Die gute Nachricht vorneweg: Unbezahlte Arbeit wird heute in der Schweiz gleichmässiger zwischen Frauen und Männern aufgeteilt als noch vor zehn Jahren. Teilzeitarbeit unter Männern nimmt zu; sie bringen die Kinder in die Krippe, stehen selbstverständlich hinter dem Herd. «Allerdings ist die Aufteilung auf sehr bescheidenem Niveau, weit entfernt von fünzig-fünfzig», sagt Christof Arn. Der Ethiker ist einer von 16 Fachleuten, mit denen das Autorenpaar Heidi Kronenberg und Samuel Geiser für sein Buch «Küchengespräche. Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?» gesprochen hat.
Bis ein «fair share», eine hälftige Aufteilung zwischen Frauen und Männern erreicht werde, dauere es noch 46 Jahre, sagt Gleichstellungsexperte Markus Theunert. Grundlage für diese Aussage sind Zahlen, die das Bundesamt für Statistik errechnet hat. Theunert ist selbst Vater einer Tochter und wünscht ihr für die Zukunft, dass sie «stark genug ist, schon beim ersten Date die Frage zu stellen: Wirst du deine Hälfte der unbezahlten Arbeit leisten? Etwas zugespitzt: Zuerst das Geschäft, dann die Romantik.»
Szenenwechsel an den Mittagstisch zu den Regenbogenvätern Ciccio und Raphael Ravi-Pinto. Sie leben mit ihren drei Kindern in der Stadt Bern. Wir lesen: «Es ist 11.50 Uhr; High Noon rückt nah und näher. Eigentlich hat heute, an einem Mittwoch, Ciccio Küchendienst. Aber Raphael springt aus dem Home-Office helfend ein, damit das Mittagessen rechtzeitig fertig wird. Auch die dreijährigen Zwillinge Giada und Zeno helfen tüchtig mit, schälen Rüebli und wollen die Spaghetti partout jetzt schon in den Topf stecken, lange bevor das Wasser kocht.»
Das Buch lebt neben den Expertengesprächen von den Einblicken in familiäre Alltagssituationen: in jene von «klassischen» Familien, von Alleinerziehenden, von Gross- oder Singlehaushalten. Geiser und Kronenberg sind nahe dran und kommentieren das Geschehen. Sie schildern Szenerien so exakt, dass die Leserinnen das Gefühl haben, mittendrin zu sein. «Der Kappla-Turm ist beeindruckend auf über einen Meter gewachsen. Dann wird es ganz still, während Christian die letzten Holzplättchen auf die Spitze legt. Der Turm schwankt zwar leicht, bleibt aber stehen. Das Werk ist vollbracht. Sachte von den Stühlen aufstehen, behutsam Fotoapparat und Aufnahmegerät einpacken und beim Abschied nicht zu heftig die Hände schütteln», notiert das Duo zum Besuch bei einer Familie, die sich Haushalt und Arbeit hälftig aufteilt.
Ein Gewinn sind die Bilder von Yoshiko Kusano. Seit zwanzig Jahren arbeitet sie als freischaffende Reportagefotografin. Sie zeigt eine ungeschönte Realität, fernab des inszenierten «Insta-Glam». Die Bilder lockern auf, gleichzeitig verstärken sie die Authenzität, weil mit Kinderspielzeugen übersäte Wohnzimmerteppiche oder überfüllte Schuhgestelle zu sehen sind. Leser fühlen sich ertappt oder beginnen darüber nachzudenken, wie das eigene «Haushaltsleben» organisiert ist. Diese Denkanstösse sind inspirierend, aber auch anstrengend. Das Buch ist vollgepackt mit Beobachtungen, Fakten, Informationen, Schilderungen. Das ermüdet. Mehr Mut, Details wegzulassen oder ganze Kapitel zu streichen, hätte geholfen.
Dafür kann man durch die Unterteilung der Kapitel in Experten- oder Haushaltssituationen an verschiedenen Stellen in das Buch einsteigen und muss es nicht zwingend linear lesen. Zudem haben Kronenberg und Geiser überraschende Zugänge gefunden, etwa wenn sie in einem Interview mit der Literaturprofessorin Christine Lötscher über das Haushaltsbild in Märchen sprechen. Interessant sind auch Visionen, wie Haushalt neu gedacht werden könnte – mit einer Care-Steuer für Unternehmen oder solidarisch finanzierten Bildungs- oder Betreuungsangeboten. Utopien, die sich im Familien- oder Freundeskreis debattieren lassen, um die Gleichstellung noch mehr voranzubringen.
Samuel Geiser und Heidi Kronenberg, Yoshiko Kusano (Fotos): «Küchengespräche. Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?» Rotpunktverlag, Zürich 2024; 296 Seiten; 38 Franken.