Die Diele im Hause Moltmann dient als Empfangszimmer. Von hier aus sind alle Zimmer des Erdgeschosses einzusehen: das Wohnzimmer mit Blick auf das Neckartal, die Küche, das Arbeitszimmer. Zwei Ottomanen stehen bereit – so als wäre das Interview eine übliche Angelegenheit, für die man Mobiliar anschafft. Moltmann spricht langsam, aber präzise. Eine Stunde Gespräch ist vereinbart, nach genau einer Stunde verabschieden wir uns wieder. Die Vermutung, der schnelle Abschied könnte mit der begrenzten Energie eines 92jährigen zusammenhängen, zerschlägt der Theologe: Er plane, bald eine Reise nach Ostasien anzutreten.
Herr Moltmann, Ihr erfolgreichstes Buch, die Theologie der Hoffnung, ist 1964 erschienen. Seither ist Ihr Name unwiderruflich mit der Zuversicht verknüpft. Gab es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie die Resignation ergriffen hat?
Sicher! 1945, in einem Kriegsgefangenenlager in Belgien, ging es mir so schlecht, dass ich sterben wollte. Ein Feldwebel hat mich zum Sanitäter geschleppt. Ich habe überlebt.
Im Kriegsgefangenenlager sind Sie zum Glauben gekommen.
Ich hatte die Gedichte von Schiller und Goethe gelernt. Aber im Dreck des Gefangenenlagers sagten sie mir nichts mehr. Und dann bekam ich eine Bibel geschenkt. Ich habe zuerst die Klagepsalmen des Alten Testaments gelesen, sie gaben mir Worte für meine Gottverlassenheit. Und der gottverlassene Jesus am Kreuz hat mich von der Liebe Gottes überzeugt.
Die Klagepsalmen klingen nun auch nicht sonderlich hoffnungsfroh.
Aber sie geben mir Worte für den Schmerz.
Also steckt Hoffnung in der Resignation?
Nein, die Klagepsalmen bringen Klagen zum Ausdruck, nicht Resignation. Mit der Hoffnung war es auch nach dem Sterben meiner Frau vor zwei Jahren schwierig. Die Trauer und das Glück, das ich mit ihr gehabt habe und noch immer habe, halfen mir über die Resignation hinweg. Solange Sie noch Klagen und Worte für Ihren Schmerz haben, so lange resignieren Sie nicht.
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