Der ehrliche Klappentext

«Barbarentage» von William Finnegan

In Barbarentage erinnert sich der amerikanische Journalist William Finnegan an den schier endlosen Surftrip, der ihn als jungen Mann an die wildesten Strände der Welt führte. Die Autobiografie handelt vom Leben eines Getriebenen und von einer existenziellen Erfahrung. Der Autor erzählt diese so eindringlich, dass sie mit dem grossen Pulizterpreis ausgezeichnet wurde.
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Freitag, 14. September 2018

Wenn William Finnegan nicht gerade als Reporter für den New Yorker aus einem Krisengebiet berichtet, findet man ihn auf dem Meer. Schon früh ist er dem Surfen verfallen. Nun hat er darüber eine Autobiografie verfasst, die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Barbarentage ist eine Hommage ans Wellenreiten, ans Reisen und ans leidenschaftliche Leben.

Schon als Bub zieht es Finnegan mit dem Surfbrett hinaus aufs Meer. Das ist nicht erstaunlich, schliesslich wächst er auf Hawaii auf. Bereits nach ersten wackeligen Ritten auf den Wellen ist es um Finnegan geschehen. Die Suche nach der perfekten Welle bestimmt fortan sein Leben. Eine seiner ersten Surfstationen ist San Francisco, es ist das Jahr 1967, der Summer of Love. Der erst 16jährige lebt hier zunächst in einem Auto. Zum Überleben arbeitet er in einer kleinen Bücherei. Anders als viele fährt er aber nicht ans legendäre WoodstockFestival. Dafür Eintritt zu verlangen sei spiessig, schreibt er mit einem amüsanten Unterton.

Nachdem er kurz als Bremser bei der Eisenbahngesellschaftstätig gewesen ist – «einer der wohl schönsten und bestbezahlten Jobs, den ich je hatte», zieht es ihn mit dem gesparten Geld weiter in den Südpazifik.

Auf den Fidschi-Inseln findet der junge Surfer schliesslich, wonach er gesucht hatte: einen geheimen «Surfspot», den er zusammen mit seinem Weltreise-Kumpel ganz alleine besurfen kann. «Ich hatte noch nie eine Welle erlebt, die so gleichmässig, fast mechanisch brach», hält er in seinem Tagebuch fest.

Dass er fürs Schreiben Talent hat, bleibt auch den amerikanischen Redaktionen nicht verborgen: Finnegan, der im College Literaturwissenschaften und kreatives Schreiben studiert hatte, verfasste unterwegs Artikel für das renommierte Surfmagazin Surfer und legte damit den Grundstein für seine journalistische Karriere.

Nach Jahren auf dem Surftrip hat Finnegan erstmal genug von der Weltenbummlerei. Er beschliesst, das Angebot einer Festanstellung als Redaktor beim New Yorker anzunehmen. Doch selbst hier, in der Grossstadt, kann er das Surfen nicht lassen. Immer wieder zieht es ihn für Stunden nach Montauk, einem Dorf an der Ostspitze von Long Island. Und auch heute noch, mit über 60 Jahren, steigt er aufs Brett und stürzt sich in die Wellen.
Barbarentage erzählt die Geschichte eines Getriebenen und seiner Leidenschaft. Wer überhaupt nichts mit dem Wellenreiten anfangen kann, dem wird das 560seitige Buch stellenweise Mühe machen. Surfmanöver werden dank seinen jahrelang geführten Tagebüchern bis ins kleinste Detail mit Fachbegriffen wie «Break» – ein Ort, an dem die Wellen so brechen, dass sie gesurft werden können, «Drop» – der freie Fall in die Welle – oder «Rip», ein extrem radikales Surfen, präzise beschrieben.

Finnegan ist aber nicht nur ein Angefressener, sondern eben auch ein Poet, der den Ritt auf einer Welle als transzendentes Erlebnis begreift: «Diese Welle war wie eine Glaubensprüfung, eine Prüfung der geistigen Gesundheit, vielleicht aber auch nur ein gewaltiges, unverdientes Geschenk. Es war, als hätten sich die physikalischen Grundregeln etwas gelockert. Sie war wie ein ausser Kontrolle geratener Zug, wie der plötzliche Ausbruch eines magischen Realismus, mit diesem Licht vom Meeresgrund und dem weissen Spitzendach. Ich liess mich darauf ein.»

Es ist beeindruckend, mit welcher Konsequenz der Autor dem Wellenreiten nachgeht. Kaltes Wasser, gefährlich hohe Wellen, selbst Nahtoderfahrungen können ihn nicht davon abbringen. Surfen ist für ihn existenziell – und eine existenzielle Erfahrung. Mehr als ein Surfbrett und gute Wellen braucht Finnegan nicht. Darum ist er zu beneiden.

William Finnegan: Barbarentage. Suhrkamp, Berlin 2018; 565 Seiten; 28 Franken.

  • N° 16/2018

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