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Freitag, 30. Juni 2023

Die Geschichte, wie er zweimal dem Tod entrann, erzählt Shaul Ladany bei Suppe und Falafel. Die Küche, in der er sitzt, sieht noch aus wie in den Siebzigern: orangebraune Kacheln und Blümchenteller. Auf Regalen sind Hunderte von Pfeffermühlen aus Holz, Messing oder Porzellan aufgereiht. Ladany hat alles so stehen lassen nach dem Tod seiner Frau vor drei Jahren. Die Pfeffermühlen – das war ihre Sammelleidenschaft. Und Sammlungen werden in dieser Familie sehr ernst genommen.

Gut 200 Kollektionen bewahrt Shaul Ladany in seinem Haus in Omer, einer Ortschaft im Süden Israels, mitten in der Wüste. «Von den esoterischen und wertlosen zu den höchst bedeutungsvollen», fasst er zusammen. Zu letzteren gehören zum Beispiel die Postkarten und Portraits von Theodor Herzl, der neben anderen Vordenkern des Judenstaats vollbärtig von den Wänden blickt. Und dann natürlich seine sportlichen Errungenschaften: Gut 800 Pokale und 2000 Medaillen dürften es sein.

Der Israeli ist ehemaliger Weltmeister über 100 Kilometer Gehen, hält immer noch den Landesrekord über 50 Kilometer und war zweimal bei Olympia. Ausserdem ist Ladany Professor für Wirtschaftsingenieurswesen, schrieb Fachbücher und hält diverse Patente. Zwei beachtliche Karrieren. Der Welt aber wird er vor allem als der Jude in Erinnerung bleiben, der das Konzentrationslager in Bergen-Belsen und gut drei Jahrzehnte später das Attentat der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September bei den Olympischen Spielen in München überlebte.

Eigentlich, sagt Ladany, sei er sogar dreimal mit heiler Haut davongekommen. Seine Kindheit in Belgrad endete kurz nach seinem fünften Geburtstag, im April 1941, als eine deutsche Bombe durch das Wohnhaus der Familie schlug. Mehrere Bewohner kamen ums Leben, die Ladanys blieben im Wäschekeller unberührt. Daraufhin suchten sie in der ungarischen Hauptstadt Budapest Zuflucht: die Eltern, Shaul, seine Schwester Shosh, und etwas später kam noch die kleine Martha dazu – seine Cousine. Ihre Eltern wurden 1942 bei der Razzia im serbischen Novi Sad ins Donau-Eis getrieben. Auf Geheiss der bereits mit den Nazis verbündeten ungarischen Besatzer.

Der Archivar der Erinnerungen

Seine Haushaltshilfe Amal serviert die Suppe. Sie nennt ihn «Aba», für «Vater» auf Hebräisch, während Ladany sich für jeden Griff bedankt. Es ist ihm unangenehm, dass er auf Hilfe angewiesen ist, seit ein Schlaganfall vor drei Jahren ihm ein Grossteil seines Augenlichts nahm. Zu Wettkämpfen könne er jetzt leider nicht mehr, sagt der 88jährige, und auch all die Einladungen zu internationalen Konferenzen und Ausstellungen schlage er lieber aus. Man kann sich vorstellen, wie schwer ihm das fällt: Ladany ist einer, der immer in Bewegung war.

Noch vor acht Jahren feierte er seinen 80. Geburtstag mit 80 Kilometern. Nach einer Krebserkrankung und der dringenden Empfehlung, die Sonne zu meiden, kurvte er dann in abgezählten Schritten zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her.

Ein paar Hunderttausend Kilometer habe er schon im Gehen zurückgelegt, schätzt Ladany. Viel Zeit im eigenen Kopf. Andere würden vor sich hinträumen. Er nutzte die stundenlangen Trainingsmärsche, um für seine Arbeit mathematische Modelle zu konstruieren; die Wettkämpfe, um seine Strategie im Rennen auszuhecken. Am liebsten trat er nicht auf freier Strecke an, sondern in endlos scheinenden Runden auf der 400-Meter-Bahn. «In der Landschaft verliert man sich», erklärt er. «Auf der Bahn weiss ich genau, wie es meinen Rivalen geht – und wo die Verpflegung auf mich wartet.»

