Das Datum ging in die Geschichte ein: Am 9. März 1522 servierte der Zürcher Drucker Christoph Froschauer seinen Gesellen Würste während der Fastenzeit. Er habe seine Mitarbeiter für die Überstunden wegen der Vorbereitungen für die Frankfurter Buchmesse entschädigen wollen, rechtfertigte er sich hinterher. Denn für den Bruch der Fastengebote musste er sich vor der Obrigkeit verantworten. An seiner Seite wusste er dabei Ulrich Zwingli. Dieser verteidigte seinen Drucker und Verleger in einer Predigt, die schon wenige Tage danach gedruckt erhältlich war.
Das Wurstessen zeigt beispielhaft, wie eng in Zürich die Anfänge des Buchdrucks mit der Reformation verknüpft waren. Die neuere Forschung geht davon aus, dass das Fastenbrechen eine gezielte Provokation war. Zwinglis Verteidigung folgten weitere Drucke, die kirchliche Traditionen ins Visier nahmen. Und so mündete die Auseinandersetzung in die erste Zürcher Disputation am 29. Januar 1523, die schliesslich die Reformation auf den Weg brachte. Ohne den gewieften Buchdrucker Froschauer, der Zwinglis Ideen als Flugschriften verbreitete, hätte die Reformation in der Schweiz kaum so schnell Breitenwirkung erreicht.
Christoph Froschauer stammte aus Bayern und kam um 1515 nach Zürich. Der Pflastersetzer und Strassenbauer Hans Rüegger, der seit 1504 eine kleine Druckerei in der Zürcher Altstadt nebenbei betrieb, stellte ihn ein. Nach Rüeggers Tod übernahm Froschauer die Druckerei und baute sie aus. Am 9. November 1519 erhielt er das Zürcher Bürgerrecht. Dem Rat der Stadt Zürich war daran gelegen, einen gelernten Drucker anzusiedeln. Dass die Einbürgerung ins selbe Jahr wie Zwinglis Amtsantritt am Grossmünster fällt, mag man als historischen Zufall verstehen. Die Freundschaft, die sich zwischen Froschauer und Zwingli entwickelte, war es nicht. Forschauer war offen für Neues: Er begrüsste Zwinglis Ideen ebenso, wie er sich stets für die neuesten Drucktechniken interessierte.

Portrait Christoph Froschauer (um 1490-1564), gemalt von Hans Asper.
Ein Spiegel der Geschichte Zürichs
Froschauer war zweifellos ein geschickter Unternehmer. Er gilt als einer der produktivsten Buchdrucker seiner Zeit. Er gab nicht nur die Zürcher Bibel von 1531 und die Schriften der Reformatoren heraus. Er verlegte auch Konrad Gessners legendäre Tierbücher, Joachim Vadians Beschreibung der Erdteile und die Chronik der Schweizer Geschichte von Johannes Stumpf. Nicht zuletzt wegen der reichen und aufwendigen Illustrationen gelten sie als Glanzleistungen frühneuzeitlicher Buchkunst. Bis zu seinem Tod 1564 veröffentlichte Froschauer über 700 Werke. Damit brachte er ein Unternehmen zur Blüte, das bis heute existiert: Orell Füssli.
Im Lauf der 500jährigen Unternehmensgeschichte änderte sich der Name des Unternehmens mehrfach, weil es bis ins 18. Jahrhundert stets nach seinen Eigentümerfamilien benannt war. Erst im 19. Jahrhundert wich man davon ab und liess die Namen der Zürcher Familien Orelli und Füssli als Firmenname auch nach Handänderungen bestehen. Doch seit Froschauers Einbürgerung, die bis heute als Gründungsdatum des Unternehmens gilt, ziehen sich auch Konstanten durch die Firmengeschichte. Wie kaum eine andere spiegelt sie die Kulturgeschichte und die Traditionen der Limmatstadt.
Reibungen an kirchlichen Vorschriften blieben noch lange ein Thema. Als Folge der Reformation vereinbarten die eidgenössischen Stände schon 1523 die Einführung der Zensur. In Zürich wachten bis zum Ende des Ancien Régime im Jahr 1798 Geistliche darüber, dass die zwinglianische Lehrmeinung eingehalten wurde. Nicht wenige von Froschauers Nachfahren gerieten in Konflikt mit Zensurbestimmungen. Ihr schärfster Kritiker wurde 1721 sogar aus Zürich verbannt. Hans Heinrich Bodmer, der die einstige Froschauer-Druckerei und den Verlag 1689 von seinem Vater geerbt hatte, gehörte als Mitglied des kleinen Rates zwar zum innersten Kreis der Obrigkeit. Aber seine Kritik an der reformierten Staatskirche und die Forderung nach Abschaffung der Zensur gingen zu weit. Er musste die Druckerei und den Verlag verkaufen und Zürich verlassen. Mit seiner Opposition legte er aber letztlich den Grundstein, um in Zürich den aufgeklärten Diskurs des 18. Jahrhunderts in Gang zu bringen.

