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Autorin: Jana Avanzini
Freitag, 12. April 2024

Herr Beranek, vor 500 Jahren verbannten die Reformatoren alle Bilder aus ihren Kirchen. Sie inszenieren nun spektakuläre Lichtshows in genau diesen Räumlichkeiten. Ein Widerspruch?

Von Seiten der Verantwortlichen in den Kirchen sind uns diese Bedenken noch nie entgegengebracht worden. Aber wichtig ist für uns auch: Wir haben keinen religiösen Auftrag. Wir erzählen keine biblischen Geschichten und bebildern keine religiösen Themen. Wir erzählen von abstrakten Motiven. Selbst bei «Genesis I» ist die biblische Ursprungserzählung eher eine grundlegende Leitlinie. Es geht uns in der Kirche auch nicht darum, ein Spektakel zu erschaffen, sondern eine Einkehr auszulösen, eine Ruhe und Andacht.

«Genesis I» war die erste Show, die Sie für einen Kirchenraum konzipiert haben. Wie kam es dazu?

Als wir vor mittlerweile fast acht Jahren anfingen, eigene Projekte umzusetzen, lag unser Büro am Zürcher Helvetiaplatz, gleich neben der Offenen Kirche St. Jakob – ein sehr spannender, schöner Raum an zentralster Lage. Wir sprachen also mit der Pfarrerin und dem Pfarrer, die sofort begeistert waren. 2017 stand dann «Genesis 1». Danach waren wir uns einig, weiter nach Kirchenräumen Ausschau zu halten.

Roman Beranek studierte Interaction Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGKZ, heute ZHdK) in Zürich. Nach Stationen als Web-TV-Redaktor und Technikberater in Mexiko, Japan, Doha und Holland machte er sich 2008 als Lichtdesigner und Videoartist selbständig. 2009 wurde die Projektil GmbH gegründet, deren Creative Director und Geschäftsführer Beranek heute ist. vbu

Was gab den Ausschlag?

Einerseits die Architektur. Viereckige Räume zu bespielen ist meist wenig spannend. Unter hohen, geschwungenen Decken, mit Säulen und Bögen kann man sehr viel mehr herausholen. Zudem waren die Reaktionen des Publikums heftiger, als wir erwartet hatten. Die Leute waren emotional extrem berührt, obwohl wir die Show verhältnismässig ruhig gestaltet hatten. Uns war nach der ersten Show klar: Wir sind auf etwas gestossen, das wir unbedingt weiterverfolgen wollten. Mittlerweile entwickeln wir jedes Jahr eine neue Show spezifisch für Kirchenräume, mit der wir dann auf Tour gehen – dieses Jahr sind es zwanzig Städte. Inhaltlich steht die Show jeweils, technisch wird sie für die einzelnen Kirchen massgeschneidert.

Die Shows unterscheiden sich also nur sehr minim?

Das könnte man meinen, aber es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Kirchen in ihren Dimensionen und Atmosphären sind, das sind ganz eigene Qualitäten. In der kleinen, intimen Iglesia evangélica de habla alemana in Madrid beispielsweise fühlte es sich für mich an wie in einer gemütlichen Küche, wenn sich am Ende einer Home-Party alle dort versammeln. Die gigantische Kulturkirche Altona in Hamburg dagegen mit ihrer neugotischen Architektur und den riesigen Bögen macht etwas ganz anderes mit der Show. Oft sind es reformierte Kirchen, manchmal katholische, mit denen wir zusammenarbeiten.

«Genesis» bringt den Besuchern die Entstehung der Welt näher, hier in der Kulturkirche Altona in Hamburg. (Bild: zvg)

Was reizt Sie an den Lichtshows?

Mich interessierten die Schnittstellen von Technik, Kunst und Design schon während meines Studiums an der ZHdK. Als ich am Ende der Ausbildung auf ein Bild stiess, bei dem ein ganzes Haus durch Projektionen in etwas völlig anderes verwandelt worden war, war ich fasziniert. Ich machte die verantwortliche Firma Pani in Wien ausfindig, rief an, und kurze Zeit später sass ich im Zug nach Österreich. Ab 2007 lernte ich dort, wie das sogenannte Videomapping funktioniert.