Seit einem Schlaganfall vor drei Jahren ist Shaul Ladany halbblind. Seinem Erinnerungsvermögen hat das keinen Abbruch getan. (Bilder: Jonas Opperskalski/ laif)

Ladany spricht, wie er Suppe löffelt. Zügig und hochkonzentriert. An diesem Nachmittag auf Englisch, dabei hätte er neben Hebräisch, Kroatisch, Serbisch oder Jiddisch auch fliessend Ungarisch im Repertoire – und ja, auch Deutsch. Dass er noch immer so leicht Worte wie Erinnerungen findet, mag an den vielen Trainingseinheiten liegen. Vielleicht aber auch daran, dass er in seinem Leben kaum einen «faden» Moment hatte. So drückt er es aus.

In den Sechzigern habe er einmal mit seiner Frau eine wissenschaftliche Konferenz in Deutschland besucht. Sie seien an einem Schild vorbeigekommen: «Gedenkstätte Bergen-Belsen» stand darauf. Damals habe es nur eine winzige Ausstellung gegeben. Aber ihm sei gleich ein Modell aufgefallen, in dem der Zaun falsch eingezeichnet war. Wie alt er damals gewesen sei, fragte die Direktorin der Gedenkstätte. «Acht Jahre? Wie wollen Sie sich da erinnern?» Schliesslich überprüften sie die Lage des Zauns anhand einer Luftaufnahme. Ladany hatte recht.

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Vielleicht war es die Pedanterie des Professors, die damals aus ihm sprach. Vielleicht die Fähigkeit, sich über nüchtern erfasste Details vom Erlebten zu distanzieren. Oder der dringende Wunsch, dass das Grauen zumindest korrekt erinnert wird.

«Es hat sich mir eingebrannt», sagt Ladany schlicht und beisst in ein Falafel-Sandwich. Die zwei Zäune um das innere Lager, ein normaler und ein elektrischer. Der scharfe Wind, wenn die Insassen endlos vor den Baracken zum Durchzählen stehen mussten. Die Spitznamen der SS-Wachen: Spaltlippe und Popeye. Das Frieren – und natürlich der Hunger. Ladany sagt, er sehe sie noch genau vor sich, die zarte Ranke zwischen den Zäunen, an der bald eine winzige grüne Tomate hing. «Meine Augen fielen fast raus.» Tag für Tag beobachtete er, wie sich die Frucht färbte, rot und reifer wurde. Später habe er dann in Memoiren anderer Häftlinge gelesen, dass er nicht der einzige war, der dieser Tomate sehnsuchtsvoll beim Wachsen zusah.

«Das Schlimmste war die Zeit im Kloster.» Shaul Ladany

Das Schlimmste sei für ihn jedoch nicht das KZ gewesen. Oder die Hilflosigkeit, als ungarische Polizisten im Ghetto von Budapest auf den Vater einprügelten und dieser sich nicht wehrte, weil er wusste, dass sie ihn dann auf der Stelle töten würden.

«Das Schlimmste war die Zeit im Kloster», sagt Ladany. Als die Nazis 1944 nach Ungarn kamen, versuchten ihn die Eltern bei Mönchen zu verstecken. Der Vater drehte seinen Mantel mit dem Judenstern auf links, und die Mönche fragten nicht. «Aber ich wusste genau, wenn jemand entdeckt, dass ich Jude bin …» Im Kloster blieb er nur zwei Wochen. Dann bombardierten die Alliierten Budapest, und die Eltern holten den Achtjährigen wieder zu sich. Doch allein mit dieser Furcht – das sei sein grösstes Trauma gewesen. «Danach spürte ich keine Angst mehr.»

