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Freitag, 14. Februar 2020

Frau Hunziker-Ebneter, Sie waren in den 80er Jahren eine der ersten Händlerinnen am hochkompetitiven Schweizer Börsenring. Heute sind Sie Mitinhaberin einer Vermögensverwaltungsfirma, die auf nachhaltige Anlagen setzt. Hatten Sie ein Damaskuserlebnis?

Nein, einen eigentlichen Bekehrungsmoment gab es nicht. Mein Entschluss, mit Kollegen eine eigene Firma aufzubauen, wuchs langsam. Es war so etwas wie die natürliche Konklusion aus meiner zwanzigjährigen Arbeit bei der Schweizer Börse und bei mehreren Banken.

Sie hatten also nie das Gefühl: Ich habe dieses von Männern geprägte, präpotente Finanzsystem, wie wir es von der Wall Street in New York kennen, satt?

Diese Atmosphäre hat mich nie sonderlich gestört, auch wenn ich als Frau ziemlich alleine unter Männern war. Auch finde ich das Finanzsystem, wovon die Börse Teil ist, nicht verwerflich. Nüchtern betrachtet sorgt es einfach dafür, dass das Geld von Menschen und Unternehmen mit Geld zu Menschen und Unternehmen gelangt, die Geld benötigen. Für die Gesellschaft und ihre Wirtschaft ist das ein grosser Nutzen – solange die Regeln fair sind.

Sind sie das?

Ja, die Regeln sind klar. Als Chefin der Schweizer Börse musste ich aber auch miterleben, wie sie umgangen werden. So kam es immer wieder zu Insidergeschäften, bei denen Wertpapiere aufgrund vertraulicher Informationen gehandelt wurden. Solche Transaktionen laufen völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.

Hat Sie das gestört?

Und wie! Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Straftat­bestand. So etwas untergräbt das ganze System. Eine Börse kann nur demokratisch sein, wenn alle zur gleichen Zeit dieselben Informationen erhalten.

Haben Sie als Chefin da durchgegriffen?

Das tat ich immer, wenn ich davon erfuhr – leider war es dann aber meist zu spät. Solche Delikte verjähren zu rasch. Meiner Meinung nach müssten die Täter solcher Geschäfte umgehend sanktioniert und auf eine schwarze Liste gesetzt werden.

Sie wirken bei diesem Thema sehr entschieden.

Ja, mich haben solche Praktiken immer sehr frustriert. Das war auch mit ein Grund, weshalb ich Mitte vierzig den Grundsatzentscheid fällte, nur noch mit Menschen zu arbeiten und zu leben, die meine Werte teilen. Von Kompromissen hatte ich genug. 2006 gründete ich mit Partnern aus der Finanzindustrie ein Vermögensverwaltungsinstitut, statt wieder einen gut dotierten Job mit zu vielen Zugeständnissen anzunehmen.

Haben Sie den Schritt je bereut?

Nie. Es war die richtige Entscheidung. Von der Überzeugung, dass Geld konsequent nachhaltig angelegt werden muss, bin ich bis heute nicht abgekommen.

Nachhaltigkeit ist ein strapazierter und abstrakter Begriff — erst recht im Zusammenhang mit Geld.

Was soll daran abstrakt sein? Wie ich Geld investiere, hat Auswirkungen. Immer. Am Ende reduziert sich alles auf eine Frage: Möchte ich mein Geld einer Firma geben, die achtsam mit der Natur und den Mitarbeitenden umgeht, oder ist mir das egal?

«Gerade die Finanzwelt ist getrieben von irrationalen Beweggründen, als gäbe es kein Morgen. Der Schöpfungsgedanke aber weist darauf hin, dass die Ressourcen des Lebens nicht unendlich verfügbar sind.»

Den meisten Menschen ist dies nicht egal, noch wichtiger ist ihnen aber eine schöne Rendite.

Die Rendite ist tatsächlich eine Schlüsselfrage. Aus diesem Grund suchte ich die Zusammenarbeit mit der London Business School. Ein Professor untersuchte dort zusammen mit seinen Studenten über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, wie gut nachhaltige Investments abschneiden. Das Resultat: Im Vergleich mit herkömmlichen Anlagen waren die Renditen gleich gut oder gleich schlecht.

