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Zeichnung: Temo Pogosiani
Freitag, 19. August 2016

Das Bekenntnis zum christlichen Glauben ist für den Iraner Kurosh K. ein langer Weg. Sein Vater ist kurdischer Widerstandskämpfer in der Peschmerga, immer wieder taucht der iranische Geheimdienst zuhause auf. 2008 flieht der heute 20jährige mit seiner Familie über die Türkei in die Schweiz.

Doch auch hier kommt Kurosh nicht zur Ruhe. In der Schule ist er Aussenseiter und schliesst sich einer Gruppe von Albanern an. Gemeinsam brechen sie in das Schulhaus ein, es folgen Dealergeschäfte und Überfälle. Schliesslich kommt ihnen die Polizei auf die Spur. Kurosh landet in einem Untersuchungsgefängnis. Eher aus Neugier habe er das Angebot angenommen, mit einem Pfarrer zu sprechen, sagt er heute.

Das Gebet am Ende des Besuchs löst bei dem jungen Iraner etwas aus; es tut ihm gut. Doch es dauert noch Monate, bis sich Kurosh ganz dem Christentum zuwendet. Als es so weit ist, gesteht er es seinem Vater unter Tränen. Dieser, ein sunnitischer Muslim, ist wenig begeistert. Doch Kurosh hat Glück: Er kommt aus einer liberalen und gebildeten Familie, in der die Menschen mehr zählen als die Religionszugehörigkeit.

Kuroshs Geschichte ist kein Einzelfall. Muslime, die zum Christentum übertreten, haben oft einen langen und schwierigen Glaubensprozess durchgemacht. Über die Motive, die dabei eine Rolle spielen, ist allerdings immer noch wenig bekannt. Mit gutem Grund: Der Abfall vom Islam wird in den muslimischen Ländern mit drakonischen Strafen belegt. Alles andere als sicher sind aber auch Ex-Muslime, die in einem europäischen Land Asyl suchen. Ihnen drohen oft schwerste Repressalien aus ihrem familiären und sozialen Umfeld. Nur wenige Konvertiten wagen es deshalb, ihren christlichen Glauben offen zu leben.

«Es ist nicht im Interesse dieser Menschen, über ihre Konversion zu sprechen», meint auch Markus Giger von der Streetchurch. Als Pfarrer hat Giger viel mit muslimischen Jugendlichen zu tun und einige von ihnen auch schon bis zur Taufe begleitet. «Die meisten müssen ihr Christsein verbergen und besuchen die Gottesdienste heimlich. Es sind eigentliche Kryptochristen, die ihren Glauben sozusagen im Untergrund leben müssen, weil sie sonst massivem Druck ausgesetzt wären», meint Giger. «Ein Somalier sagte mir einmal, er verliere seine Familie, wenn er seine Konversion öffentlich mache.»

Auch Kathrin Anliker von der Beratungsstelle für Integrations- und Religionsfragen (BIR), die zur Schweizerischen Evangelischen Allianz gehört, weiss von solchen Problemen. «Ich kenne Fälle von Asylsuchenden, die nach ihrer Konversion zum Christentum in den Aslyzentren drangsaliert wurden», sagt sie. Dem pflichtet Kurt Beutler, interkultureller Berater bei der Fachstelle für Asyl und Migration bei: «Ich habe schon öfter erlebt, dass Konvertiten in der Schweiz bedroht oder sogar angegriffen wurden. Ein Ex-Muslim bleibt sein Leben lang in Gefahr.»

Raum für Verdächtigungen

Das Verheimlichen einer Konversion ist vor diesem Hintergrund nur zu verständlich. Es hat aber einen fatalen Nebeneffekt: Denn solange die wahren Motive im Dunkeln bleiben, lässt das Raum für den Verdacht, Asylsuchende erschlichen sich durch ihre Konversion ein nachträgliches Bleiberecht. So fragte Spiegel Online etwa angesichts der Taufen grösserer Gruppen von Muslimen in Berlin und Hamburg: «Echter Glaube oder Asyltrick?»

Auch in der Schweiz gilt die Konversion zum Christentum als möglicher subjektiver Nachfluchtgrund: als ein Ereignis also, das erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsstaat eintritt, das aber bei einer allfälligen Rückkehr negative Konsequenzen hätte. Ein Asylgrund wäre dies allein zwar noch nicht, doch dürfte die Person nicht in die Heimat abgeschoben werden, wenn sie dort aufgrund ihrer Religion verfolgt oder gar an Leib und Leben bedroht wäre.