Die Suppe ist inzwischen ausgelöffelt, die Falafel sind verspeist. Amal räumt die Teller ab, während Ladany hinüber ins Wohnzimmer geht. Noch immer erkennt man diesen für Laien seltsam wirkenden Gummigang des Gehers, der entsteht, wenn das Knie trotz Tempo bei jedem Schritt voll durchgestreckt wird, weil immer ein Fuss den Boden berühren muss. Eine Fortbewegungsart, die gleichzeitig eilig wirkt und doch unerträglich viel Geduld zu kosten scheint.

Im Wohnzimmer fällt die Sonne durch das Dachfenster auf kreisförmig aufgestellte Zimmerpflanzen. Im grüngoldenen Zwielicht steht eine Frauen-Plastik, die Ladanys Eltern nach dem Krieg aus Belgrad retten konnten. Sie gehörte seinen Grosseltern, die in Auschwitz vergast wurden. Auch der Wandschrank steht im Wohnzimmer, in dem sich 1942 während des Massakers von Novi Sad seine kleine Cousine versteckte. Und das Piano. Die Eltern hatten es in einem Klub in Belgrad wiederentdeckt und vor Gericht zurückgeklagt. Zu Ladanys Bedauern. Notenlesen sei eines der wenigen Dinge, die er absichtlich vergessen habe, sagt Ladany. Das Klavierspielen war ihm verhasst.

Fotos – selbst Historikern zu grausam

Alles bewahren, vor allem Dokumente, das habe er von den Eltern eingetrichtert bekommen. Immer wieder tastet er sich mühselig die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich sein Arbeitszimmer befindet. Es ist längst nicht mehr nur die eigene Geschichte, die er hier archiviert. In den engbepackten Regalen stecken Zeugnisse, die er selten hervorkramt, Hunderte von Briefen, Skizzen, Fotos, die sich kaum verkraften lassen, die selbst Historikern zu grausam erschienen, um sie in Büchern abzudrucken – eine der grössten privaten Sammlungen über das KZ Bergen-Belsen.

Aus einem von vielen Ordnern, die er an diesem Nachmittag – mit der Nase nah am Papier – durchblättern wird, nimmt er eine Liste mit einem Dutzend Namen. Sie wurde von der Jewish Agency in Jerusalem verfasst und empfahl einige Mitglieder der zionistischen Partei für die Rettung aus dem Budapester Ghetto, darunter seinen Vater.

Dass Ladany den Holocaust überlebte, lag nicht alleine daran, dass er Glück hatte. Vor allem sein Vater sei es gewesen, der die Familie durch die Kriegsjahre navigierte. So war es ihm gelungen, auf die Liste des Kasztner-Zugs zu kommen. Dieser sollte im Sommer 1944 1685 Juden entweder in die Schweiz oder nach Spanien bringen. Im Austausch gegen Geld, Gold und Diamanten.

Die Motive des jüdischen Anwalts Israel Kasztner bleiben bis heute umstritten. Es hiess auch, er habe mit den Nazis kollaboriert. Es steht fest, dass die 25 vollgestopften Viehwagons von Ungarn aus nicht in die Freiheit ratterten, sondern in Bergen-Belsen hielten. Zwar war das KZ kein Vernichtungslager, trotzdem kamen dort mindestens 70 000 Menschen um, darunter Anne Frank. Erst nach einem halben Jahr wurden die Verhandlungen zwischen SS und Kasztner wieder aufgenommen, und der Transport wurde endlich ausgelöst. Alle Ladanys überlebten.

Die wiedergeschenkte Kindheit

Wieder sassen sie im Zug. Dieses Mal als Menschen. «Es gab Leute in Uniform», sagt Ladany, «aber die brüllten nicht.» Stattdessen bekam jedes Kind ein Stückchen Schweizer Schokolade und einen Becher Kakao. «Ich erinnere noch den Geschmack, ich dachte, wir sind im Paradies.» Aber es sollte noch besser kommen: Von St. Gallen wurden die Geretteten in die Berge über Montreux gebracht. Dort thronte ein leerstehendes Luxushotel: das «Esplanade».

Ladany zieht nun eine ganze Postkartensammlung aus seinen Unterlagen. Zwischen all den Listen und Ausweisen, die über Leben und Tod entschieden, wirkt das Märchenschloss mit Aussicht auf den Genfersee wie ein Versehen. Ladany streicht über die Ansichtskarten und erklärt die Details darauf, ohne sie erkennen zu müssen. «Was für eine Schönheit!»

