind Sicherheitstaucher dabei. Sie haben Pressluftflaschen und könnten mir damit im Notfall Luft geben. Wenn ich einen Rekord schaffen will, dann habe ich ein eigenes Team, dem ich zu hundert Prozent vertraue. Das gilt ebenso für das Leben abseits des Tauchens: Man braucht ein gutes Netzwerk, Menschen, auf die man sich verlassen kann.
Nach dem Auftauchen atme ich kräftig. Manche vergessen das, machen Jubelschreie – und werden ohnmächtig. Mir ist zum Glück in meiner ganzen Tauchgeschichte noch nie etwas passiert.
Aufgezeichnet von Antonia Moser

Deborah Leela Sutter, 37 Jahre, Yoga- und Meditationstrainerin
Vor wenigen Jahren erlebte ich eine dunkle Zeit. Der Tod meines Partners warf mich komplett aus der Bahn. Ich wurde von einem Tag auf den anderen ins Unbekannte katapultiert, so dass ich gar nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war. Klar war einzig, dass es ein Zurück in das alte Leben nicht mehr geben würde. Während zwei Jahren war das Einzige, was ich noch tun konnte, zu spazieren oder mit meinen Katzen zu spielen. In dieser Zeit lernte ich, die Stille zu schätzen. Ich fühlte mich in ihr geborgen, in ihr konnte ich durchatmen. Erst später kam die Angst. Ausgelöst wurde sie durch das komplett neue Kapitel, für das ich keinen Plan hatte und in dem noch mehr Unbekanntes wartete.
Solche Traumata speichern sich immer auch im Körper ab. So kann es vorkommen, dass die Angst durch Situationen, die uns an den eigentlichen Auslöser erinnern, getriggert wird. Dann spüren wir dieselbe Angst wie damals, obwohl der Moment im Jetzt gar nichts mit früher zu tun hat. Wir sind dann im Kopfkino gefangen, denken an das vergangene Ereignis oder sorgen uns um die Zukunft.
Mir half es damals sehr, mich auf das zu fokussieren, was real ist. Und das ist mein Körper. Wenn heute meine Gedanken kreisen und die Angst sich meldet, versuche ich möglichst, im Moment präsent zu sein. Wenn ich einen Druck auf der Brust spüre, nehme ich ihn bewusst wahr, gebe ihm Raum und versuche nicht, ihn zwanghaft aufzulösen. Ich spüre das Hier und Jetzt. Ich frage mich: Was höre ich? Wenn ich auf dem Stuhl sitze, spüre ich ihn unter mir. Liege ich, lenke ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Rücken und den Boden, der mich trägt. Ganz konkret, simpel, pragmatisch. Das gibt mir Sicherheit. Denn ich merke, dass der Boden und der Körper ohnehin da sind, egal, wie viele Sorgen mein Kopf kreiert. Wichtig dabei ist, dass ich Vertrauen habe, dass die Angst auch ohne ein krampfhaftes «Wegmachen-Wollen» weniger bedrohlich wird. Solange ich bereit bin, Kontrolle und Kopf loszulassen und die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Das schaffe ich aber nur, weil ich damals neben den konkreten Techniken noch etwas anderes lernte: In der Stille spürte ich, dass da etwas ist, das mich hält. Da war Gnade. Da war Fülle. Da war Liebe.
Aufgezeichnet von Andreas Bättig