Das müssen Sie jetzt fast sagen.

Ich argumentiere auf einer transparenten Grundlage. Die Studien sind einsehbar. In der Finanzkrise 2008 haben wir beispielsweise nicht in Investmentbanken investiert und schnitten gerade deshalb um einiges besser ab als die meisten anderen Vermögensverwalter, die das Geld konventionell anlegten. Klar bringt Nachhaltigkeit auch Einbussen mit sich: Negativ wirken sich die steigenden Erdölpreise aus, da wir keine Unternehmen mit fossilen Brennstoffen berücksichtigen. Unter dem Strich lohnt es sich aber, nachhaltig zu investieren. Davon zeugen milliardenschwere Investmentgesellschaften, die auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen. Die US-amerikanische Investmentgesellschaft Blackrock führt seit einigen Jahren nachhaltige Anlagen in ihrem Portfolio.

Ein Beleg dafür, dass sich nachhaltige Investments lohnen?

Das tun sie auf alle Fälle, sonst gäbe es unsere Firma nicht bereits seit vierzehn Jahren. Und auch Blackrock verfolgt mit Sicherheit kein Geschäft, das nicht Gewinn verspricht. Die Frage ist nur, welchen Einfluss die grossen Investoren auf Firmen ausüben, bei denen sie mehrere Prozente Anteil haben. Sind sie gewillt, an den Generalversammlungen im Sinne der Nachhaltig­keit abzustimmen? Wir verfolgen diese Entwicklung genau.

Bereitet es Ihnen als Unternehmerin eigentlich Sorgen, dass immer mehr Vermögensverwalter auf Ihr Geschäftsmodell setzen?

Im Gegenteil. Ich freue mich, wenn sich nachhaltiges Investieren durchsetzt und auch grosse Anbieter wie Blackrock diesen Markt entdecken. Ihr milliardenschweres Volumen hat Gewicht, und je mehr Menschen Verantwortung wahrnehmen, desto rascher kommen wir zu einer besseren Welt. Geld bewegt die Welt, das ist nun einfach mal so. Gedanken tun das zum Glück auch.

Ihr gesamtes Berufsleben handelt von Geld. War Geld in Ihrem Elternhaus ein Thema?

Mein Vater war Sprachwissenschaftler und meine Mutter Dolmetscherin. Beim Nachtessen wurde über Kultur und Politik gesprochen, aber auch über Geld. Ich erinnere mich, dass Sparen wichtig war. Als Kind tat ich das immer auf ein Ziel hin, beispielsweise für den nächsten Kinobesuch. Als ich acht Jahre alt war, wollte mein sieben Jahre älterer Bruder an einem Samstag in den Ausgang. Er hatte zu wenig Geld und fragte mich, ob ich ihm welches leihen könnte. Stolz öffnete ich mein Kässeli und überreichte ihm zwanzig Franken.

Bekamen Sie es zurück?

Eine Woche später. Mein Bruder und ich lernten einen anständigen Umgang mit Geld. Unsere Eltern unterstützten uns in den Hobbys und der Ausbildung. Wenn ich jedoch zusätzliche Kleider wollte oder ins Kino, musste ich es selber verdienen. Das hat mir im Leben viel gebracht.

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Was sonst haben Ihre Eltern Ihnen mitgegeben?

Meine Kindheit war von einem Wertekanon getragen, wenn auch nicht explizit davon gesprochen wurde. Meine Mutter war gläubig, und so ging ich jeden Sonntag in die Kirche. Bis heute bete ich jeden Tag und suche auch regelmässig im Alltag die Kirche auf. Mein Glaube prägt mein Denken und Handeln.

Der Augustinerpater und Unternehmensberater Hermann-Josef Zoche meinte einmal, dass sich die Zehn Gebote besser als Führungsgrundlage eigneten als die meisten Unternehmensleitbilder, in denen zu lesen ist, dass «bei uns der Mensch im Mittelpunkt steht» — gelte dieser Grundsatz doch auch unter Kannibalen. Die Bibel als Orientierung für gutes Wirtschaften, können Sie damit etwas anfangen?

