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Autorin: Christina Rietz
Freitag, 15. November 2019

Herr Egeler, Sie haben ein Buch über eine seltsame Reliquie geschrieben. Was ist der Gral?

Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Im Zentrum des Gralsmythos steht in gewissem Sinne nicht der Gral, sondern die Frage nach dem Gral.

Wer hat diese Frage denn zum ersten Mal gestellt?

Der altfranzösische Dichter Chrétien de Troyes. Er war berühmt, angesehen und auf dem Höhepunkt seines Schaffens, als er den Perceval Ende des 12. Jahrhunderts schrieb. Dieser Ritterroman ist eine König-Artus-Geschichte. Dort kommt der Gral zum ersten Mal vor. Der Roman war sein letztes Werk, und leider ist es nicht abgeschlossen, weil Chrétien vorher gestorben ist.

Worum geht es in dem Roman?

Der Held Perceval ist auf der Suche nach dem Gral. Er gelangt in die Gralsburg, der Gral wird an ihm vorbeigetragen, aber er verhält sich falsch: Er fragt den König nicht danach. So wird er aus der Festung wieder hinausgeworfen und erfährt nichts über den Gral. Leider bricht der Roman ab, bevor der Held den Gral erneut findet und die Frage geklärt werden kann, was dieser eigentlich ist. 800 Jahre Rezeptionsgeschichte haben aus dem Gral dann alles Mögliche gemacht, je nachdem, welcher Autor den Text von Chrétien weitergedacht oder zu Ende geschrieben hat.

Woher kommt denn das Wort Gral?

Aus dem Altfranzösischen. Dort bezeichnete es eine Art Servierplatte. So dürfte auch Chrétien de Troyes seinen Gral verstanden haben.

Die meisten dürften den Gral als Kelch des letzten Abendmahls Jesu kennen.

Diese Idee wird von einem weiteren französischen Dichter eingeführt, von Robert de Boron, der kurz nach dessen Tod zu Chrétiens Roman eine Vorgeschichte schrieb. Er beschreibt den Gral als den Kelch des letzten Abendmahls. Seither ist diese Deutung präsent, ist aber nicht die einzige.

Im Mittelalter ist der Gral mit den Rittern der Tafelrunde und König Artus verbunden. Welche Rolle spielt er in der Artuswelt?

Die frühe Geschichte des Grals ist untrennbar mit König Artus verwoben. Alle frühen Gralstexte sind Artustexte. Einzelne Ritter ziehen vom Hof in Camelot los und suchen den Gral, der als wundertätiger Gegenstand bekannt ist. Erst ist es Parzival, später der Ritter Galahad. Der Gral ist Ausgangspunkt für ihre Abenteuer, denn er motiviert sie, den Hof zu verlassen.

Sie sagten, der Dichter Robert de Boron habe aus dem Gral den Kelch des letzten Abendmahls gemacht. Wie geht der Gralsmythos bei ihm?

Er erzählt die Geschichte so, dass Josef von Arimathäa, der auch in der Bibel vorkommt, das Blut Christi bei der Kreuzigung in einem Kelch aufgefangen habe, eben in dem Kelch, den Jesus beim Abendmahl benutzt haben soll. Über Josef und seine Gefolgsleute kam der Gral dann von Palästina nach Grossbritannien, genauer in die Ortschaft Glastonbury in Südengland.

Sie haben für Ihr Buch selber in Glastonbury recherchiert.

Seit hundert Jahren ist der Gral dort sehr stark präsent. Es gab mehrere Versuche, ihn dort zu finden. Einst fand man sogar eine blaue Glasschale, die dann als der Gral gedeutet wurde. Wenn man vom Gral fasziniert ist, sollte man nach Glastonbury.

Gibt es neben der Literatur irgendwelche historischen Quellen für diesen Kelch?

Nein, keine. Auch die Kirche hat ihn nie als Reliquie anerkannt oder suchen lassen.

Das ist aber seltsam. Sonst stürzte sich die Kirche doch auf jeden Nagel und jeden vermeintlichen Blutstropfen. Die Artusromane waren sehr populär — und die Kirche ignorierte sie und den Gral einfach?

Das Verhältnis von Kirche und Rittertum war immer spannungsgeladen. Ritterturniere zum Beispiel hat die Kirche gehasst. Wer dabei starb, bekam kein christliches Begräbnis. Da der Gral in den Artusromanen auftauchte, war er für die Kirche genauso problematisch wie die Romane selber.

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