Indizien dafür, dass solche asylpolitisch motivierten Konversionen in grösserer Zahl in der Schweiz vorkommen, gibt es allerdings nicht. Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt auf Anfrage: «Dass Asylsuchende nach ihrer Ankunft in der Schweiz in auffällig grosser Zahl die Religionszugehörigkeit wechseln würden, ist dem SEM bisher nicht bekannt.» Auch die Taufregister der Landeskirchen sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Die reformierte Kirche im Kanton Zürich etwa verzeichnete für das Jahr 2015 gerade mal neun Neueintritte von Angehörigen anderer Religionen.

Gerade die Landeskirchen agieren in Fragen der Konversion von Muslimen ohnehin zurückhaltend. So veranschlagt das Bistum Basel in seinen Leitlinien «Wunsch nach Übertritt von Muslimischen Flüchtlingen zum Christentum» eine Gewissensprüfung und Vorbereitungszeit von mindestens einem Jahr. In den Vorgesprächen soll nicht zuletzt die Echtheit der Beweggründe geklärt werden.

Deutlich undurchsichtiger ist die Situation bei den Freikirchen. Patrizia Bertschi, Präsidentin beim Verein Netzwerk Asyl Aargau, hat im Laufe ihrer Tätigkeit vereinzelte Konversionen erlebt, zumeist in einem evangelikalen Umfeld: «Wenn einer der Asylsuchenden in unserem Verein plötzlich David genannt we­rden wollte, war mir klar, was passiert war.» Bertschi macht aber auch deutlich, dass dies meist Leute waren, «die im Glauben einen echten Halt fanden». Konversionen aus asylpolitischen Gründen sind ihr dagegen nicht bekannt. Kathrin Anliker von der BIR hat zwar schon von politisch motivierten Konversionen gehört. Für sie ist allerdings klar: «Das sind Einzelfälle, aber nicht die grossen Zahlen.»

Die Motive sind komplex

Der Verdacht der politischen Konversion unterschätzt die oft vielschichtigen Moti­ve, die zu einem Glaubenswechsel führen. «Hinter solchen Entscheidungen stehen immer lange Prozesse», sagt Markus Giger von der Streetchurch. Letztlich seien soziologische Gründe ausschlaggebend: «Der Übertritt zum Christentum wird von vielen Konvertiten als Befreiung erlebt.» Kurt Beutler von der Fachstelle für Asyl und Migration vermutet zudem, dass die Gewalt in manchen muslimischen Ländern ebenfalls dazu führe, den Islam zu hinterfragen. Die Motive einer Konversion seien komplex, sagt er.

Das zeigt auch die Geschichte von Soroush T. Der 20jährige Kurde aus dem Iran wartet seit Monaten in einem Aargauer Durchgangszentrum auf den Asylentscheid. Mittlerweile muss er Antidepressiva schlucken, weil er mit der Ungewissheit nicht mehr klarkommt. Im März dieses Jahres empfing Soroush in einer reformierten Kirche die Taufe, doch mit der Verbesserung seines Asylstatus hatte diese Entscheidung nichts zu tun. Bevor er den Iran aus politischen Gründen verlassen musste, war Soroush Lehrer an einer Paraglide -Schule. Als er im Irak an einem Wettbewerb unter irakischer Flagge teilnahm, wurde ihm das zum Verhängnis. Er landete acht Tage in Haft. Woher die Narbe an seinem Bauch stammt, weiss er noch heute nicht.

In der Schweiz summierten sich dann die Trennung von der Familie, der Verlust seines Jobs und das unerträglich lange Warten auf den Asylentscheid zur Verzweiflung. Soroush suchte Trost in einer Kirche. Dass es sich dabei um eine reformierte Kirche handelte, war reiner Zufall.

Ausdruck eines Ablöseprozesses

Der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann, einer der wenigen, die zu dem Thema forschen, schätzt, dass in Deutschland jährlich ein paar Hundert Muslime zum Christentum konvertieren. Offizielle Zahlen gibt es in Deutschland so wenig wie in der Schweiz. Vieles spricht aber dafür, dass Übertritte aus asylpolitischen Gründen die Ausnahme sind. Die Geschichten von Flüchtlingen wie Kurosh K. oder Soroush T. sind in erster Linie Zeugnisse einer verzweifelten Sinnsuche. In vielen Fällen ist die Konversion nur der Schlusspunkt eines langen Ablöseprozesses vom Islam, der oft schon im Herkunftsland begonnen hat.