Der ehrliche Klappentext

«Der Hilfsprediger» von Hilary Mantel

Mit «Der Hilfsprediger» liefert Hilary Mantel einen harschen, wenn auch nicht humorlosen Kommentar zum Gebaren der katholischen Kirche im England der 1950er Jahre. Ein zwielichtiger Vikar namens Fludd bringt Leben in ein gottverlassenes Dorf im Norden Englands. Ist er Engel oder Teufel? Egal, denn Wundersames passiert.
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Autorin: Gisela Feuz
Freitag, 08. Dezember 2017

Zu Beginn ihres Romans Der Hilfsprediger beschreibt Hilary Mantel ein Renaissancegemälde, das in der Londoner Nationalgalerie begutachtet werden kann: Die Auferstehung des Lazarus; gemalt hat es der Italiener Sebastiano del Piombo. Lazarus sehe darauf wie ein Boxer aus, der noch eine weitere Runde im Ring zu absolvieren habe, derweilen Jesus als Trainer fungiere. Eine erfrischend unkonventionelle Deutung der 65jährigen Autorin, genauso unkonventionell wie der ganze Roman.

Vater Angwin ist der Glaube abhanden gekommen, allerdings nur der Glaube an Gott, derjenige an den Teufel ist nach wie vor zentral in seinem Leben. Der katholische Pfarrer lebt in Fetherthoughton, in einem abgelegenen Städtchen irgendwo im Norden Englands. Wir schreiben das Jahr 1956, und Vater Angwin hat ausnehmend schlechte Laune: Soeben hat der Bischof angeordnet, dass sämtliche Statuen von Heiligen, welche die Kirche zieren, entfernt werden müssten, denn sie seien Götzen. Vater Angwins Einwand, dass die einfachen Leute seiner Gemeinde einen starken Bezug zu den Figuren hätten, lässt der Bischof nicht gelten.

Zur selben Zeit spricht ein ominöser Mann namens Fludd bei Vater Angwin vor, den letzterer für einen Vikar hält. Er ist ein undurchsichtiger und mysteriöser Kerl, dieser Fludd. Vielleicht ein Spion des Bischofs? Oder gar der Teufel in Person? Warum kann sich niemand seine Gesichtszüge merken, und warum wird die Whiskyflasche, aus der Fludd trinkt, nie leer?

Auch im Konvent des Städtchens ist die Stimmung schlecht, denn hier herrschen strenge Sitten. Mutter Purpit, eine verbissene, grausame und humorlose Pedantin, ist gleichzeitig Schuldirektorin und Oberin des Klosters und setzt ihre Regeln notfalls auch mit Gewalt durch. Schwester Philomena kämpft zusehends mit der Irrationalität und Unmenschlichkeit gewisser Vorschriften und stösst sich an den sinnentleerten Ritualen. Die junge Nonne schlittert in eine veritable Sinnkrise. Dass sie in Anwesenheit von Fludd nun auch noch unzüchtige Gedanken zu hegen beginnt, macht die Sache natürlich auch nicht besser. Überhaupt hat dieser Fludd eine eigentümliche Wirkung auf sämtliche Personen: Nach seiner Ankunft weht plötzlich ein neuer Wind durch das verstaubte und gottverlassene Fetherthoughton. So finden sich wieder mehr Bewohner und Bewohnerinnen zum Gottesdienst ein; Vater Angwin erwacht aus seiner Lethargie und entdeckt seinen eigenen rebellischen Geist.

Es ist ein harscher Kommentar zum Gebaren der römisch-katholischen Kirche im England der 1950er Jahre, den Hilary Mantel mit Der Hilfsprediger abliefert. Der Bischof ist ein überheblicher und weltfremder Kerl, dem die eigene Karriere viel wichtiger ist als das Wohl seiner Gemeinde. Auch die Vorsteherin des Klosters, Mutter Purpit, scheint keinen Funken Empathie in sich zu tragen, sondern ist eine Tyrannin, der es in erster Linie um das Einhalten von Regeln geht, egal wie widersinnig und unmenschlich sie sind.

Mantels Stärke liegt in der Charakterzeichnung ihrer Figuren. So wächst einem Vater Angwin mit seinem knochentrockenen Humor und seiner störrischen Grantigkeit richtig ans Herz. Darüber hinaus flirtet die englische Autorin, die selber strengen katholischen Unterricht in einem Konvent «genossen» hat, in ihrer Geschichte auch mit dem Übersinnlichen: Warzen erscheinen und verschwinden über Nacht, und eine Figur geht gar spontan in Flammen auf. Dann ist da auch noch dieser Fludd, den Mantel mit teuflischen Attributen ausstattet, der aber zum Schluss der Geschichte dafür sorgt, dass sich sowohl Vater Angwin als auch Schwester Philomena aus Zwängen befreien können. Engel haben viele Gesichter, sagt Hilary Mantel im Nachwort. Und manchmal lässt sich Erlösung eben offenbar nur in Rebellion und Loslösung finden.

Hilary Mantel: Der Hilfsprediger. Dumont, Köln 2017; 208 Seiten; 25.50 Franken.

Gisela Feuz ist Kulturjournalistin in Bern.

  • N° 21/2017

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