Der ehrliche Klappentext

«Und dann klingelst du bei mir. Geschichten in Leichter Sprache» von Christoph Keller

Literatur kann kunstvoll und gleichzeitig leicht verständlich sein. Das zeigt ein Sammelband mit Texten von Schweizer Autorinnen und Autoren in leichter Sprache.
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Autor: Ralph Kunz
Freitag, 08. März 2024

Wer französische Küche mag, tut sich schwer mit Rohkost. Warum auf Rahm und Butter verzichten? Warum der Raffinesse der Sauce entsagen? Womöglich geht es literarischen Gourmets ähnlich mit diesem Buch in leichter Sprache. Es folgt Regeln, die auf Verständlichkeit zielen. Zum Beispiel werden nur kurze Aktivsätze verwendet, Konjunktiv, Genitiv und Passiv vermieden, Fremdwörter erklärt und eine einfache Typografie gewählt. Das schränkt den sprachlichen Ausdruck ein.

Die Texte sind weniger kompliziert und deshalb auch für Leser und Leserinnen zugänglich, die eine Leseschwäche haben. Das können Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen sein oder Personen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Gut so! Niemand wird bestreiten, dass leichte Sprache für Gebrauchsanleitungen oder Formulare nützlich ist. Aber ist sie auch schön? Kann man, um den Vergleich mit der Kulinarik noch einmal aufzunehmen, Geschmack daran finden? Lebt nicht die Haute Cuisine der Literatur vom Spiel mit der Sprache?

Christoph Keller wagte das Experiment. Sein Buch versammelt dreiundzwanzig Geschichten von Schweizer Autorinnen und Autoren und einige Juwelen aus der Weltliteratur, die leicht zu lesen sind. Dreizehn Geschichten sind neu entstanden. Und ja, es ist schön geworden, ein Buch, das auch denen gefällt, die das Spiel mit der Sprache lieben. Denn Literatur ist Sprachspiel, und sich an Regeln des Verzichts zu halten und zugleich Regeln der Konvention zu brechen ist dem Dichter oder der Erzählerin nicht fremd.

Es ist die Kunst, die sie üben. Im feinen Gewebe der einfachen Sätze eine Spur zum Wesentlichen legen – das kann zum Beispiel das gute Gedicht «Ich wollte nur sagen» von William Carlos Williams, übersetzt aus dem Englischen von Heinrich Detering: «Ich habe / die Pflaumen / im Eisschrank / gegessen // die du sicher / aufheben / wolltest / fürs Frühstück // Vergib mir / sie waren köstlich / so süss / und so kalt». Das ist köstlich!

Nicht alles ist so leicht, wie dem Pflaumendieb eine Absolution zu erteilen. Im leichten Gewand unglaublich Schweres erzählt zum Beispiel die Geschichte von Angélique Beldner. Es ist das Protokoll eines Gesprächs, das von Samuels Leben handelt, seinen Kindjahren in Holland unter den Nazis, dem Tod seiner Eltern und der Zeit in Zürich. Eine jüdische Lebensgeschichte. Die Sparsamkeit des Ausdrucks unterstreicht den Respekt der Erzählerin vor dem Zeugnis des Überlebenden. Was nicht gesagt wird, geht unter die Haut.

Überraschend dicht dann die Indienreise mit Damian Bright, wunderfitzig und witzig die Songs von Michael Fehr. Der Feinschmecker kommt auf seine Kosten und merkt: das Leichte kann anstecken, aber es kann auch anecken und den Atem stocken lassen. Etwa beim Lesen von Franz Hohlers Moritat. Sie handelt von Frau Kieser und Herrn Stark und ihren Hunden. Sie knurren, bellen und fressen einander auf. «Dann ist es wieder ruhig auf der Strasse.» Was dem Rezensenten keine Ruhe lässt. Hat er eine bitterböse Parabel über das Wölfische im Menschen gelesen?

Etrit Hasler fragt: «Warum eigentlich Gedichte?» und antwortet: «Weil ich es gerne mache.» Oder anders gewendet: Poesie muss nicht immer bedeutungsschwer begründet werden, und das ist höchst bedeutungsvoll. Ihre Punktlandung in der Poetik antwortet auf die Frage, warum sich Autorinnen und Autoren auf das Experiment des Regelwerks für leichte Sprache eingelassen haben.

Christoph Keller bestärkt und bestätigt sie im Nachwort: «Einschränkungen haben etwas Überraschendes: Sie befreien. Das haben mir fast alle Autorinnen und Autoren geschrieben.» Und er fügt hinzu: «Was mich am meisten an diesem Buch freut: Wie viel Freude es gemacht hat.» Das gilt uneingeschränkt auch für den Rezensenten.

Christoph Keller (Hg.): «Und dann klingelst du bei mir. Geschichten in Leichter Sprache». Limmatverlag, Zürich 2024; 224 Seiten; 30 Franken.

  • Warum so zaghaft?

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