

Ugo Rondinones Kunstwerk prangt auf dem Dach der Kunsthalle Zürich.
Als Teenagerin in den Nullerjahren verbrachte ich so viel Zeit an unserem Familiencomputer, dass ich mich regelmässig mit meinem computerspielsüchtigen Bruder in die Haare kriegte. In meinem Benutzerinnenkonto reihten sich Ordner um Ordner aneinander mit Bildern, die ich aus dem damaligen Internet zusammengespeichert hatte: Fotos meiner liebsten Bands (und natürlich meiner verehrtesten Bandmitglieder, aus unerfindlichen Gründen allen voran Pete Doherty). Dazu Illustrationen und Comic-Ausschnitte mit englischen Sprechblasen, die ich noch kaum verstand. Und allerlei Fotos, von schönen Frisuren und ästhetischen Atmosphären – plus einem Leuchtschriftzug, der in Regenbogenfarben den Satz «Love Invents Us» in die Nacht strahlte.
Ich wusste damals nicht, ob es sich hier um eine hyperrealistische Illustration, um eine Fotomontage oder um Streetart handelte. Himmel, ich wusste noch nicht einmal, warum mir das Bild so gut gefiel. Regenbögen waren mir damals recht egal, und der Satz «Liebe erfindet uns» ist ja auch eher kryptisch.
Das Bild erinnert mich ein wenig daran, dass ich im selben Alter mal ein Auto-Duftbäumli gekauft habe, das kein Bäumli war, sondern ein Regenbogen. Darunter stand: «I’m not gay, I just really love rainbows.» Wie gesagt: Ich liebte Regenbogen eigentlich nicht, und rückblickend war ich ein ganzes Jahrzehnt davon entfernt, mich zu outen. Vielleicht war’s ja etwas Unbewusstes. Wie beim Leuchtschriftzug. Das Foto von «Love Invents Us» überlebte jedenfalls mehrere Computer-Umzüge, die Datei verbrachte mindestens eine Handvoll Jahre in einem meiner Ordner.
Erst viel später realisierte ich, dass es sich um ein Kunstwerk handelt – aber davor musste ich erstmal verstehen, dass der Schriftzug real existiert. Meine Internet-Feldzüge zu Jugendzeiten waren so Amerika-lastig, dass ich gar nicht in Erwägung gezogen hatte, dass der Schriftzug sich in meiner geografischen Nähe befinden könnte. Als ich vor etwa sieben Jahren nach Zürich zog, leuchtete er eines Nachts einfach vor mir: hoch oben, unweit von meiner ersten gemeinsamen Wohnung mit meiner Partnerin.
Der Regenbogen hatte mich gefunden, und ich staunte nicht schlecht ob des Kunstwerks. Dass es eines war, eine sieben Meter breite Installation des Schweizer Künstlers Ugo Rondinone aus dem Jahr 1999, realisierte ich wiederum etwas später, als mir bewusst wurde, dass sie auf dem Dach der Kunsthalle Zürich prangte. Das tut sie bis heute.
Ich besuche mein Lieblingskunstwerk am liebsten in regnerischen Nächten, dann leuchtet es besonders hell und bunt. Rondinones Regenbogenschriftzüge – «Hell, Yes!», «We Are Poems», «Everyone Gets Lighter» – leuchten in verschiedenen Städten der Welt, von Glarus über Paris bis London oder Pittsburgh. Aber «Love Invents Us» bleibt mein Lieblingswerk. Es fühlt sich an, als würde ich den Satz nie ganz verstehen können. Aber mit der Zeit immer besser.