Der ehrliche Klappentext

«Kraft» von Jonas Lüscher

Mit seinem Roman «Kraft» ist dem Schweizer Autor Jonas Lüscher eine präzise Gegenwartsparabel gelungen. Sein Portrait des europäischen Intellektuellen Richard Kraft, der im Silicon Valley an der Formulierung eines säkularen Gottesbeweises scheitert, ist brillant geschrieben und von dunklem Humor getragen.
Die Seite wurde Ihrer Lesezeichenseite hinzugefügt. Klicken Sie auf das Menüsymbol, um alle Ihre Lesezeichen anzuzeigen. Die Seite wurde von Ihrer Lesezeichenseite entfernt.
Freitag, 23. Juni 2017

Richard Kraft, Rhetorikprofessor aus Tübingen, braucht Geld. Im Beruflichen ist er zwar ein brillanter Kopf, privat jedoch komplett erfolglos. Seine zweite Ehe mit Heike steht kurz vor dem Aus, die Eheleute sind in einem «Klein-Klein aus Begehrlichkeiten, Eitelkeiten, Wichtigkeiten und gegenseitigem Aufrechnen von Verzicht und Leistung stecken geblieben». Die Scheidung muss her, und Kraft will sich freikaufen. Neben den Zwillingen mit Heike hat er noch zwei uneheliche Söhne aus grauer Vorzeit.

Da kommt es Kraft gerade recht, dass ein deutscher Investor und Internetmogul aus dem Silicon Valley einen mit einer Million Dollar dotieren Preis ausschreibt. In einem Essay sollen die Teilnehmer die Frage «warum alles, was ist, gut ist und wie wir es noch verbessern können» beantworten.

Neoliberale Optimierung ist also das Stichwort der Ausschreibung, in der es um eine zeitgemässe Beantwortung des Leibnizschen Theodizeeproblems geht. Leibniz stellte einst fest, dass wir in der «besten aller möglichen Welten» lebten, und fragte sich, warum dann Gott, wenn er doch allmächtig sei und den Willen zur Güte haben müsse, menschliches Leid zulässt. Der Internetunternehmer steht stellvertretend für Zuckerberg und Co. Er investiert sein Vermögen in zahlreiche schwimmende Inseln, von denen aus ungestört und fernab jeglicher staatlicher Regulierungen gelebt, geforscht und gearbeitet werden kann.

Als Kraft in Stanford ankommt und auf dem Campus an seinem Essay arbeiten soll, will ihm der geforderte Zweckoptimismus so gar nicht gelingen. Er sitzt vor dem Konterfei seines ehmaligen Helden Donald Rumsfeld, sieht in seine Adleraugen und fühlt nur eine unsägliche Leere in seinem Kopf.

Statt einen fulminanten Essay zu schreiben, steht Kraft vor den Trümmern seines Lebens. Noch zu Studienzeiten hatte er mit seinem ungarischen Studienfreund Istavan gegen den Ostblock denken können, die beiden kokettierten mit einer neoliberalen Geisteshaltung, weil man sich dadurch von den anderen Studierenden unterscheiden konnte. Nun muss Kraft einsehen, dass seine Positionen längst Mainstream geworden sind. Im warmen Kalifornien herrscht eine Marktfrömmigkeit, die Ausdruck einer kapitalistischen Universalreligion ist. Und hier nun soll Kraft eine Art säkularen Gottesbeweis, eine Antwort aus dem Silicon Valley auf die Weltlage, liefern. Er scheitert grandios.

Autor Jonas Lüscher nimmt im Buch eine auktoriale Erzählperspektive ein, ist selbst also nicht Teil der Geschichte. Stattdessen führt er den Leser als eine Art Vermittler in Krafts Vita ein: Dessen Entwicklung mischt sich mit der der alten Bundesrepublik unter Otto Graf Lambsdorff, Hildegard Hamm-Brücher und Helmut Kohl. Lüscher nimmt seine Leser mit in den Bundestag, als dort das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt gestellt wird, zu der späteren Wende und zum Zerfall des Ostblocks. Kraft wird dabei zur Karikatur des europäischen Intellektuellen, der dem digitalen Totalitarismus des Silicon Valley nichts mehr entgegenzusetzen weiss. Lüscher präsentiert uns eine Gegenwartsparabel: hier die Macht der New Economy, das teilweise vulgäre, von der Selbstoptimierung durchdrungene Silicon Valley; dort das überholte alte Europa, das er in der träumerisch-dichterischen Universitätsstadt Tübingen ansiedelt.

Für diesen Roman hat der 40jährige Lüscher seine Doktorarbeit sausen lassen und auf beste Weise eines seiner Stipendien, das ihn unter anderem nach Stanford führte, zweckentfremdet. Das Resultat ist zwar nicht einfach zu lesen, dafür aber unglaublich vielschichtig und scharf in der Analyse. Der dunkle Humor, mit dem Lüscher das Scheitern des kraftlosen Kraft beschreibt, ist einmalig gut.

Jonas Lüscher: Kraft. C. H. Beck; München 2017; 235 Seiten; 23 Franken.

Constanze Broelemann ist Theologin und freie Journalistin. Sie lebt in Basel.

  • N° 11/2017

    CHF6.00
    In den Warenkorb