Der ehrliche Klappentext

«Mitte des Lebens» von Barbara Bleisch

In ihrem neuen Buch «Mitte des Lebens» setzt die Philosophin dem Klischee der Midlife-Crisis eine optimistische Philosophie entgegen.
Die Seite wurde Ihrer Lesezeichenseite hinzugefügt. Klicken Sie auf das Menüsymbol, um alle Ihre Lesezeichen anzuzeigen. Die Seite wurde von Ihrer Lesezeichenseite entfernt.
Autor: Markus Ganz
Donnerstag, 05. September 2024

Wie finden wir neue Lebensziele, wenn vieles erreicht ist?», heisst es im Klappentext zum Buch «Mitte des Lebens». Wer die Autorin nicht kennt, könnte annehmen, es handle sich um ein zweifelhaftes Selbsthilfebuch gegen die Midlife-Crisis, um ein «In 10 Schritten zu neuem Lebensglück»-Werk.

«Mitte des Lebens» aber hat die Zürcher Philosophin Barbara Bleisch geschrieben. Sie wird als langjährige Moderatorin der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» und als Kolumnistin weitherum geschätzt. Auch ihre Bücher «Warum wir unseren Eltern nichts schulden» (2018) und «Kinder wollen» (2020) erhielten viel Beachtung und wurden zu Bestsellern. Ihre Stärken zeigen sich auch im neuen Buch. Es ist klug formuliert und doch leicht verständlich, auch hier erläutert sie mit souveräner Klarheit Fragen des Lebens.

Offensichtlich hat auch die Autorin die Gefahr der Fehleinschätzung ihres neuen Buchs erkannt. «Vielleicht kann dieses Buch wenn auch kein Ratgeberbuch, so doch ein Beratungsbuch sein: ein Buch für die Gemeinschaft der Suchenden», schreibt sie in der Einführung. Und präzisiert, dass sie ihr Buch als Landkarte verstehe. «Eine Landkarte gibt keinen Weg vor, sie weist nur befestigte Wege und Strassen aus (…). Den Weg durchs Gelände finden und gehen muss jedoch jeder und jede für sich.» Sie schlägt denn auch nicht Lösungen vor, sondern «Versuche, diese Lebensphase zu verstehen».

Barbara Bleisch, geboren 1973, verwendet die eigene Lebenssituation als Ausgangspunkt des Buchs. Rein statistisch gesehen habe sie die Hälfte ihres Lebens bereits an ihrem neununddreissigsten Geburtstag passiert. «Werde ich achtzig Jahre alt, bleiben mir heute noch 1560 Wochen. Das scheint mir erschreckend wenig.» Die Krise als Anlass für ein Buchprojekt? Die Reaktionen im Freundeskreis seien tatsächlich ambivalent gewesen, «eine Art Anleitung für die Wechseljahre?», habe es etwa geheissen.

Die Krise steht nicht im Mittelpunkt des Buchs. Es geht Barbara Bleisch zunächst darum, die Lebensphase zwischen etwa 40 und 65 zu analysieren. Charakteristisch für diese sei vor allem, dass viele Menschen zeitgleich in einem retrospektiven und einem prospektiven Modus lebten. «Im Leben ist irgendwann vieles entschieden: wen wir lieben, wo wir arbeiten, wie wir wohnen. Manche sind froh, angekommen zu sein – andere fürchten, festzustecken in einem Leben voller Routinen.» Es sei also an der Zeit, Bilanz zu ziehen und herauszufinden, wer wir wirklich sein wollen – und das weitere Leben entsprechend zu gestalten.

Barbara Bleisch sieht die Mitte des Lebens positiv, so wie das ganze Buch von einer optimistischen Grundeinstellung geprägt ist. Wenn man die existenziellen Fragen, die in dieser Phase aufbrechen können, klug und gewinnbringend bewältige, könne man zur freisten Zeit des Lebens ansetzen. So könne der vermeintlich langweilige Lebensabschnitt trotz «schmerzlicher Momente» und «Krisenanfälligkeit» letztlich «eine Phase der reichen Fülle» sein, ja sogar «die beste Zeit unseres Lebens» werden.

Was auffällt: Wie häufig vom Tod die Rede ist. Das ist insofern nicht überraschend, als viele Leute sich erst im mittleren Alter ihrer Sterblichkeit richtig bewusstwerden. Weil der Zeithorizont schwindet und Beschwerden langsam ernster werden. Entsprechend handelt das Buch zunehmend nicht nur von der Lebensmitte, sondern vielmehr von der ganzen zweiten Hälfte des Lebens, wenn «der Tod Einzug gehalten hat».

Spannend ist etwa Bleischs Exkurs über die zwei Seiten der «Nicht-Existenz, die nur durch den Lichtspalt unseres kurzen Lebens getrennt werden», aber völlig unterschiedlich bewertet werden. «Während wir die noch nicht gelebte Zeit vor unserer Geburt nicht betrauern, finden es offenbar die meisten durchaus bedauernswert, dass es eine Zeit nach ihrem Tod geben wird, in der sie nicht mehr leben.»

«Philosophieren heisst sterben lernen» lautet eines der geflügelten Worte der Philosophie, das auch in diesem Buch zu lesen ist. Barbara Bleisch zitiert liebend gerne und entsprechend häufig, nicht nur von Dichtern und Denkern, sie verweist auch auf beispielhafte Situationen etwa in einem Film («Lost in Translation») oder in ihrem Leben. Die Zitate und Verweise bereichern das Buch oft mit neuen Aspekten. Sie verstärken durch ihre Fülle aber auch den Eindruck, dass es, je länger man liest, umso mehr Wiederholungen gibt statt neue Erkenntnisse.

Barbara Bleisch: «Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre». Hanser, München 2024; 272 Seiten; 35 Franken.

  • Wer bin ich jetzt?

    N° 8/2024

    CHF14.00 inkl. 2.6% MwSt.
    In den Warenkorb