Der ehrliche Klappentext

«Die Beschliesserin» von Kaspar Schnetzler

Der historische Roman «Die Beschliesserin» ist eine Hommage an die Frauen von Zürich. Wer das Buch gelesen hat, wird die Limmatstadt mit anderen Augen betrachten.
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Autorin: Katja Baigger
Freitag, 10. Juni 2022

Dieses Buch ist wie eine Schachtel voller Zürcher Erinnerungen. Leserinnen, die sie öffnen, werden «ihr» Zürich vor sich sehen – freilich mit Patina überzogen. Andere werden sich in der einen oder anderen Figur wiedererkennen, ja sich womöglich ein wenig ertappt fühlen. Das ist das Schöne an diesem ­historischen Roman, der vom Mittelalter bis in die Gegenwart hineinreicht. Doch es gibt noch etwas anderes, das ihn ausmacht.

Schon der Deckel des Einbands deutet an, worum es im achten Werk des 1942 in Zürich geborenen Schriftstellers Kaspar Schnetzler geht. Das Cover zeigt das Foto einer Sonnerie. Wer den Code kennt, dem öffnet sich eine Tür, der hat Zugang zur Geschichte der Protagonistin Lore, aber eben auch Einblick in die geschlossene Zürcher Gesellschaft: Ein Leitthema ist das Dazugehören und Ausgesperrtsein aufgrund der familiären Herkunft.

Sinnigerweise haben der Autor und der Bilgerverlag als Romantitel «Die Beschliesserin» gewählt. Als Beschliesserin galt im Zürich des 18. Jahrhunderts eine Magd, die dem ehrwürdigen Haushalt vorstand und die Schlüssel für jedes Schloss im Haus auf sich trug. Sie war zwar eine Untergebene, hatte aber eine gewisse Macht. Und auf die Spuren solch einer Beschliesserin, jener des Steinhauses der Patrizierfamilie von Meiss, wird sich die Journalistin Lore machen und dank ihrem kriminalistischen Spürsinn herausfinden, dass sie selbst und die Magd mehr mit dem Adelsgeschlecht verbindet, als ihnen lieb ist.

Der Roman beginnt mit der Kindheit von Lore, die in den 1940er Jahren in der Zürcher Altstadt aufwächst. Mit wohltuend nüchterner, journalistischer Sprache nimmt die Erzählstimme die Leser an der Hand, führt sie kenntnisreich zu historisch verbürgten Personen genauso wie zu fiktiven Figuren. Eine solche ist etwa Lores Vater, Hauswart am Obergericht und faktisch alleinerziehend. Denn die Mutter arbeitet nachts als Prostituierte mit ­Tigermantel im Gasthaus Zum Grünen Glas, tagsüber schläft sie. Lore ist eine gute Schülerin und kommt in die Städtische Frauenoberschule, wo sie die in Politik und Kultur bestens vernetzte «Dr. Hedwig Strehler», auch genannt «Königin der Altstadt», unter ihre Fittiche nimmt. Weil Lore schreiben kann, vermittelt ihr die Lehrerin nach dem Schulabschluss einen Kontakt zum Chef der Lokalredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung». Hier, man dürfte nun in den sechziger Jahren angekommen sein, verdient sich Lore ihre Sporen ab – als «erste Lokalredaktorin», wie es heisst.

Das entspricht durchaus den Tatsachen. Denn in jener Zeit wurden tatsächlich erste Frauen als Mitarbeiterinnen bei der «alten Tante» fest angestellt, unter ihnen etwa Marion de Szepessy-Hofmann im Lokalen.

«Die Beschliesserin» will auch eine Aufarbeitung der Geschichte der Zürcher Frauen leisten. Das gelingt. Etwa, wenn Lore in einem Essay mit dem Titel «Die ­unsichtbare Frau» auf Regula Keller, die Schwester ­Gottfried Kellers fokussiert, die ihren schriftstellernden Bruder unterstützte. Oder wenn sie die eher unbekannte Charlotte Birch-Pfeiffer erwähnt, die erste Leiterin des 1891 eröffneten Zürcher Stadttheaters. Oder wenn beschrieben wird, dass die Herren bei der «Neuen Zürcher Zeitung» als bekennende Liberale zwar nichts gegen ­Lores Eintritt einwandten; hätte sie aber rebelliert, wäre ihr der Zugang zum Männerzirkel fortan verwehrt geblieben. Tatsächlich erhält Lore später die Kündigung, nachdem ihre Mutter am «NZZ»-Empfang unflätig geworden ist. Die Entlassung wird aber wieder rückgängig gemacht und Lore setzt ihre journalistische Karriere fort.

Wer «Die Beschliesserin» gelesen hat, wird an Wissen über Zürichs Frauen reicher sein. Der Roman ist eine Hommage an die Mägde von der Landschaft, an die Schwestern lokaler Grössen, an die Lehrerinnen und Journalistinnen. Viele von ihnen fanden keine Aufnahme in den Kreis der Zürcher Gesellschaft – geprägt haben sie die Stadt trotzdem.

Kaspar Schnetzler: «Die Beschliesserin». Bilgerverlag, Zürich 2022; 219 Seiten, 32 Franken.

  • N° 5+6/2022

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