Am Mittag des 20. Februar 2016 sah Ivamere Naikomo die erste Welle kommen. Sie stand vor ihrem Haus, nur ein paar Meter vom Ufer entfernt. Sie blickte auf den Ozean. Fünf Meter hoch baute sich die Welle auf – höher als jede der 62 Holz- und Wellblechhütten von Nukubalavu, einem Dorf im Süden der zweitgrössten FidschiInsel Vanua Levu. Kinder rannten umher. «Warum kommen die Wellen zu uns?» schrien sie. «Scht!» zischte Naikomo. «Seid still! Wir wissen das nicht!»
Zu fünft eilten sie ins Haus, schlossen die Tür und beteten. Naikomo, 55 Jahre alt, graugelbe Locken, wollte standhaft bleiben in ihrem Glauben. Sie wollte ihr Haus nicht verlassen, obwohl das Meer – oder Gott – baumhohe Wellen schickte und gegen ihr Haus schleuderte. Sie blieb auf ihrem Plastikstuhl sitzen, als ihr Haus von der Wucht erzitterte und das Meerwasser ihre Beine umspülte. Sie fühlte sich sicher, denn Mutter Maria und Jesus waren bei ihr. Sie sah sie direkt vor sich. Gott kam, um ihr Dorf für seine Sünden mit dem Wirbelsturm «Winston» zur Rechenschaft zu ziehen, dem stärksten je gemessenen tropischen Wirbelsturm in der südlichen Hemisphäre, wie es später hiess. Das glaubt Naikomo bis heute.
Allein ist sie damit nicht. Viele Bewohner der Südseeinseln können die Auflösung der Trocken- und Regenzeiten, die Megazyklone oder die ungewöhnlich langen Dürren nicht mehr mit dem in Einklang bringen, woran sie sich im Laufe ihres Lebens gewöhnt haben. Und doch kennen sie all das – die Fluten, die Dürren, die Stürme –, und zwar aus den Geschichten der Bibel, die der Pastor jeden Sonntag vorträgt. In vielen Dörfern hält sich bis heute der Glaube, dass der Klimawandel eine Strafe Gottes sei.
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