Der ehrliche Klappentext

«Trump. Amerikas Wahl» von Alain Badiou

Der marxistische Philosoph Alain Badiou legt eine unbequeme Interpretation der Krise vor, in der sich westliche Demokratien derzeit befinden. Trump, Orban und Erdogan sind für ihn keine Ausrutscher, sondern zeigen die hässliche Wahrheit des globalen Kapitalismus.
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Freitag, 15. September 2017

Trump sei «eine Katastrophe» – so schrieb der französische Denker Alain Badiou zwei Tage nach der Wahl Trumps zum Präsidenten der USA. Damit war Trump als Person gemeint und zugleich als Symbol einer neuen globalen Entwicklung: «Bei Trump finden wir die gleiche prahlerische Vulgarität, das gleiche krankhafte Verhältnis zu Frauen und die gleiche berechnende Freiheit, in der Öffentlichkeit Dinge zu sagen, die für einen grossen Teil der Menschheit heute inakzeptabel sind, wie man sie auch bei Orban in Ungarn oder in Indien oder auf den Philippinen antreffen kann, aber genauso gut in Polen oder Erdogans Türkei.» Diese Entwicklung habe ihre Vorgeschichte: Für Badiou, den Marxisten, beginnt sie mit dem weltweiten Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus. Badiou, der bekannt ist für seine klaren Ansagen, findet auch für diesen entfesselten Kapitalismus deutliche Worte – er nennt ihn das «Ungeheuer». Es fresse Menschen, Werte, Märkte und werde am Ende sich selber und vielleicht auch die Welt zerstören.

Trump und seinesgleichen offenbaren für Badiou nichts anderes als das wahre Wesen dieses Monsters. Sie stünden für den Versuch, unter dem Stichwort der Identität wenigstens für die eigene Klientel, für die eigene Rasse, für die eigene Nation und für die eigene Wirtschaft die Lebensräume zu sichern – und dies mit allen Mitteln der Macht, wenn nötig auch unter Aufhebung von geltendem Recht und internationalen Verträgen. Badiou zeichnet ein düsteres Bild der Gegenwart und skizziert dabei «vier Zeichen der Zeit»: vollendete Brutalität, das Ende der politischen Strukturen, die steigende Frustration, die auch die Mittelschicht erfasst, sowie das völlige Fehlen von politischen Strategien über den globalisierten Kapitalismus hinaus. Dabei entstehe eine neue Form von Faschismus, ein «demokratischer Faschismus». Alles, was nicht in dieses Identitätsmuster passe, werde kriminalisiert und ausgeschlossen. Es mache zwar noch den Anschein, als könnten und würden die einzelnen Staaten agieren. In Wahrheit aber hätten sie ihre Souveränität an die Mechanismen des globalisierten Kapitalismus verloren und seien nichts als sein Handlanger. Dies verschärfe die Auseinandersetzungen: «Ich denke, dass heute ein Weltkrieg, wahrscheinlich mit Afrika im Zentrum der Interessen und Konflikte, tatsächlich möglich ist», so Badiou.

Gibt es Auswege aus diesem Schreckensszenario? Badiou, der in kommunistischen Bewegungen gross geworden ist, sieht in der Revolution die Alternative zu einem demokratischen Faschismus und einem möglichen dritten Weltkrieg. Eine Revolution, die für das Prinzip der Gleichheit stehe. Dafür brauche es eine Allianz der Intellektuellen, der revolutionären Jugend und der nomadischen Arbeiter aus aller Welt.

Badiou legt eine kompromisslose Interpretation der Krise der westlichen Demokratien vor, deren hässliche Fratze sich in Trump zu personifizieren scheint. Die Lektüre macht deutlich: Der Präsident der USA hat den Atom-Code in seiner Verfügung – das ist die konkrete Gefahr. Die Wahrheit geht allerdings tiefer: Der globale Kapitalismus ist nicht anders als gewalttätig denkbar, er trägt den Kriegs-Code schon immer in sich.

Während Badiou haarscharfe Analysen der Gegenwart gelingen, wirken seine antikapitalistischen Alternativen jedoch angestaubt: Die Geschichte hat sie überholt. Der Philosoph drückt sich vor der Frage, was den Sieg des Kapitalismus ermöglicht hat. War es nicht auch ein Versagen der kommunistischen Alternative, die Idee der Gleichheit aller menschenfreundlich zu gestalten? Und wer wünschte sich heute die Zeiten des Kalten Krieges, den Wettstreit zwischen Kapitalismus und Kommunismus zurück?

Doch allen Einwänden zum Trotz: Badious antikapitalistischer Blick auf die kapitalistische Gegenwart rüttelt auf.

Alain Badiou: Trump. Amerikas Wahl. Passagen-Verlag; Wien 2017; 72 Seiten; 12 Franken

Hans Jürgen Luibl ist Theologe und Medienwissenschaftler.

  • N° 16/2017

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