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Autorin: Brigitte Moser
Freitag, 14. Oktober 2022

Schmuckobjekt von Regula Freiburghaus. Ring aus mattiertem und geschwärztem Silber.

Er ist mehr Objekt als Schmuckstück, der Ring der Basler Schmuckkünstlerin Regula Freiburghaus. Er ist gross und schwer, das gefällt mir. Noch trage ich ihn nicht. Jedes Schmuckstück und jedes Kleidungs­stück, das ich kaufe, betrachte ich erst eine Weile lang, bis es meins geworden ist und ich mich damit wohlfühle. Wenn ich den Ring anschaue, sehe ich eine Art Kelch, eine Hülle aus rudimentär geformten Blättern. Darin geborgen vier aufgesprungene Samenkapseln.

Die Blätter sind nicht rundum gleich geformt. Auf der einen Seite sind sie so gross wie die Kapseln, auf der anderen Seite sind sie kleiner und lassen die spitzen, aggressiven Krallen der Kapseln über das Blatt hinausragen. Regula Freiburghaus sammelt Früchte der Natur und giesst sie dann ab. Mich fasziniert das Zweischneidige, Zwiespältige dieses Schmuckobjekts. Die grossen, gerundeten Blätter, die das stachlige Innenleben einerseits beschützen, andererseits betonen. Speziell ist die Schiene für den Finger. Sie ist nicht, wie bei einem Ring üblich, schön gerundet, sondern hat auf der einen Seite einen gut sichtbaren Buck.

Auffällig ist auch die Farbe. Das Silber ist nicht schwarz, eher braun-grau, so wie nasses Laub im Herbst. Wahrscheinlich hat die Künstlerin es mit Schwefelleber geschwärzt. Das sind gelbe Steine, die man in der Apotheke kaufen kann und die grusig stinken, nach faulen Eiern, wenn man sie in warmem Wasser auflöst. Legt man das Silber in dieses Schwefelbad, wird es schwarz. Und bleibt auch schwarz, ausser an den Stellen, wo das Edelmetall Reibung ausgesetzt wird. Da, wo die Blätter des Kelchs überein­anderlappen, da wird das Gräuliche des Silbers mit der Zeit vielleicht verblassen und zu glänzen be­ginnen. Weil diese Stellen des Schmuckstücks an etwas reiben, an Kleidern, an der Haut, an all dem, was ich in die Hand nehme. Das Objekt, ein Phantasieteil, entstanden aus abgegossenen Samenkapseln und einem von der Künstlerin geformten Blatt, wird sein Aussehen also verändern. Wie eine Frucht der Natur.

Wavescanner 01_29_19_C0008-H, eine Serie von fünf Bildern des Künstlers Matthias Moos. Für jedes der fünf Bilder hat Moos in einem Aufnahmezeitraum von 30,3 Sekunden 3640 Bilder gefilmt, den Film dann in einzelne Frames zerlegt, aus jedem Frame einen vertikalen Streifen extrahiert – ein Pixel breit – und die Streifen danach wieder neu zusammengesetzt.

Die Natur spielt auch bei einem weiteren Kunstwerk, das mich beeindruckt, die Hauptrolle. Es sind fünf Fotos des Zuger Künstlers Matthias Moos, sie nehmen an meinem Arbeitsplatz eine ganze Wand ein. Matthias fotografiert mit seiner Kamera den Zugersee, der vor seiner Haustür liegt. Wobei fotografieren nicht das richtige Wort ist, er filmt den See, seine Bewegungen, seine Wellen, und setzt die Bilder, die er dabei macht, digital neu zusammen. Ich verstehe seine Technik nicht; als ich ihn einmal zu seiner Arbeit befragte, erklärte er mir, er erstelle quasi visuelle Algorithmen. Mit seiner Kamera sucht er im Rhythmus der Wellen nach Wiederholungen.

Ich stehe mit dem Zugersee nicht auf gutem Fuss. In den neunziger Jahren hat mich irgendein Viech ins Bein gebissen, als ich schwimmen war, draussen im Wasser, nicht in Ufernähe. Seither habe ich keinen Fuss mehr in den See gesetzt, und auch wenn ich auf dem Schiff bin, ist er mir nicht geheuer. Ich kann nicht ins Wasser blicken, es zieht mich hinunter.

Matthias’ Bilder gefallen mir, weil sie keine Farbe haben, und mir gefällt die Bewegung darin. Im Bild in der Mitte ist sie am stärksten, der See öffnet sich nach unten hin. Ich frage mich, was auf seinem Grund liegt. Diese Frage treibt mich seit längerem um. Ich stelle mir vor, dass die Rigi, einer der Berge, die dem See seinen Rahmen geben, so tief hinunter ins Wasser reicht, wie sie hoch ist. Ansonsten ist es in der Tiefe wohl einfach dunkel. Eine andere Vorstellung mag ich mir nicht machen. Die Bilder hier an meiner Wand tun mir gut, sie versöhnen mich mit dem See. Nun kann ich ihn ohne Herzklopfen betrachten.

  • N° 9/2022

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