Für mich eignen sich die Zehn Gebote hervorragend als Kompass in meiner Rolle als Führungsperson. Wichtig ist aber auch, dass sie von der Institution Kirche vorgelebt werden.

Sie appellieren auch mal vor versammelter Finanzelite, dass beim Geschäften zwingend auf die Schöpfung zu achten sei. Für eine Betriebswirtschaftlerin ein überraschend theologisches Vokabular.

Die Schöpfung ist mir sehr wichtig, ebenso alle Fragen aus dem Universum von Theologie und Philosophie. Mein Lebenspartner ist evangelischer Theologe, und wir diskutieren oft über solche Themen. Theologie ist einer der spannendsten Studiengänge überhaupt, spannender als Betriebswirtschaft, was ich studiert habe. Diese beiden Studien miteinander zu kombinieren, das stelle ich mir perfekt vor.

Aber warum sprechen Sie von Schöpfung und nicht einfach von Respekt gegenüber Mensch, Tier und Umwelt?

Weil der Begriff das Leben als Geheimnis sieht. Denn unabhängig davon, ob ein Mensch religiös ist oder nicht: Niemand bewältigt das Leben nur mit Zweckrationalität. Gerade die Finanzwelt ist getrieben von irrationalen, oft auch kurzfristigen Beweggründen, als gäbe es kein Morgen. Der Schöpfungsgedanke ist von einer anderen Logik getragen; er weist darauf hin, dass die Ressourcen des Lebens uns zwar geschenkt, aber nicht unendlich verfügbar sind. Wir sind deshalb aufgefordert, verantwortungsbewusst mit ihnen umzugehen.

Und was heisst das für Sie als Unternehmerin?

Nehmen wir den Schöpfungsgedanken ernst, dann muss die Wirtschaft eine untergeordnete Funktion gegenüber der Natur und der Gesellschaft einnehmen. Sprich: Die Ökonomie dient als Mittel zum Zweck. Das Ziel ist ein gutes Leben für uns, aber auch für alle kommenden Generationen.

2015 haben Sie mit vier Mitstreitern aus Hilfs­werkkreisen die Konzernverantwortungsinitiative lanciert. Diese verlangt, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz nicht nur hierzulande Menschen- und Umweltrechte respektieren, sondern weltweit. In der Zwischenzeit sind Sie von der Unterstützerliste verschwunden. Warum?

Ich unterstütze das Grundanliegen der Konzernverantwortungsinitiative noch immer. Ich tue mich aber schwer damit, dass Unternehmen in der Schweiz gegenüber jenen im Ausland schlechter gestellt werden.

Aber ist das nicht immer der Fall, wenn man mit gutem Beispiel vorangeht?

Das ist so, aber im Fall der Konzernverantwortungsinitiative ­besteht das Risiko, dass Schurkenstaaten unsere Unternehmen belangen können. Die Schweiz würde zum Eldorado für Klage­anwälte werden.

Nicht wenige sehen die Schweiz als den eigentlichen Schurkenstaat, der Firmen mit ausbeuterischem Verhalten in Entwicklungs- und Schwellenländern eine steuerliche Heimat bietet.

Die Schweiz ist ein Rechtsstaat. Unsere Gesetze sind ein Resultat von demokratischen Prozessen und somit transparent. Nochmals: Die Schweiz muss sich zwingend den wichtigen Fragen der Konzernverantwortungsinitiative stellen. Was der parlamentarische Weg bisher aber hervorgebracht hat, enttäuscht mich. Er berücksichtigt nicht, dass der Teufel im Detail steckt. Ich hoffe darum sehr, dass noch bis zur Abstimmung ein mehrheitsfähiger Vorschlag erarbeitet wird.

Wie müsste dieser Ihrer Meinung nach aussehen?

Ich kann dem «Plan de Vigilance» aus Frankreich viel abgewinnen. Das Gesetz wurde vom Parlament 2017 verabschiedet und verpflichtet französische Konzerne, all ihre Aktivitäten hinsichtlich Menschenrechten und Umweltschutz einer Sorgfaltsprüfung zu unterziehen. Diese Ergebnisse müssen dann als Sorgfaltsplan öffentlich publiziert werden. Kommt es trotz Plan zu einem Schaden, können die Konzerne dafür haftbar gemacht werden. Aber erst dann.

