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Autorin: Sabine Horst
Freitag, 10. Februar 2023

Es ist nicht weit weg: 2026, das Jahr, in dem in der Science-Fiction-Serie «Star Trek» eine Serie von Konflikten in den Dritten Weltkrieg mündet, mit Nuklear­schlägen, Terrorismus, Völkermord. Er dauert bis 2053 und ist vernichtend: 30 Prozent der Weltbevölkerung kommen ums Leben, 600 000 Tier- und Pflanzenarten sterben aus.

Aber weil der Schöpfer von «Star Trek», Gene ­Roddenberry, an den Fortschritt glaubte, ist es nicht das Ende. Die Menschen rotten sich an ihren Lagerfeuern zusammen, krempeln die Ärmel hoch und erfinden den Warp-Antrieb, der weite Reisen ins All ermöglicht. Es kommt zu einem schicksalhaften Alien-Kontakt: mit den Vulkaniern, Typen mit spitzen Ohren und Koteletten, die sich technisch, wissenschaftlich und sozial auf einem höheren Level bewegen. Mit ihnen gehen die Menschen einer Zukunft des Friedens und allgemeinen Wohlstands entgegen.

Die Hoffnung, dass irgendeine ferne, nicht- oder übermenschliche Spezies uns aus dem selbstbereiteten irdischen Elend erlösen wird oder uns wenigstens ein bisschen auf die Sprünge helfen möchte, ist natürlich viel älter als «Star Trek». Schon das frühe Christentum entwickelte die Vorstellung vom Messias, der nach der Apokalypse wiederkehren und ein durchaus diesseitiges tausendjähriges Friedensreich errichten wird.

Erst im 20. Jahrhundert kam die Sache aber so richtig in Schwung. Die «überlegene Spezies» wurde zum Topos in der Science-Fiction- und Fantasy-Literatur: von Superman, dem l­etzten Überlebenden einer hochbegabten galaktischen Ethnie, über den mit Psikräften ausgestatteten Mann vom Mars in ­Robert ­­Heinleins Schlüssel­­roman «Stranger in a Strange Land» bis zum zeitreisenden «Dr. Who» in der gleichnamigen Endlosfernseh­serie.

Sportliche Superspezies

Diese Leute sind nicht unterwegs, um uns zu kolonisieren, sie sind nicht auf Macht aus. Aber einige von ihnen haben die Herrschaft über die irdische Popkultur errungen. Und angesichts der Tatsache, dass wir gerade unsere Welt ruinieren, möglicherweise so gründlich wie in «Star Trek», könnte man da mal wieder richtig hinschauen. Welche Superspezies kann was? Von wem kann die Menschheit lernen?

Wenn es nach den blauhäutigen, riesenhaften Na’vi ginge, die jetzt mit der lang erwarteten Fortsetzung von James Camerons 3-D-Blockbuster «Avatar» im Kino zu sehen sind, müssten wir unsere Industrie komplett zurückbauen; ein bisschen umweltbewusst, so mit Sparduschkopf und E-Bike, würde nicht reichen.

Jake Sully – respektive Tsyeyk te Suli in der Sprache der Na’vi – ist eine der Hauptfiguren im Film «Avatar». (Bild: Keystone)

Na’vi

Fitness:
★★★★★
Konfliktbewältigung:
★★★☆☆
Psycho-Power:
★★☆☆☆
Nachhaltigkeit:
★★★★★
Diversitätsmanagement:
★☆☆☆☆

Die Na’vi sind der Inbegriff des bedrohten Naturvolks. Ein gigantischer militärisch-industrieller Konzern von der Erde, ­deren Rohstoffe erschöpft sind, hat begonnen, den hinreissend schönen Mond Pandora auszubeuten, auf dem sie ­selbstgenügsam leben. Der ökologische Fussabdruck der Na’vi, deren ­Spiritualität in der Natur gründet, ist praktisch nicht auszuma­chen, selbst wenn sie gelegentlich Fleisch zu essen scheinen. Und ­obwohl sie sich als Jäger verstehen und die sportlichste aller ­Superspezies sind (Extremklettern, Drachenfliegen), kennen sie das Konzept Krieg nicht.