Die Zürcher Bibel erschien 1531 als erste vollständige Übersetzung in die deutsche Sprache.
Aufklärer werden zu Verlegern
Die Firma fiel schliesslich an Rudolf Füssli (1709–1793), einen der beiden Namensgeber des heutigen Unternehmens. Den anderen Namensteil steuerte Hans Conrad von Orelli (1714–1785) bei. Er war der Neffe des Aufklärers und Literaten Johann Jakob Bodmer – mit dem verbannten Hans Heinrich Bodmer nicht verwandt. Auf Bodmers Anregung hin gründete Orelli einen eigenen Verlag, um dessen Werke zu publizieren. 1770 fusionierten die beiden Firmen. So entstand der Verlag, der die Werke aller Zürcher Aufklärer herausbrachte und eine beträchtliche Ausstrahlung erreichte. Bodmers Homer-Übersetzung, die erste deutschsprachige Ausgabe von Shakespeares Werken und die Idyllen von Salomon Gessner legten die Grundlage für Zürichs literarische Blütezeit, die als «Limmat-Athen» in die Geschichte einging.
Die Aufklärer waren als Teilhaber am Unternehmen ihre eigenen Verleger. Mit dieser ungewöhnlichen Kombination aus künstlerischem und kaufmännischem Talent liessen sie Zürich in die Top Ten der deutschsprachigen Verlagsstädte aufrücken – gemessen an der Zahl der jährlichen Veröffentlichungen. Die Wirkung ging darüber sogar hinaus und zog Gäste wie Goethe, Klopstock oder Wieland an die Limmat. In der experimentierfreudigen Aufbruchstimmung gaben die Verleger auch Zeitschriften heraus, die zu wichtigen Plattformen für den Meinungsaustausch wurden. Salomon Gessner war 1780 die treibende Kraft bei der Gründung der Neuen Zürcher Zeitung, die bis 1868 im Verlag Orell Füssli erschien, ehe sie verselbständigt wurde.
Man kann es als fruchtbare Verbindung von Geld und Geist sehen, die das Zürich der Aufklärungszeit prägte. Auch später blieb das so – obwohl die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche des 19. Jahrhunderts die Gewichtung immer wieder verschoben. Technische Neuerungen machten aus dem handwerklichen Drucken eine maschinelle Produktion im industriellen Massstab. Die Industrialisierung liess Zürich zum wirtschaftlichen Zentrum der Schweiz wachsen, nicht zuletzt dank Unternehmern wie Alfred Escher. Der Bedarf nach Drucksachen stieg rasant.
So druckte Orell Füssli schon 1827 die ersten Aktien für ein Unternehmen der Familie Escher und stieg dank Investitionen in die neuesten Drucktechnologien zur bevorzugten Druckerei der grossen Zürcher Firmen auf. Orell Füssli wuchs zur grössten Druckerei der Schweiz heran, mit Filialen in London und Süddeutschland. Möglich machte dies der Photochrom-Druck, den Orell Füssli zur Marktreife brachte und 1888 patentieren liess. Die Erfindung galt als Sensation. Echte Farbfotos gab es damals noch nicht. Aber nun konnte man erstmals aus schwarzweissen Fotos farbige Bilder herstellen – eine Illusion, welche die Menschen begeisterte und den Namen Orell Füssli auf der ganzen Welt bekannt machte.
Auch heute beeindrucken die Bilder mit ihren zauberhaften Farbtönen noch, weil sie eine Epoche zum Leben erwecken, die im kollektiven Gedächtnis schwarzweiss ist. Das genaue Verfahren hielt man aus Angst vor Nachahmung jahrzehntelang geheim. Es war technisch sehr aufwendig und erforderte von den Lithografen künstlerisches Flair und Fingerspitzengefühl. Das war wohl mit ein Grund, warum sich die Firma stolz als «Artistisches Institut Orell Füssli AG» bezeichnete, als sie 1897 an die Börse ging.

Der Blick von der Rigi im Morgenrot zeigt beispielhaft, wie die Farbeffekte der Photochrom-Drucke funktionieren.
Gemessen am Umsatz spielte der Buchverlag nun nicht mehr die erste Geige im Unternehmen. Er war gezwungen, sich neu zu orientieren. Mit Sachbüchern fokussierte er auf das wachsende Bildungsbürgertum. Belletristik trat in den Hintergrund. Ratgeber aus den Bereichen Gesundheit und Erziehung sowie die ersten Kinder- und Jugendbücher erschienen, darunter zum Beispiel Der schweizerische Robinson. Das Buch des Berner Münsterpfarrers Johann David Wyss mauserte sich zu einem veritablen Longseller.