Exzesse von Unternehmen gibt es auch bei der Entlöhnung. Der abtretende Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam soll insgesamt rund 30 Millionen Abgangsentschädigung erhalten. Als Sie 2015 Verwaltungsratspräsidentin der Berner Kantonalbank wurden, haben Sie sich den Lohn um rund einen Drittel gekürzt. Für das Amt erhalten Sie nun eine halbe Million Franken. Das ist noch immer viel Geld.

Vorweg: Ich verdiene gerne Geld, und ja, das ist viel. Worum es mir bei dieser Debatte geht, ist die Verhältnismässigkeit. Horrende Boni und Abgangsentschädigungen lassen einfach jedes Augenmass vermissen. Diese Masslosigkeit gefährdet den ­Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Aber wo fängt Masslosigkeit an?

Ich glaube, wir Menschen sind gar nicht so schlecht darin zu spüren, was noch in einem Verhältnis zu etwas steht und was nicht. Bei der Berner Kantonalbank gilt das Verhältnis 1 : 20 vom tiefsten zum höchsten Lohn. Aber natürlich lassen sich auch die besten Regeln aushebeln. Ich weiss von Unternehmen, in denen Mitarbeitende mit wenig Verdienst einfach nicht mehr direkt angestellt werden, sondern ihre Leistungen werden bei anderen Unternehmen eingekauft – und schon existiert eine ganz andere Breite des Lohnbands. Darum: Regeln alleine reichen nicht aus. Es braucht immer auch eine Unternehmenskultur, damit ein Lohnsystem im Lot bleibt.

Zahlen Sie eigentlich gute Löhne?

Unsere Angestellten verdienen gut. Aber wenn jemand richtig viel verdienen will, dann ist er bei uns am falschen Ort. Dafür stehen wir zu unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sollte das Leben einmal eine schwierige Situation bereithalten. Weiter hat bei uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen grossen Stellenwert.

Was bedeutet Ihnen Geld?

Ich möchte genügend Geld zum Leben haben, was natürlich der Fall ist. Zudem war mir immer wichtig, ausreichend Geld für die Ausbildung meines Sohnes zu haben. Sonst spielt Materielles für mich keine so grosse Rolle. Ich wohne seit rund dreissig Jahren im selben Haus und lebe auch sonst eher bescheiden.

Denken Sie, dass Sie eine gute Chefin sind?

Auf alle Fälle versuche ich, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut zuzuhören und möglichst individuell auf sie einzugehen. Menschen sind verschieden und haben unterschiedliche Bedürfnisse, dem möchte ich Rechnung tragen. Auch hinterfrage ich mich immer wieder kritisch.

Wie reagieren Sie, wenn ein Mitarbeiter Sie kritisiert?

Wir alle haben unsere blinden Flecken. Ich möchte meine, so gut das geht, kennen und einen Umgang mit ihnen finden. Zu Ihrer Frage: Kommt ein Mitarbeiter auf mich zu und äussert Kritik an meiner Person und meiner Führung, dann nehme ich diese erst einmal ernst und gehe in mich. Ich versuche dazuzulernen und das Notwendige und das Mögliche zu ändern.

Und wie stellen Sie sicher, dass Kritik überhaupt zu Ihnen gelangt?

Indem ich Mitarbeitende, die mich kritisieren, dafür lobe – und zwar vor dem ganzen Team.

Ernsthaft?

Ja, ernsthaft. Kritik, die mich und somit auch das Unternehmen verbessert, muss immer geäussert werden können, selbst wenn sie schmerzhaft ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich immer auch ein paar Hofnarren um mich herum habe. Wie bereits gesagt, bin ich in meinem Unternehmen umgeben von Menschen, die meine Werte teilen. Da wäre es doch dumm, wenn ich nicht auch dafür sorgen würde, dass jene mir offen kommunizieren würden, was sie denken?

Verfügen Sie selbst auch über Hofnarren-Qualitäten?