Mit den Na’vi würden wir auf Bäumen oder in Tipis leben. Auf schnelles Internet müssten wir aber nicht verzichten: Sie sind in der Lage, sich mit ihren langen Zöpfen bei Pflanzen und Tieren einzustöpseln und mental mit ihrer Umwelt zu vernetzen. Bioelektronik. Phantastisch.

Mächtige Diplomaten

Die mönchisch gekleideten und praktisch zölibatären Kämpfer aus den «Star Wars»-Filmen nutzen ihre überlegene Gedankenkraft auch schon mal zur Manipulation ihrer Gegner; eigentlich wären die Jedi die perfekten Diplomaten. Im Universum von George Lucas werden sie meist als eine Art Blauhelmtruppe eingesetzt – und natürlich unterstützen sie die Rebellen im Kampf gegen das bösartige Imperium.

Der beste Beweis, dass man nicht nach dem Äusseren gehen sollte: Jedi-Meister Yoda. (Bild: Alamy Stock Photos)

Jedi

Fitness:
★★★☆☆
Konfliktbewältigung:
★★★☆☆
Psycho-Power:
★★★★★
Nachhaltigkeit:
★★☆☆☆
Diversitätsmanagement:
★★★★★

Genaugenommen sind die Jedi keine Spezies, sondern ein Orden, der vorbildliches Diversitätsmanagement betreibt: Es gibt Jedi jeder Herkunft, jeder Couleur und jeden Geschlechts, und der kleingewachsene, knuffige Chef Yoda ist der Beweis ­dafür, dass man die Fähigkeiten einer Person nicht nach ihrer Erscheinung beurteilen sollte.

Für eine Jedi-Karriere, also um ein Laserschwert fachgerecht zu schwingen, braucht es eine lange Ausbildung. Warum manche dafür geeignet sind, die meisten aber nicht, ist das ­Geheimnis der «Macht». Von den Jedi kann man vor allem ­buddhistische Gelassenheit lernen, denn, wie Yoda warnt: «Zorn. Furcht. Aggressivität. Die dunklen Seiten der Macht sind sie. Besitz ergreifen sie leicht von dir.»

Eminenzen mit Sexappeal

Nicht nur stark, sondern auch schön sind die Elben, die in den Büchern von J. R. R. Tolkien die Hauptrolle spielen. Die «Erstgeborenen» in der weitläufigen Fantasy-Parallelwelt «Arda» – die waren schon da, als es noch keine Menschen gab – repräsentieren offensichtlich ein Ideal: Sie sind nahezu unsterblich, mit ­geschärften Sinnen und einer gelegentlich ins Übersinnliche ­lappenden Spiritualität ausgestattet, und sie haben eine komplexe Kultur. Wenn sie zechen, kriegen sie keinen Kater, und ­Bad-Hair-Days kennen sie nicht.

Galadriel gehört zu den mächtigsten Elben in «Herr der Ringe» – auch wenn Legolas stets mehr Applaus bekommt. (Bild: Alamy Stock Photos)

Elben

Fitness:
★★★★☆
Konfliktbewältigung:
★★★☆☆
Psycho-Power:
★★☆☆☆
Nachhaltigkeit:
★★★★☆
Diversitätsmanagement:
★☆☆☆☆

Peter Jackson, der Regisseur der «Herr der Ringe»- und «Hobbit»-Filme, hat mal gesagt, es sei sehr schwer gewesen, das Elbenheer zu besetzen: In ganz Neuseeland, wo gedreht wurde, gebe es nicht genug Models. Elben können zickig und gemein sein, aber in «Herr der Ringe» haben sie ihre wilden Zeiten hinter sich.