Nach der Gründung der Universität Zürich (1833) gehörten bald auch profilierte Hochschullehrer wie der liberale Vordenker Ludwig Meyer von Knonau oder der Jurist Johann Caspar Bluntschli zu den Autoren. Doch keines dieser Segmente war so erfolgreich wie das Geschäft mit Reiseführern. Sie konnten zusammen mit Landkarten, Stadtplänen und den farbenprächtigen Photochrom-Ansichtskarten verkauft werden. Der stark wachsende Schweiztourismus wurde zum bedeutendsten Umsatzträger.
Als Folge der Reformation wurde 1523 die Zensur eingeführt. Nicht wenige von Froschauers Nachfahren gerieten in Konflikt mit ihr.
Dieses Geschäftsfeld brach allerdings mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ein, als der Tourismus komplett zum Erliegen kam. Zum 400jährigen Bestehen befand sich Orell Füssli 1919 in einer tiefen Krise. Die Buchhandlung, die seit den Zeiten der Aufklärer die grösste der Stadt war, oder gar den traditionsreichen Verlag aufzugeben kam für das damalige Management nicht in Frage. Aber für den weggebrochenen Photochrom-Umsatz musste ein Ersatz gefunden werden. Man fand ihn im Banknotendruck.
Banknoten und Globi-Bücher
1907 nahm die Schweizerische Nationalbank den Betrieb auf, ausgestattet mit einem Banknotenmonopol. Bis dahin waren Noten Sache der Kantone gewesen, die ihrerseits zahlreiche Banken beauftragt hatten, Noten herauszugeben. Über 400 verschiedene Noten waren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Umlauf – ein Wildwuchs, der die Entwicklung der Volkswirtschaft hemmte. Von Anfang an liess die Nationalbank einen Teil ihrer Noten bei Orell Füssli drucken, weil das Unternehmen Erfahrung vorweisen konnte.
Für einzelne kantonale Banken druckte es schon seit 1848 Noten. Gleichzeitig gelang es, weitere Aufträge für Banknoten zu gewinnen. So stellte Orell Füssli in den 1920er Jahren auch die Banknoten des ungarischen Staates her, der nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie neu gegründet wurde. Die Erträge wurden konsequent in den Auf- und Ausbau des Sicherheitsdrucks investiert.
Zwar mauserte sich der Banknotendruck im Lauf des 20 Jahrhunderts zum wichtigsten Geschäftsfeld. Aber der Dreiklang aus Buchverlag, Buchhandel und Druck blieb unbestritten. In der Zwischenkriegszeit prägten die Erfolgstitel des Flugpioniers Walter Mittelholzer das Verlagsprogramm. Sie standen am Anfang einer Sachbuchsparte, die zahlreiche Bestseller hervorbrachte: Reisen und Abenteuer. Autoren wie der Taucher Hans Hass, der Reiseschriftsteller René Gardi und später der Alpinist Willy Furter legten über Jahrzehnte erfolgreiche Titel vor. Nachhaltiger waren indes Publizisten mit wissenschaftlichem Hintergrund, die für ein breites Publikum schrieben, darunter der Historiker Jean Rudolf von Salis und der Musikwissenschaftler Kurt Pahlen.
Kinderbücher stiegen schliesslich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Aushängeschild des Verlags auf. Seit 1971 verlegt Orell Füssli die Werke des Malers Alois Carigiet, darunter den Klassiker Schellen-Ursli. Mit der Übernahme des Atlantis-Verlags kamen 2003 weitere Longseller ins Programm. Die von Kathrin Schärer illustrierten Geschichten von Lorenz Pauli gehören zu den jüngeren, vielfach ausgezeichneten Kinderbüchern. Und seit 2007 rundet der Globi-Verlag das Portfolio ab.
Bezogen auf den Umsatz ist der Banknotendruck heute das bedeutendste Geschäftsfeld von Orell Füssli. Seit 1981 ist die Nationalbank am Unternehmen als Minderheitsaktionärin auch beteiligt. Die damit verbundene Kapitalerhöhung erlaubte es, in die technische Weiterentwicklung der immer raffinierteren Sicherheitsmerkmale der Banknoten zu investieren und den technologischen Vorsprung zu wahren. Dass unter dem Dach der heutigen Orell Füssli Holding aber nicht nur Banknoten gedruckt werden, sondern auch Bücher verlegt und gehandelt werden, kann man durchaus als jene Verbindung von Geld und Geist verstehen, die für Zürich bis heute so charakteristisch ist und ihre Wurzeln in der Reformation hat.
Der Historiker Adrian Scherrer ist Co-Autor der Orell-Füssli-Festschrift und lebt in Wädenswil.
Orell Füssli Holding AG (Hg.): 500 Jahre Drucken. Orell Füssli: Tradition und Innovation seit 1519. Orell Füssli, Zürich 2019; 256 Seiten, 125 Franken.