Oh ja. Ich würde sogar sagen, dass sich meine Berufslaufbahn nur dank diesen so gut entwickelt hat. Ich liess meine Vorgesetzten immer wissen, was ich nicht richtig fand. Allerdings kritisierte ich nicht nur, sondern hatte immer auch Verbesserungsvorschläge zur Hand – die ich dann oft auch umsetzen durfte.

Antoinette Hunziker-Ebneter, geboren 1960, studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen und begann 1987 ihre Karriere bei der Bank Leu, bei der sie bis zur Leiterin des Wertschriftenhandels und Verkaufs in die Direktion aufstieg. 1995 war sie die erste Frau, welche die Schweizer Börse leitete und dabei auch für die Inbetriebnahme der elektronischen Börse Schweiz verantwortlich war. 2001 übernahm Hunziker-Ebneter die Führung der paneuropäischen Börse «virt-x», die nach ihrem Abgang eingestellt wurde.

Nach einigen Jahren als Konzernleitungsmitglied bei der Bank Julius Bär machte sie sich 2006 mit Partnern selbständig und gründete die Vermögensverwaltungsgesellschaft Forma Futura Invest AG mit Schwerpunkt nachhaltige Anlagen. Seit 2015 ist Hunziker-Ebneter Verwaltungsrätin der Berner Kantonalbank, daneben engagiert sie sich als Mitgründerin der «waterkiosk foundation». Die Projekte der Stiftung ermöglichen den Menschen in Schwellenländern Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das «Wall Street Journal» bezeichnete Hunziker-Ebneter einmal als eine der einflussreichsten Frauen Europas. Sie ist Mutter eines erwachsenen Sohnes und lebt mit ihrem Partner in Kilchberg nahe Zürich.

Wer Ihre Karriere überblickt, muss zum Schluss kommen, dass Ihnen alles gelingt. Selbst eine Kinderkrippe haben Sie noch nebenher gegründet, da Sie als berufstätige Mutter eines Sohnes darauf angewiesen waren. Unter uns: Sind Sie auch irgendwo gescheitert?

Es ist kein Geheimnis, dass es mir nicht gelang, die Börsenteilnehmer von «virt-x», der ersten gesamteuropäischen Börsenplattform, zu überzeugen. Sie wurde mittlerweile eingestellt. Das war schon ein Scheitern.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Pragmatisch. Ich hatte all meine Fähigkeiten und Kräfte eingesetzt, und doch hat es nicht gereicht. Da mir das Projekt so wichtig war, wollte ich begreifen, warum es nicht zum Fliegen kam. Deshalb suchte ich nochmals das Gespräch mit den Verantwortlichen, in aller Offenheit. Letztlich musste ich einsehen, dass alle Türen für diese Plattform zu waren. So entschied ich mich für einen anderen Weg. Ich muss nicht in Schönheit sterben, sagte ich mir, und ging.

Was raten Sie einem Menschen, der gerade ein Scheitern durchlebt?

Das gleiche, was ich auch zu mir sagen würde: Du bist gerade in einer anspruchsvollen Situation, in der du enorm viel lernst. Und mit diesem Wissen wirst du langfristig gestärkt daraus hervorgehen.

Ist das nicht billiger Trost?

Nein. Aber klar, im Augenblick des Scheiterns ist man für solche Weisheiten nicht empfänglich. Spätestens nach zwei Jahren jedoch ergibt der neue Weg, den man eingeschlagen hat, Sinn. Die Reflexion darüber, was geschehen ist, braucht Zeit zum Reifen.

Warum ist Scheitern so schambehaftet?

Das hängt sicherlich auch mit den Gründen des Scheiterns zusammen. Dann gibt es kulturelle Unterschiede: Bei uns wird eher noch mit dem Finger auf das Versagen gezeigt. Im schlimmsten Fall wird man gemieden. In den USA herrscht viel mehr die Stehaufmentalität. Scheitern ist immer auch irgendwie positiv besetzt, schliesslich hat man etwas dazugelernt. Bei diesem Thema sind mir die Amerikaner näher. Und gerade in der Wirtschaft kann Scheitern ausgesprochen wertvoll sein.