«Die Schweizer hatten Angst, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen.» Shaul Ladany

Zuvor hatte das Hotel abgeschossenen Piloten als Auffanglager gedient, jetzt zogen die ungarischen Juden ein. Nach ein paar Monaten im Palast-Hotel wurde der Neunjährige mit seiner älteren Schwester in ein Internat im Dorf Heiden über Rorschach geschickt. Dort durfte er sein eigenes Gemüsebeet bestellen. Er baute Tomaten an. Ladany nennt die Zeit in der Schweiz «seine wiedergeschenkte Kindheit».

Für die Eltern aber waren die Sorgen noch nicht vorbei. Das Palast-Hotel stand unter Militärkontrolle. «Die Schweizer hatten Angst, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen», sagt Ladany. Um sich trotzdem bewegen zu können, bewarb sich sein Vater bei der Uni in Basel als Chemie-Ingenieur. Die Zusage bekam er unter der Bedingung, sich einmal wöchentlich bei der Polizei zu melden. Dazu erhielt er die Erlaubnis, sich eine Schreibmaschine und ein «Réchaud» zu kaufen. Ein Gehalt bekam er für die Forschung nicht.

Als der Krieg zu Ende war, kehrten die Ladanys nach Belgrad zurück. Aber sie wurden nicht mehr glücklich in Europa. 1948, der Staat war gerade erst gegründet worden, wanderte der zwölfjährige Shaul mit seinen Eltern nach Israel aus.

Der König der Märsche

Der Anfang war hart. Israel befand sich im Aufbau. Mit dem Bus brauchte er zwei Stunden zum Gymnasium nach Tel Aviv, musste viel büffeln, um mitzukommen. Ladany sprach damals weder Hebräisch noch Englisch, hatte durch den Krieg in Europa fast drei Schuljahre verpasst. Zuhause hatte die Familie erstmal keinen Strom, musste Wasser von weither holen.

«Nun ja, das haben wir alles geändert», sagt Ladany und lacht das erste Mal. Israel gilt heute als Start-up-Nation und hat wortwörtlich die Wüste zum Blühen gebracht. Und Ladany hat all das miterlebt. Er hat alle Kriege mitgekämpft und jahrelang an der Universität von Beer Sheva Ingenieure ausgebildet.

Den Sport entdeckte er in der Armeezeit für sich. Lange Militärmärsche waren damals nicht nur Übungseinheiten, sondern wurden wie Wettkämpfe im Radio übertragen. «Mir gefiel die Aufmerksamkeit», sagt Ladany. Und er bekam jede Menge davon. Die Presse nannte ihn den «König der Märsche» oder den «Jerusalem-Ingenieur». Schliesslich nahm er an seinem ersten sportlichen Wettkampf teil und schlug den amtierenden Landesmeister um eine ganze Runde.

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Er schreibt es weniger körperlichem Talent zu als seiner Fähigkeit zu leiden. Schmerzen, Unbehagen, schwierige Situationen – so etwas müsse man erlebt haben, um im Sport erfolgreich zu sein. «Meine Motivation war, nie mehr zuzulassen, dass andere mein Leben kontrollieren.» In seinem selbstkuratierten Museum erzählt er die Geschichte nach seinem eigenen Geschmack: von der Gründung Israels bis zu dem Mann, der die Shoah nicht nur überlebte, sondern es im Wettkampf mit dem Rest der Welt aufnehmen konnte.

Die Wände sind schon voll, aber auf einem Tisch hat Ladany die Kataloge zur Ausstellung «Lebensläufe» ausgelegt. Sie wurde 2019 erstmals in Bergen-Belsen gezeigt und basiert auf Ladanys Sammlung an Erinnerungsstücken. Daneben liegt seine Biografie: Das Cover zeigt einen mageren Ladany mit wuchtiger Brille auf der Rennbahn, der mit verzerrtem Unterkiefer das Zielband durchreisst.

