Der ehrliche Klappentext

«Nicht nur Mütter waren schwanger» von Alisa Tretau

Eltern jenseits der Norm: Ein Buch vereint ihre Geschichten rund um Kinderwunsch, Kinderkriegen und Elternsein. Durch die Herausgabe von Nicht nur Mütter waren schwanger hat die Autorin Alisa Tretau oftmals überhörten Stimmen Raum verschafft. Der Band ist eine Sammlung einfühlsamer Zeugnisse.
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Autorin: Geneva Moser
Freitag, 29. März 2019

Die Herausgeberin des Sammelbandes, Alisa Tretau, erlitt zwei Fehlgeburten in Folge. Auf ihre Trauer reagierte das Umfeld mit Schweigen. «Aus Angst, etwas Falsches zu sagen», mutmasst die Autorin im Vorwort des Buches. Mit Nicht nur Mütter waren schwanger will Tretau dem Schweigen entgegentreten und Tabus rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein brechen. Dazu lässt sie Menschen zu Wort kommen, die eine Fehlgeburt oder eine Abtreibung hinter sich haben, altersuntypisch schwanger wurden oder als Eltern gegen Rassismus ankämpfen mussten. Das Buch handelt aber auch von Pränataldiagnostik, Reproduktionsmedizin, Krebserkrankung, Kinderwünschen lesbischer Paare oder von Transmensch-Schwangerschaften. Dabei berichten Autorinnen und Autoren in meist sehr persönlichen Beiträgen von ihren Erfahrungen. Tretau bringt den Diskurs auf den Punkt: Während für heterosexuelle Paare Schwangerschaft als «natürlichste Sache» der Welt verhandelt werde, bleibe sie für beispielsweise lesbische Paare oder Transmenschen in den Augen der Mainstream-Gesellschaft eine «Unmöglichkeit».

So wie die Geschichte von Max. Der Transmann ist in der sechsten Woche schwanger, als bei ihm plötzlich Blutungen und starke Schmerzen einsetzen. In der Notfallaufnahme des Krankenhauses ist das Personal aber erst einmal damit beschäftigt, dass in seinem Ausweis ein männlicher Vorname und Geschlechtseintrag stehen. Die verletzlichen und existenziellen Momente der Fehlgeburt seines ersten Kindes verbringt Max damit, zu erklären, dass er ein Mann mit einem Uterus ist. Für seine Trauer wird ihm kein Raum gelassen.

Ebenfalls über den Tod schreibt die Autorin Mareice Kaiser in ihrem Beitrag. Ihre Tochter wurde mit einer mehrfachen Behinderung geboren und starb im Alter von vier Jahren. In schlichten, lyrischen Zeilen bringt sie zum Ausdruck, wie Trauer und die gleichzeitige Präsenz der verstorbenen Tochter Teil ihres Alltags sind: «Wie viele Kinder hast du? – fragt die Frau in der Bahn – Eins sage ich. Wie viele Kinder haben Sie? – fragt der Mann an der Kasse – Zwei sage ich. Wie alt sind ihre Kinder? – fragen sie – Fünf ist meine Antwort – Und für immer vier […]»

Die Geschichte der Tänzerin Diana Thielen wiederum zeigt, dass der Kinderwunsch bei gleichgeschlechtlichen Paaren oft mit einem hohen finanziellen Aufwand einhergeht: Während die Krankenkassen bei heterosexuellen Paaren die Kosten reproduktionsmedizinischer Massnahmen übernehmen, gehen diese im Fall von Diana und ihrer Partnerin vollständig auf ihre Rechnung.

Geschichten wie jene von Diana Thielen und Transmann Max zeigen auf, dass Elternschaft, die sich ausserhalb heterosexueller Normen bewegt, oft mit Benachteiligung verbunden ist. Hier leistet das Buch Aufklärungsarbeit. An mancher Stelle wünscht man sich allerdings, es würde in seiner gesellschaftlichen Kritik weiter gehen. So auch was die ethischen Fallstricke rund um Reproduktionsmedizin anbelangt. Dass in einer Gesellschaft der Machbarkeit auch der Druck wächst, bei unerfülltem Kinderwunsch medizinische Möglichkeiten zu beanspruchen, beleuchtet immerhin der Beitrag der Autorin Johanna Montonari. Sie hat Beraterinnen interviewt, die bei unerfülltem Kinderwunsch Hilfe anbieten. Die Gespräche machen deutlich, welch grosser sozialer Druck auf den Frauen lastet, schwanger zu werden.

Die Stärke des Sammelbandes ist der meist sehr intime Zugang der Autorinnen und Autoren. Nicht nur Mütter waren schwanger zeigt diese Realitäten inmitten der Gesellschaft einfühlsam auf. Die verschiedenen literarischen Formen und die berührenden Illustrationen von Pia Eisenträger machen es zugänglich und ansprechend.

  • N° 6/2019

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