Sie sagten einmal in einer Rede, dass Unternehmen konkursgehen können müssen. Warum sehen Sie das so klar?

Weil alles andere nicht viel mit Marktwirtschaft zu tun hat. Ich meine das jetzt nicht einmal als Verfechterin der reinen Lehre, sondern auch unter dem ökologischen und sozialen Aspekt: Wenn etwas nicht mehr funktioniert, dann bedeutet ein Neu­beginn eben auch, dass Ressourcen, menschliche wie finanzielle, nicht länger dort eingesetzt werden, wo sie wenig bringen.

Ist das nicht eine zynische Sichtweise? Ohne die staatliche Rettung der Swissair und der UBS wären zahlreiche Arbeitsplätze verloren und Existenzen zerstört worden.

In der Tat waren diese politischen Entscheide bis zu einem gewissen Masse berechtigt. Sie hatten auch ökonomische Konsequenzen, woraufhin ein Umdenken einsetzte. Einsicht ist oft der erste Weg zur Besserung.

Ihre Vermögensverwaltung investiert in 250 Unternehmen weltweit. Sie alle wurden auf Nachhaltigkeit geprüft. Wie gehen Sie dabei vor?

Zuerst studieren wir sehr genau den Geschäftsbericht. Dann interessieren uns die Produkte und die Strategie des Managements, aber auch dessen Umgang mit den Angestellten, Lieferanten und der Natur. Ebenfalls richten wir unser Augenmerk auf das Wirtschaften in Schwellenländern. Schont ein Unternehmen die Umwelt? Behandeln die Verantwortlichen die Menschen vor Ort anständig? In allen Bereichen werden Noten vergeben, am Ende resultiert daraus ein Wert.

Lässt sich das tatsächlich so einfach prüfen?

Nein, es ist eine Herkulesaufgabe. Wir arbeiten dafür mit nationalen und internationalen Unternehmen zusammen, etwa einer Schweizer Firma, die über 80 000 Quellen in zwanzig verschiedenen Sprachen auswertet. Dazu gehören Rechtsfälle, Artikel im Internet, Berichte in Lokalzeitungen, Informationen von Nichtregierungsorganisationen bis hin zu unabhängigen Stimmen aus dem Unternehmensumfeld. Unser Monitoring ist umfassend.

Lassen Sie uns konkret werden. Investieren Sie Kundengelder in die Credit Suisse und in die UBS?

Zu meinem Bedauern erfüllen beide Grossbanken unsere Kriterien noch nicht.

In Roche und Novartis?

Roche ja, Novartis nein. Roche ist bei der Förderung von Frauen und generell bei der Diversität unter den Mitarbeitenden seit Jahrzehnten ganz vorne dabei. Die Durchmischung in Bezug auf Geschlechter, Ethnizität, Nationalität, Alter, Sprachen und Talente wirkt sich direkt auf die Entlöhnung der Konzernleitung aus.

Tierversuche sind also kein Problem?

Jetzt wird es knifflig. Tierversuche werden teilweise vom Gesetzgeber verlangt. Wir können sie deswegen nicht automatisch ausschliessen. Jedoch können wir die Richtlinien in einem Unternehmen unter die Lupe nehmen und prüfen, wie sehr es sich bemüht, wirklich nur die allernötigsten Versuche am Tier vorzunehmen. Denn heute ist es möglich, viele Experimente in Zellkulturen oder elektronisch simuliert durchzuführen.

«Wir sind strikt bei Investitionen. Pornografie ist wie Atomenergie ein Ausschlusskriterium.»

Haben Sie Energiekonzerne mit Atomkraft im Portfolio?

Im Gegensatz zu Tierversuchen ist Atomenergie ein Aus­schlusskriterium. Beträgt der Anteil der Atomenergie mehr als fünf Prozent am Umsatz, investieren wir nicht in dieses Unternehmen.

Investieren Sie in Unternehmen, die Pornografie frei von Gewaltphantasien produzieren?

Pornografie ist wie Atomenergie ein Ausschlusskriterium. Wie der Inhalt ausschaut, spielt da keine Rolle.