In München wollte er triumphieren

Das ikonische Foto stammt von seinem 50-Meilen-Weltrekord im April 1972, wenige Monate vor den Olympischen Spielen. Nachdem er bereits 1968 in den USA den Landesrekord über 50 Meilen gebrochen hatte und im selben Jahr bei den Olympischen Spielen in Mexiko auf Platz 24 landete – ohne Trainer wohlgemerkt –, sollte München 72 sein grosser Triumph werden.

Mit seinen 36 Jahren war er mit Abstand der Älteste unter den israelischen Sportlern und der einzige Shoah-Überlebende. Ladany wollte den Deutschen zeigen, dass ein Jude zu den Besten zählte. Und die Geburtsstadt der Nationalsozialisten schien das auch zu wollen. Bei der Planung sprach man von den «heiteren Olympischen Spielen». Nichts sollte an die Inszenierung von 1936 unter Hitler erinnern.

«Alles war bunt, fröhlich und friedlich», erinnert sich Ladany. Es sei viel getanzt worden. Auf seiner Trainingsjacke trug er einen Davidstern, und wenn man ihn zu seinem Deutsch gratulierte, sagte er, er habe es in Bergen-Belsen gelernt. Man kann sich vorstellen, wie er dabei besonders höflich lächelte.

Doch er ging das Rennen zu schnell an. Die ersten fünf Kilometer marschierte er ganz vorne mit, das konnte er nicht halten, und erreichte das Ziel schliesslich auf dem 19. Rang. Etwas enttäuscht beschloss er, den Rest des Spektakels zu geniessen. Am nächsten Abend besuchten die Israeli ein Theaterstück und kamen spät zurück ins olympische Dorf. Ladany sortierte in seinem Appartement bis 3 Uhr nachts Zeitungsartikel für seine Sammlung. Er schlief in der mittleren der drei israelischen Team-Wohnungen, bei den Sportschützen – und das war wohl sein Glück.

Ladany bekam nicht mit, dass sein Name auf der Liste der Überlebenden fehlte. Es wurden bereits Nachrufe auf ihn verfasst.

Die palästinensischen Terroristen erreichten das Dorf im Olympiapark gegen 4.30 Uhr. Mit AK-47 und Handgranaten bewaffnet. Sie schlichen sich in die Wohnungen rechts und links von Ladany und töteten zwei Olympioniken, die anderen nahmen sie als Geiseln. Anscheinend wussten sie, dass in der mittleren Wohnung zwei Sportschützen mit ihren Waffen untergebracht waren.

Ladany wurde von einem der Sportschützen geweckt und gewarnt. Schlaftrunken öffnete er die Wohnungstür und hörte, wie ein Mann im Trainingsanzug mit einer Sicherheitskraft diskutierte. «Die Juden sind auch nicht human», soll er gesagt haben. Mit den Mitbewohnern huschte Ladany schliesslich über die Terrasse ins Freie.

Beim Befreiungsversuch der Geiseln wurden neun weitere Israeli getötet. Ladany bekam nicht mit, dass sein Name auf der Liste der Überlebenden fehlte, die am nächsten Tag veröffentlicht wurde. Es wurden bereits Nachrufe auf ihn verfasst. Erst kurz vor der Heimreise traf er auf seinen Geher-Rivalen und Freund, den Schweizer Alfred Badel. Der brach in Tränen aus und umarmte ihn: «Wie einen vom Tode Auferstandenen», sagt Ladany.

Noch während der Wettkämpfe flog die israelische Mannschaft in die Heimat zurück, im Laderaum der Maschine elf Särge. Ladany war der einzige im Team, der gegen den Rückzug protestierte. «Ich wollte, dass wenigstens ein Israeli mit unserer Flagge an der Abschlussfeier teilnimmt!» Jetzt nicht mehr nur der Shoah zum Trotz.

Die meisten seiner Teamkollegen beendeten ihre Karriere. Ladany machte weiter. Nur wenige Wochen später flog er wieder Richtung Alpen. In Lugano fand die Weltmeisterschaft über 100 Kilometer Gehen statt. Er gewann.