Wenn Tobias Adam etwas bewegen möchte, dann kritzelt er ein paar Worte auf ein Stück Karton und hält es in die Höhe. An diesem Freitag im September steht mit bunten Strichen auf seinem Schild: «Fridays for Future». Adam steht im Eingang der Zürcher Predigerkirche. Er trägt eine Kette mit Kreuz um den Hals, der Dreitagebart lässt ihn älter wirken als 24. Ein Pfeil auf seinem Schild zeigt in Richtung Treppe. Im Turmzimmer der Kirche hat eine junge Pfarrerin eine kurze Zeremonie vorbereitet; gemeinsam beten, bevor es weitergeht zum Klimastreik.
Neben Adam sind weitere zwölf meist junge Menschen da, sie legen ihre Taschen und Mammut-Rucksäcke auf die Tische nebenan und setzen sich auf Stühle in einen offenen Halbkreis. Zuerst Stille, Meditation, einatmen, ausatmen, dann liest die Pfarrerin einen Psalm über die göttliche Schöpfungskraft. Alle stehen auf, legen die Hände aufs Herz und strecken sie anschliessend nach oben Richtung Himmel, während die Pfarrerin weiterspricht. «Gott, du hast uns Verantwortung gegeben. Wir wollen diese wahrnehmen und uns um die Welt um uns herum kümmern.»
Glauben und Aktivismus
Das überschaubare Grüppchen rund um Adam ist der Kern der «Christian Climate Action» in der Schweiz. Diese Bewegung kämpft gegen die Klimaerwärmung aus religiösen Motiven. Und sie bringt Glauben und Aktivismus zusammen: Zuerst beten, dann streiken – wobei manche sagen, der Streik sei für sie ebenfalls eine Art Gebet.
Tobias Adam ist der vielleicht engagierteste, sicher aber der umtriebigste unter ihnen. Er streikt und betet nicht nur, er politisiert auch in der reformierten Kirchensynode Zürich. Früher war er zudem Präsident der jungen EVP des Kantons Zürich. Nach der Debatte zur «Ehe für alle» trat er jedoch aus der Partei aus, weil sie ihm gesellschaftspolitisch zu konservativ war. Für seine Bachelorarbeit – Adam studiert Theologie – machte er einen Podcast zum Thema Klima und Glauben.
Rund 20 Minuten dauert die Zeremonie im Grossmünster. Zum Abschluss wird gemeinsam ein Vaterunser gebetet – «auf ökologisch». Die bekannten Zeilen sprechen alle zusammen, dazwischen schiebt die Pfarrerin jeweils «ökologische» Gedanken ein. «Wenn ich sehe und miterlebe, wie Menschen deine Schöpfung missachten, sie ausbeuten und zerstören; wenn ich daran glaube, dass du, Gott, diese Welt noch nicht aufgegeben hast, dann bete ich.» – «Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.» Und später: «Wenn ich Energie verschleudere nur für etwas kurzfristige Unterhaltung und mir nichts weiter dabei überlege; dann bete ich.» – «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.» Nach dem Amen packt Adam das Kartonschild in seinen Rucksack und die Gruppe bricht auf zur Klimademo.
Das Potenzial wäre gross
Einige Wochen später sitzt Tobias Adam bei einer Tasse Schwarztee in einem Zürcher Café. Seine blonden Haare hat er zu einem Dutt zusammengebunden, die grossen Kopfhörer in der Tasche verstaut. Er höre Irish Folk, sagt er darauf angesprochen. Überhaupt ist er von der irischen Kultur angetan, er habe 40 Whisky-Sorten zuhause. «Ich könnte Tage in irischen Pubs verbringen», sagt er und lacht. «Es gibt kaum fröhlichere Orte.»
Tobias Adam ist kein radikaler, schon gar kein gewaltbereiter Protestler. Er argumentiert vorsichtig, relativiert, differenziert. Einmal sagt er, dass er ja wisse, wie schwierig es sei, grosse Institutionen wie die Kirche zum Wandel zu bewegen. Und er sehe auch, was alles schon getan werde fürs Klima, etwa das Projekt «Grüner Güggel».
Doch das sei zu wenig – zu wenig dringlich, zu wenig verbindlich. Auch darum hat er die mutmasslich erste kirchliche Volksinitiative überhaupt lanciert. Mit dieser will er die reformierten Zürcher Kirchgemeinden dazu zwingen, bis 2035 klimaneutral zu werden. Bald wird er für die Unterschriftensammlung auf der Strasse stehen.
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