
«Es geschehen noch Zeichen und Wunder.» – Wir verballhornen diese göttliche Erkenntnis in unserem alltäglichen Sprachgebrauch zur ironischen Bemerkung, wenn jemand doch noch etwas hinbekommen hat, von dem wir nicht mehr geglaubt haben, dass es jemals gelingen wird. Dass es dabei nicht mit irdischen Dingen zugegangen sein kann, ist pure Ironie.
Die eigentliche Bedeutung rührt aus der Exodus-Geschichte her, als Jahwe dem ägyptischen Pharao gleich zehn Plagen über dessen Land schickte, bis er das versklavte israelitische Volk endlich aus seiner Gefangenschaft entliess. Der Mann war kein Schnellmerker, so viel steht fest.
Aber immerhin hat er eins verstehen lernen müssen: Religiöse Zeichen sind immer an Macht gebunden. (Sein Fehler war, dass er dem Gott der Juden keine Macht zugestand.) Wenn der Gott des Alten Testaments nicht gerade seine donnernden Worte verlauten liess, seine Engel als Botschafter losschickte oder durch seine Propheten sprach, sandte er eben Zeichen.
Oft waren es Menetekel, unheilverkündende Warnungen. Im Neuen Testament dann überwogen die Heilszeichen, die Rettung, Hoffnung und Erlösung verhiessen.
Aber woraus bestünde die göttliche Macht, Zeichen zu senden, ohne die Macht derer, die befugt und kundig sind, diese Zeichen zu deuten? In den Naturreligionen waren es die Schamanen, in den Hochkulturen Ägyptens die Hohepriester, ebenso bei den Azteken und den Mayas.
Zeichendeutung ist in den Religionen stets an spirituelle Praktiken und religiöse Zeremonien geknüpft – in der kultischen Handlung wird das Zeichen erst offenbar. Dort wird es seiner Bedeutung gemäss zurückverwandelt in Worte, aus denen sich Taten ableiten lassen.
Kein Zeitalter beruft sich so explizit auf Zeichen wie die Ära der digitalen Transformation. In der Informatik werden Zeichen durch Codes dargestellt. Die Semiotik ist die Wissenschaft, die sich mit Zeichensystemen wie Bilderschriften und Formeln beschäftigt. Zeichen sind die Chiffren der Botschaften, die es zu enträtseln gilt.
Die Informationsflut hat zu einer Inflation der Zeichen geführt. Ein brennender Dornbusch würde heute allenfalls einen Feuerwehralarm auslösen oder als pittoreskes Motiv in der Wüste auf Instagram gepostet werden. Die Zeichen sind also ziemlich verblasst.
Propheten, die von sich behaupten, Gott habe ihnen ein Zeichen geschickt, um die Menschen zu warnen, würden heute eher als Scharlatane beschimpft. Zeichen am Himmel deutet die Nasa und nicht mehr die Theologie.
Im Bild des Regenbogens allerdings zeigt sich vielen mehr als eine physikalische Lichtbrechung: eine glücksverheissende Erscheinung. Als die vielleicht letzte optische Verbindung zwischen Erde und Himmel.
Bild: Keystone / brandstaetter images / Austrian Archives