BILD: ROLAND FISCHER (WIKI-COMMONS)
Hulda klickt sich auf dem Online-Stadtplan der Stadt Zürich die Finger wund. Sie will herausfinden, wo in Zürich Kunst von Frauen im öffentlichen Raum zu finden ist – und Denkmäler über Frauen. Die Suche danach ist so mühsam wie die nach der Nadel im Heuhaufen.
Als Hulda den Stadtplan betrachtet, muss sie an die Kunstaktivistinnen der «Guerillagirls» aus New York denken, die 1989 fragten: «Müssen Frauen nackt sein, um im Metropolitan Museum of Art ausgestellt zu werden?» Die Aktivistinnen stellten fest, dass «weniger als 5 Prozent der Werke von Frauen stammen, aber 85 Prozent der Nackten Frauen sind».
Hulda findet nicht einmal das erste Denkmal, das zu Ehren einer Frau errichtet wurde. Hulda weiss, dass es existiert. 2003 wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt. Es war privat finanziert und Katharina von Zimmern gewidmet worden, der letzten Äbtissin des Fraumünster-Klosters in Zürich. Das Denkmal steht im Fraumünster-Kreuzgang. Es ist ein 11 Tonnen schwerer Quader, zusammengesetzt aus 37 Kupferblöcken. Es wurde von der zeitgenössischen Plastikerin Anna Maria Bauer hergestellt.
Katharina von Zimmern (1478–1547) wurde berühmt, weil sie während der Reformation, Ende 1524, die Fraumünster-Abtei der Stadt Zürich übergab. Ihr Verzicht auf Macht verhinderte Unruhen. Machtverzicht ist abstrakt, unscheinbar, er ist nicht in Greueltaten, gewonnenen Kriegen oder der Anzahl Toten zu messen. Könnte nicht Machtverzicht zu allgemeiner Prosperität führen? Denkmäler für Männer erinnern oft an brutale Machtausübung, wie das für den reitenden Warlord Hans Waldmann, das nebenan steht.
Über das Leben von von Zimmern wissen wir Genaueres, weil vier Frauen in den letzten Jahren recherchiert haben. Wie Detektivinnen besuchten sie Archive und lasen, was die Zeitgenossen über die Äbtissin geschrieben hatten.
Die Rezeption von von Zimmerns Geschichte ist beispielhaft für weibliche Repräsentation in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur: Sie musste erst mühsam entdeckt und für die Öffentlichkeit rekonstruiert werden. Die Geschichten der Frauen verrotten in den Archiven, während die Geschichten von Männern strahlende Denkmäler erhalten. Es gibt bis heute unzählige Geschichten von Frauen, die Männern zugeschrieben werden, wie die Corbusier-Liege, die von Charlotte Perriand mitentworfen worden sein soll.
1988 rief ein Zürcher Kirchenrat die «Dekade der Solidarität mit den Frauen» aus. Hulda fragt sich, weshalb nur eine Dekade? Sollte man nicht ein Jahrhundert ausrufen?
1982 hatte Verena Loewensberg als erste Künstlerin eine Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich. Swissinfo zählte von 2008 bis 2018 15 Prozent Einzelausstellungen von Künstlerinnen im hoch subventionierten Museum, 2019 gab es keine, 2020 und 2021 eine. Pipilotti Rist war 2016 die bisher letzte lebende Künstlerin, der diese Ehre zuteil wurde. Lebenden Männern wurden in dieser Zeit einige Ausstellungen gewidmet.
Ums Kunsthaus herum gibt es etwa 12 Kunstwerke von Männern und ein einziges von einer Frau, von Pipilotti Rist.
Sogar die Politik realisierte das Ungleichgewicht und gelobte Besserung. Der Gemeinderat beschloss, ein zweites Denkmal für Katharina von Zimmern zu errichten, ein figürliches.
Hulda fragt sich, ob abgesehen von Katharina von Zimmern keine andere bedeutende Frau in Zürich gelebt hat, der ein Denkmal gewidmet werden könnte. Muss Seldwyla noch eine weitere wissenschaftliche Studie abwarten, um Huldas Beobachtungen zu verifizieren und über eine gesellschaftliche Repräsentation im öffentlichen Raum nachzudenken?
Zurück zum neuen Denkmal für von Zimmern. Im Moment schiessen weltweit zweitklassige, oft sexualisierte figürliche Bronzestatuen zu Ehren von Frauen aus dem Boden. Huldas Mops kotzt. Hulda: Ogottogott.
@huldazwingli ist ein Instagramprofil. Hinter dem Pseudonym bloggen Aktivistinnen und Aktivisten über strukturelle Ungerechtigkeiten im Schweizer Kulturbetrieb.