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Freitag, 05. Oktober 2018

Herr Bauer, in Ihrem neuen Buch kritisieren Sie, dass die Deutschen betriebsblind sind, was den Islam anbelangt. Wie kommen Sie darauf?

Das Phänomen ist nicht nur in Deutschland anzutreffen. Sie finden es in ganz Europa. Der Islam wird von «Islamkritikern» nicht als Religion angesehen, sondern als rückständige und doktrinäre Ideologie, die sich mit den westlichen Werten angeblich nicht vereinbaren lässt. In diesem Kontext werden alle Muslime als religiöse Fanatiker diffamiert, die ihr mittelalterliches Menschenbild angeblich über die Welt verbreiten wollen. Allein die Wortwahl ist dabei entlarvend.

Inwiefern?

Nehmen Sie nur den Mittelalter-Begriff, der gern im Zusammenhang mit dem Islam verwendet wird. Unter dem wird im Westen alles subsumiert, was mit unserem Verständnis von Fortschritt unvereinbar scheint. Wer behauptet, der Islam vertrete ein mittelalterliches Weltbild, geht von einem sehr europäischen Geschichtsverständnis aus: Am Anfang steht die glorreiche Antike, gefolgt vom finsteren Mittelalter, von dem Wiedererwachen während der Renaissance und schliesslich von der Aufklärung als Wiege der Moderne. Gezwängt in dieses selbst für Europa reichlich schiefe und konstruierte Raster, wirken die islamischen Gesellschaften defizitär.

Dass sie nicht nur so wirken, sondern «mittelalterlich» sind, versucht Thilo Sarrazin gerade in seinem neuen Buch «Feindliche Übernahme» zu beweisen.

Der Beweis muss allein schon deshalb misslingen, weil es gar keinen Bruch zwischen Antike und Mittelalter in der islamischen Welt gegeben hat. Während Europa nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches ein beispielloses Chaos erlebte, in dem das antike Wissen zum Grossteil zerstört und vergessen wurde, schlossen die islamischen Gesellschaften nahtlos an die antike Bildungstradition an. Dabei bewahrten sie das antike Wissen nicht nur, wie man in Europa gerne behauptete, um dann von der intellektuellen Bühne wieder zu verschwinden. Muslimische Intellektuelle entwickelten das antike Wissen weiter und übertrumpften die römischen und griechischen Vorbilder teilweise bei weitem. Etwa in der Mathematik.

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