In eine Schokoladefirma, deren Besitzerfamilie aus Glaubensgründen gegen Abtreibung und die Ehe für alle ist und mit homophoben Äusserungen auffällt?

Da würden wir wohl das Gespräch mit der Firma suchen. Je nach Reaktion kann zu einem späteren Zeitpunkt immer noch ein Abzug an der Gesamtbewertung vorgenommen werden. Fällt diese unter den Schwellenwert, wird das Unternehmen ausgeschlossen. Ich plädiere aber immer auch dafür, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Wir sehen uns nicht als moralische Kontrollinstanz für privates Verhalten von Führungspersonen oder Firmenbesitzern.

Verschwinden Firmen auch wieder von Ihrer Liste?

Natürlich. Wenn wir über neue Informationen verfügen, die den gut klingenden Worten eines Unternehmens widersprechen, dann handeln wir zügig.

Wann war dies das letzte Mal der Fall?

Erst kürzlich haben wir den Konsumgüterriesen Procter & Gamble mit einem Umsatz von 65 Milliarden Dollar ausgeschlossen. Der Konzern ist bekannt für Marken wie Pampers, Gillette oder Braun. Auf der einen Seite publiziert das Unternehmen einen umfangreichen Nachhaltigkeitsbericht. Auf der anderen Seite gab es in den letzten drei Jahren über 100 kontroverse Meldungen, wovon 5 als sehr schwerwiegend und 23 als schwerwiegend eingestuft wurden. Dieses Bild zeigt bereits die Diskrepanz zwischen Berichterstattung und Praxis. Im Wissen, dass die Überwachung eines multinationalen Unternehmens nicht trivial ist, sind wir mehrfach mit der Konzernzentrale in Cincinnati in Kontakt getreten. Der Dialog lief aber seitens von Procter & Gamble jahrelang ins Leere. Irgendwann war Schluss.

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Mai 2019
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Das Angebot Ihrer Firma steht nur Leuten offen, die mindestens eine halbe Million Franken mitbringen. Steht das nicht diametral zu Ihrer Devise, möglichst viele Menschen für nachhaltige Investments zu gewinnen?

Der Grund dafür liegt bei unserem Fokus: Wir investieren nicht in Fonds, sondern in Einzelaktien und Obligationen. Dabei müssen die Portfolios bei einer halben Million Franken und mehr liegen, da wir sonst nicht eine ausreichende Diversifikation mit den einzelnen Titeln schaffen.

Angenommen, auf meinem Sparkonto liegen 50 000 Franken. Was soll ich damit tun?

Brauchen Sie das Geld in den nächsten fünf Jahren, beispielsweise für eine Weiterbildung oder für eine Reduktion Ihrer Arbeitszeit, um die Kinder zu betreuen? Dann lassen Sie es auf dem Konto liegen. Falls nicht, nehmen Sie die Hälfte und investieren das Geld in einen nachhaltigen Aktienfonds.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, um mit Geld der Welt den richtigen Dreh zu geben?

Suchen Sie eine Bank, die Ihre Werte teilt. Und wenn Sie angestellt sind, fragen Sie doch einmal bei Ihrer Pensionskasse nach, was sie mit Ihrem Geld hinsichtlich Nachhaltigkeit tut. Kritische Fragen von Kunden sind überhaupt das Beste. Denn wie ein Unternehmen auf solche Fragen reagiert, ist sehr aufschlussreich. Geschieht dies transparent, ist das meist ein Zeichen von guter Unternehmensführung.

Sind bei Finanzinvestments Frauen oder Männer kritischer?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Männer sind kritisch, wenn sie einen entsprechenden beruflichen Hintergrund mitbringen. Meine Erfahrung ist aber, dass Frauen generell viele und kritische Fragen stellen.

Was war Ihnen eigentlich wichtig, Ihrem Sohn beim Thema Geld mit auf den Lebensweg zu geben?

Genügend Geld zum Leben ist wichtig. Ich versuchte, meinem Sohn aber immer auch vorzuleben, dass Gesundheit, Sinnhaftigkeit und die Motivation, gemeinsam mit anderen einen guten Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, wichtiger sind.