Der ehrliche Klappentext

«Faschismus: eine Warnung» von Madeleine Albright, Bill Woodward

Madeleine Albright zeigt in Faschismus, wie fragil die heutigen Demokratien sind und wie sehr sich Trump und Mussolini ähneln. Mit zahlreichen Anekdoten aus der Geschichte und der eigenen Erinnerung zeichnet die ehemalige Aussenministerin der USA die Entwicklung des Faschismus nach. Ihr ernüchterndes Fazit: Der Faschismus ist mitten unter uns.
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Freitag, 02. November 2018

Warum müssen wir heute wieder über Faschismus reden? Für Madeleine Albright trägt die Antwort einen Namen: Donald Trump. Spätestens seit seinem Amtsantritt klafft die verheilt geglaubte Faschismuswunde auch in westlichen Demokratien wieder offen auseinander. Um das Phänomen zu begreifen, kehrt Madeleine Albright zusammen mit Co-Autor Bill Woodward zurück zu den Ursprüngen der politischen Gewalt im 20. Jahrhundert und folgt dazu ihren Hauptfiguren. Albrights Erzählung beginnt mit Mussolini. Sie zeichnet nach, wie er sich von einem Sozialisten in einen Patrioten verwandelte, eine Bewegung aufbaute und an die Macht kam. Dabei gelingt es ihr aufzuzeigen, wie wenig geradlinig sich die faschistischen Machtergreifungen und der Zweite Weltkrieg entwickelt haben. Es hätte alles auch anders kommen können. Und sie veranschaulicht, wie faschistische Bewegungen in anderen Ländern scheiterten, obwohl es auch hier Vorzeichen wie Armut und Ressentiments gegen Minderheiten gab.

Für Albright stellt sich die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Wechselspiel von jungen Demokratien und antidemokratischen Entwicklungen dar. So beschreibt sie etwa, wie die heutige Türkei unter Erdoğan mehr und mehr die demokratischen Strukturen verliert, die Atatürk zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte. In dieser Entwicklung erkennt sie jene faschistoiden Tendenzen, die kennzeichnend für die politische Gegenwart sind.

Spannend an dem Buch sind die Parallelen, welche die Autorin zwischen der Rhetorik heutiger Politiker und den Führern des Faschismus zeichnet. Bereits Mussolini verkündete vor den Massen, «den Sumpf der Eliten trockenzulegen» – eine Formulierung, die Donald Trump eins zu eins übernahm.

Episoden aus Albrights Leben, ihrer Arbeit als Aussenministerin sowie Süffisantes aus dem Leben von Mussolini, Hitler und anderen machen das Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre. So weiss sie zu berichten, dass Mussolini genervt war von Hitler, weil dieser in ihren Gesprächen immer so viel redete. Um sich zu revanchieren, soll er zum Entsetzen Hitlers bei einem gemeinsamen Flug nach Berlin darauf bestanden haben, das Flugzeug selbst zu steuern.

Gleichzeitig ist der Schwachpunkt des Buchs, dass Albright oft einfach beim Erzählen der Geschichten bleibt und nicht klarer macht, welche geschichtlichen Entwicklungen sie als faschistisch einstuft und welche nicht. Auch ihr Verständnis von Faschismus ist zu kurz gegriffen. Im Buch erscheint quasi alles als faschistisch, was die heutige repräsentative Demokratie gefährdet. Der Nationalsozialismus war Faschismus genauso wie der Realsozialismus. Das ist erstaunlich undifferenziert und entgegen gängigen Definitionen, die Faschismus mit Nationalismus und Rassenideologien verbinden. Diese Unterlassung könnte auch mit der eigenen Verortung der ehemaligen amerikanischen Aussenministerin zusammenhängen: Die Beschreibung der US-amerikanischen Politik fällt bisweilen naiv und ideologisch aus. Abgesehen von den «Ausrutschern» Donald Trump und Joseph McCarthy werden die Vereinigten Staaten als selbstlose, für die weltweite Demokratie kämpfende Nation beschrieben. Geradezu bizarr lesen sich auch die Seiten, als Albright von ihrem Engagement in der Volksabstimmung zur Absetzung des chilenischen Diktators Pinochet berichtet: Sie erwähnt an keiner Stelle, wie dieser zuvor von den USA an die Macht geputscht wurde, was zum Sturz des demokratisch gewählten, aber zum Unmut der USA sozialistischen Präsidenten Salvador Allende führte. Nach Albrights Verständnis müsste man auch bei dieser Intervention von Faschismus sprechen.

Diesem Einwand zum Trotz: Albright gelingt es, die Brüchigkeit der Demokratie aufzuzeigen. Dass der Faschismus nicht einfach vorbei ist und die Welt immer demokratischer wird, führt sie deutlich vor Augen. Ihr Buch schliesst mit dem beunruhigenden Fazit, dass der Faschismus heute «eine gefährlichere Bedrohung für Freiheit, Wohlstand und Frieden weltweit darstellt als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg».

Madeleine Albright, Bill Woodward. Faschismus: eine Warnung. DuMont, Köln 2018; 320 Seiten; 28 Franken.

Thomas Brückmann ist freier Journalist in Bern.

  • N° 19/2018

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