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Autorin: Olivia Röllin
Freitag, 10. Juni 2022

Für ihr Selbstportrait malte sich Tamara de Lempicka eigens einen Bugatti an; eigentlich fuhr die polnische Künstlerin einen Renault. Bild: Artepics / Alamy Stock Photo

Da sitzt sie, die Künstlerin selbst. Der Blick leicht spöttisch, leicht arrogant, auf alle Fälle keck am Betrachter vorbei. Die behandschuhte Hand liegt lässig auf dem Lenkrad ihres Cabrios, die manikürten Finger sind nur leicht angedeutet. Und die halb gesenkten Lider verraten, dass dieser Anblick für den Rezipienten bloss ein Hauch ist. Gleich schon braust sie davon. Was von ihr bleibt, ist der prägende Eindruck kühler Eleganz.

Das erste Mal habe ich «Tamara In A Green Bugatti» als Buchcover von Ayn Rands «Fountainhead» (auf Deutsch: «Der ewige Quell») gesehen. Allerdings war das nicht einfach irgendein Buch, sondern so ziemlich die wichtigste Lektüre meiner Gymi-Freundin. Rand, US-amerikanisch-russische Schriftstellerin und Philosophin, ist für ihren «rationalen Egoismus» und Libertarismus bekannt.

Für meine Kollegin – Tochter eines eingefleischten Kapitalisten – war Rand Pflichtlektüre. Durch sie hat sich mir recht bald eingebrannt, was die selbständige und finanziell unabhängige Frau angeblich ausmacht. Aber vor allem auch, wie sie sich gibt: Make-up «on fleek», gepflegte Robe, Stolz im Blick und ein Gefährt in der tiefen Farbe der Hoffnung. Heute fasziniert mich diese demonstrative Selbstbestimmtheit weiterhin, und weibliche finanzielle Unabhängigkeit scheint mir absolut zentral. Gleichzeitig stehe ich vielem, das plakativ nach Freiheit schreit oder diese fordert, skeptisch gegenüber, weil es selten zu beantworten vermag, wovon und wozu man diese Freiheit anstrebt.

Das Selbstportrait der polnischen Künstlerin Tamara de Lempicka entstand im Jahre 1929. Den Bugatti, damals ein Luxuswagen, hat sie sich malerisch angedichtet. Eigentlich fuhr sie einen herkömmlichen gelben Renault. Da Autofahren zu dieser Zeit noch eine Männerdomäne war, ist diese Selbstdarstellung bereits ein Statement. Lempickas Frauenportraits gelten denn auch als Ikonen der neuen unabhängigen Frau. Ihre eigene Biographie ist Zeugnis eines exzessiven Frauentypus, mit bisexuellen Liebschaften und voller Arbeitswut.

Irgendwann habe ich herausgefunden, dass das Selbstportrait als Einband von Ayn Rands Bestseller durchaus Sinn macht. Nicht nur, weil die beiden Zeitgenossinnen sind und Rand wohl ein sehr gutes Modell für de Lempicka gewesen wäre. Sondern auch, weil einige ihrer Bilder fast schon die Verbildlichung von Rands Gedanken zu sein scheinen.

So erinnert mich dieses Selbstportrait an ein Mantra meiner Gymi-Freundin, das aus einem dieser gleichermassen fragwürdigen wie einprägsamen Rand-Sätze bestand: «Die Frage ist nicht, wer mich lässt; sondern wer mich stoppen will.» Dieser Satz steht für mich inzwischen unsichtbar, sozusagen als Überschrift über de Lempickas Bugatti-Selbst, aber auch über der Erinnerung an das Leben meiner alten Freundin, die sehr jung verstarb.

Weil ich bis heute nur Abdrucke dieses Ölgemäldes kenne und es nie in echt gesehen habe, weiss ich nicht, ob meine Assoziationen dem Original standhalten oder doch ein grosser Fehlgriff sind. Allerdings sind die meisten Gemälde in prominentem Privatbesitz, und wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, mir keine Einladung bei Madonna verschaffen können, fürchte ich, für immer in Unklarheit darüber zu bleiben.

  • N° 5+6/2022

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