Klar, die Filme setzten auf ihre kämpferischen Qualitäten, und für die Einzelaktionen des Bogenschützen Legolas gab es im Kino regelmässig Applaus. Im Prinzip aber fungieren sie hier als graue Eminenzen, die im Krieg gegen die kariesgeplagten Ork-Horden des dämonischen Sauron den Überblick behalten und sich von der Macht des «Einen Rings» nicht korrumpieren lassen. Dieser Weitblick ist etwas, das wir gerade gut brauchen könnten: Elben denken nicht in Legislaturperioden.

Unschlagbar logisch

Es ist kein Zufall, dass im Zentrum der «Star Trek»-Original­serie eine interkulturelle Beziehung steht: diejenige zwischen James Kirk, dem Captain des Raumschiffs Enterprise, und seinem ­ersten Offizier Spock. Die beiden sind wie Lederstrumpf und Chingachgook. Oder wie Yin und Yang? Jedenfalls ergänzen sie sich prächtig: hier der temperamentvolle, aus dem Bauch agierende, zupackende Erdling, dort der stoische, hyperintelligente Vulkanier, der telepathisch kommunizieren und mit einem Griff in den Nacken einen Gegner paralysieren kann.

Ein unschlagbares Duo: Captain Kirk (links) und Mr. Spock. (Bild: Allstar Picture Library Limited)

Vulkanier

Fitness:
★★★★☆
Konfliktbewältigung:
★★★★☆
Psycho-Power:
★★★★☆
Nachhaltigkeit:
★★★☆☆
Diversitätsmanagement:
★★★★☆

Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis bilden die Grundlage von Spocks Handeln, und man könnte ihn sich in dieser Welt gut als Wirtschafts- oder Gesundheitsminister vorstellen. Kohlenstoff verbrennen: unlogisch. Impfen helfe angeblich nicht: Spock zieht eine scharfe Augenbraue hoch. Das heisst nicht, dass die Vulkanier – und Spock hat eine menschliche Mutter – keine emotionalen oder gar abgründigen Momente hätten.

Was uns stark macht

Der Literaturtheoretiker Terry Eagleton hat einmal beklagt, dass unsere filmische und literarische Phantasie selten ausreicht, sich fremde Lebensformen anders als humanoid vorzustellen: Die meisten gehen auf zwei Beinen, haben Hände, Kopf und Augen. Das mag daran liegen, dass diese Figuren immer Projektionen sind – von Eigenschaften, Handlungs- und Denkmustern, die unsere eigenen sind. So sind auch die Na’vi, die Jedi, Elben und Vulkanier Geschöpfe ihrer – menschlichen – Zeit und Geschichte: Erster Weltkrieg und Industrialisierung bei Tolkien, Kalter Krieg und Gegenkultur bei Gene Roddenberry, Späthippietum und Postmoderne bei George Lucas, Klimakrise und Digitalisierung in «Avatar».

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Bei allen Unterschieden lassen sich aber auffallende Gemeinsamkeiten feststellen. Ein Hang zu Bekleidung, die den Körper nicht einengt (Schurze, Kutten, Tuniken – bei Spock allerdings nur privat), spitz zulaufende Ohren (bei den Jedi nicht obligatorisch, aber: Yoda). Eine Spiritualität, die animistisch oder fernöstlich beeinflusst ist, mit viel Meditation, Ruhe und Versenkung. Die Vorstellung, dass die Welt ein Ganzes ist und jeder Eingriff, jede Form der Bearbeitung oder Nutzung verantwortlich, mit Blick auf das Gemeinwohl zu geschehen hat.

Am Ende ist die wahre Stärke einer jeden kollektiv lebenden Spezies nichts Physisches und schon gar kein Zaubertrick. Sie liegt in der Fähigkeit zum sozialen Handeln, zur Einfühlung, Versöhnung, Verständigung … halt mal, könnten wir das vielleicht doch selbst hinkriegen?

Dieser Text erschien zuerst in der Dezember-Ausgabe von «chrismon plus».