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Freitag, 08. Juli 2016

Als der pensionierte Pfarrer Peter Kuster in der Zeitung von der Kontroverse um den homosexuellen Pfarrer Maik Becker las, war er zutiefst erschüttert. Becker trat im März in den Thurgauer Kirchgemeinden Bichelsee und Dussnang zur Pfarrwahl an. Weil Becker jedoch keinen Hehl aus seiner Homosexualität machte, haben gleich mehrere Gemeindemitglieder von Bichelsee aus Protest leere Stimmzettel in die Urne gelegt. Becker verzichtete schliesslich aufs Pfarramt.

«Ich fand das schon starken Tobak», sagt Kuster, der seit sieben Jahren im Thurgauer Kirchenparlament sitzt. «Als ich am Tag darauf noch von den anonymen Mails und Drohungen erfuhr und dass Gemeindeglieder ihre Ablehnung damit begründeten, dass Schwule laut Bibel den Tod verdienten, hatte ich endgültig genug.» Kuster wandte sich in zwei Leserbriefen an die Öffentlichkeit, nannte die Gemeindemitglieder Fundamentalisten und nahm auch die Landeskirchen in die Pflicht. Diese müssten sich gut überlegen, wie viel Fundamentalismus noch tragbar sei.

Der ehemalige Spitalpfarrer beliess es aber nicht beim Leserbriefschreiben. Er nahm Kontakt mit Maik Becker auf und wollte von ihm wissen, was da passiert war. «Er erzählte mir, dass er Angst hatte, nicht mehr ruhig schlafen konnte und mit wörtlich ausgelegten Bibelzitaten attackiert wurde.» Und auch, dass er sich vom Kirchenrat ein Zeichen, eine Rehabilitation, gewünscht hätte.

Für Kuster war all das Anlass, eine Interpellation mit dem Titel «Landeskirchliches Bibelverständnis im Umgang mit Fundamentalismus und Homosexualität» aufzusetzen. Er wollte vom Kirchenrat wissen, wie dieser künftig «solchen Missbrauch der Bibel verhindern will», was er «gegen Intoleranz und Ausgrenzung in den eigenen Reihen zu unternehmen gedenkt» und welche Möglichkeiten er sieht, «den Nachholbedarf an theologischer Information und Bildung anzugehen».

Der Kirchenrat antwortete Kuster auf drei A4-Seiten. Unter anderem hiess es, «dass unter jenen, die dem Pfarrer die Stimme nicht gegeben haben, viele nicht aufgrund fundamentalistischer Argumentationsweise so entschieden haben, sondern eher aus einer wertkonservativen Grundhaltung heraus».

«Ich habe Mühe mit einer Theologie, die Menschen ausgrenzt. Diskriminierung zieht sich wie ein roter Faden durch die Kirchengeschichte.» Peter Kuster, ehemaliger Pfarrer

Zum Thema theologische Bildung meinte der Kirchenrat: Diese dürfe nicht so erfolgen, «dass man bei jenem Teil der Leute, die eine andere Position vertreten, einen ‹Nachholbedarf› diagnostiziert, während man die eigene Position im vornherein als die theologisch richtige» darstelle.

Ausserdem habe die Synode im Zusammenhang mit der neuen Kirchenordnung «erst kürzlich intensiv Diskussionen rund um Fragen der Homosexualität geführt».

Peter Kuster war mit der Antwort des Kirchenrats nicht zufrieden. Dieser unterschätze die Brisanz des Themas, sagte er letzte Woche an der Synode. Einen Antrag auf Diskussion stellte er dennoch nicht. Denn schon in den Vorsynoden sei die Diskussion teilweise sehr emotional und heftig gewesen. Dies habe ihm deutlich gemacht, dass die Synode nicht der richtige Ort sei, das Thema anzugehen.

Stattdessen verlas er einen knappen Brief an Pfarrer Maik Becker, der selber nicht anwesend war. «Es tut uns leid, dass Sie im Zusammenhang mit Ihrer Wahl in einer für uns nicht akzeptablen Weise verletzt worden sind. Wir distanzieren uns von jeder selbstherrlichen und aus unserer Sicht missbräuchlichen Bibelauslegung», stand im Schreiben. Kuster machte die Synodalen auf die Möglichkeit aufmerksam, den Brief im Anschluss an die Synode zu unterzeichnen. Somit war das letzte Traktandum nach zehn Minuten bereits abgeschlossen. Denn: Auch die Synode wünschte keine Diskussion.

Überrascht hat Kuster deshalb, dass 53 von 114 Synodalen seinen Brief unterschrieben haben: «Ich habe wegen der Stimmung, die mir zeitweise entgegengeschlagen ist, nicht damit gerechnet.» Nun könne er Maik Becker vermitteln, dass es im Thurgau auch Leute gibt, die ihn schätzten.

Kuster macht aber auch deutlich, dass die Angelegenheit für ihn noch nicht vom Tisch ist. Er habe Mühe mit einer Theologie, die Menschen ausgrenze. Diskriminierung ziehe sich wie ein roter Faden durch die Kirchengeschichte: Diskriminierung von Frauen, Juden, Andersdenkenden oder eben Homosexuellen. «Man kann mir nicht weismachen, dass das nichts mit der wörtlichen Bibelauslegung zu tun hat. Da stimmt etwas an der Theologie nicht», sagt Kuster.

Die Gründe dafür ortet er «in fehlender Information über moderne theologische Erkenntnisse». Wolle man am Klima etwas ändern, brauche es eine breitangelegte Bildungskampagne, die Jahrzehnte dauere. Kuster verlässt sich dabei nicht zuletzt auch auf seine Kollegen: «Zum Glück gibt es ein paar sehr moderate Pfarrer im Kreise der Bibeltreuen, die die Gabe haben, die Brücke zu schlagen von einem traditionellen zu einem modernen Glauben.»

Für Peter Kuster ist klar, dass nun eine Arbeitsgruppe gegründet werden muss, welche die Themen Diskriminierung, Bibelmissbrauch und Fundamentalismus angeht. Aber diese müsse parlamentarisch legitimiert sein, und das könne dauern. Das Parlamentsprozedere sei langwierig, das habe er unterdessen gelernt. Und der Kampf gehe nicht spurlos an ihm vorbei: «Die Resignation hockt immer vor der Türe.» Aber er wolle weitermachen – weil er wisse, dass Kirche auch anders sein kann.