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Man habe sie «in die dunkle Kammer verfrachtet. Abgeschottet von den sauberen, öffentlichen Blicken», so beklagt sich eine Figur in Martina Clavadetschers Buch «Vor aller Augen». Es ist die Stimme von Walburga Neuzil, die dem expressionistischen Maler Egon Schiele Modell gestanden oder vielmehr: gelegen hat. Denn Schiele wollte seine Modelle meist in der Horizontalen, mit gespreizten Beinen, und unbekleidet.
Im Clinch mit der bürgerlichen Sittlichkeit und im Verdacht der Kinderpornografie hat manches Werk Schieles in den Kunstschauen bis heute einen schweren Stand. So konnte sich Clavadetscher die «Auf dem Rücken liegende Frau» nicht ansehen, weil das Bild in einem Depot versorgt war. Umso mehr war die Neugier der Schriftstellerin geweckt, die 2021 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde. Neugier nicht nur auf das Bild und sein Motiv, sondern auch auf die Lebensgeschichte des Modells, die sich dahinter verbirgt.
So begann eine umfangreiche Recherche zu Frauenporträts von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert. Clavadetscher suchte nach den Geschichten jenseits der Klischees von idealisierten Musen und verdorbenen Strassenmädchen. Aus ihren reichhaltigen Befunden und unter Zuhilfenahme der Phantasie schuf sie Texte zu 19 Gemälden, die jedem der Modelle eine eigene Stimme verleihen.
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