Und wie funktioniert das Videomapping?

Die Technik war damals erst im Entstehen und funktionierte noch nicht digital. Wir fotografierten Gebäude ab, machten Raster, verzerrten und rechneten die Perspektiven auf. Dann erschufen wir mit Hochleistungsprojektoren neue Bilder auf den Wänden. Wir machten grosse Projekte in Mexiko, Japan, in den USA, arbeiteten mit vielen unterschiedlichen internationalen Kunstschaffenden zusammen. Als ich danach wieder in die Schweiz zurückkehrte und mich selbständig machte, war die Technik hier noch kaum bekannt. Zu Beginn rannte ich also alleine mit meinem Projektor herum und versuchte Kunden zu gewinnen. Damals waren es meist Projekte in Klubs – zum Nachtleben passt die Technik perfekt.

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Klubs und Kirchen — das sind zwei total konträre Orte. Der inhaltliche Fokus in sakralen Räumen muss bestimmt ein ganz anderer sein als in einem Klub?

Jein. Es geht bei der Auswahl der Räume ja erstmal um spannende Architektur, darum, Räume zu verwandeln und in anderem Licht zu zeigen. Dann ist unser Ziel, die Leute mit den Shows zu berühren. Und die Wirkung ist dabei oft eine meditative, eine Art Trance. Das ist im Klub dann eigentlich recht ähnlich wie in der Kirche.

Wo liegen denn die Unterschiede, die in Kirchen zum Tragen kommen?

In sakralen Räumen arbeiten wir mit viel ruhigeren Bildwechseln. Sonst sind die Shows oft rhythmischer, moderner, farbiger. In Kirchen muss man das Tempo rausnehmen, leuchtendere und andächtigere Stimmungen erschaffen. Aber auch das unterscheidet sich nach Region und Kirchenraum. In Süddeutschland zum Beispiel haben Kirchen einen höheren Stellenwert in der Bevölkerung als in anderen Regionen.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr Publikum bei den verschiedenen Formaten?

Nicht sehr. Wir beobachten, dass bei den Shows in Kirchen viele Leute kommen, die mit der Institution wenig Berührungspunkte haben. Trotzdem ist es natürlich so, dass wir uns in sakralen Räumen anders benehmen als in einer Veranstaltungshalle. Ruhiger, zurückhaltender, andächtig. Das kommt dann den Inhalten zugute. Gleichzeitig ist die erste Show am Abend oft die, in der auch Familien mit Kindern kommen. Da wird gehüpft, sich gedreht und erstaunt ausgerufen.

Was man in diesem Raum nicht unbedingt erwarten würde …

Da ist tatsächlich wenig davon spürbar, dass wir uns gerade in einer Kirche befinden. Grundsätzlich ist bei unseren Installationen aber klar deklariert, dass es sich um eine Kunst-Präsentation handelt. Da ist die Situation ähnlich wie bei einem klassischen oder Singer-Songwriter-Konzert. Es geht darum, den Kirchenraum als Begegnungsort und eindrückliche Bühne mit toller Architektur und Akustik zu nutzen.

Apropos Akustik: Wie wichtig ist bei Ihren Shows der musikalische Aspekt?

Extrem wichtig. Wir arbeiten deshalb nicht nur mit Profis zusammen, sondern auch in unserem Team von mittlerweile fünfzehn Personen ist ein Musiker angestellt. Besonders relevant sind das Zusammenspiel und die Synchronisation von Musik und Bild.

Projektil ist ein Kollektiv aus Künstlern und Technikspezialisten, die sich der digitalen und immersiven Kunst verschrieben haben. Mit verschiedenen Mitteln wie etwa Sounddesign, Animation oder Video inszenieren sie Lichtshows zu verschiedenen Themen. Das Format «Eonarium» nutzt dafür explizit historische Räumlichkeiten wie etwa Kirchen. In der Schweiz waren zuletzt «Infinity» in der Citykirche Offener St. Jakob in Zürich sowie «Pixel Zoo Ocean» in der reformierten Kirche Auf der Egg in Zürich Wollishofen zu sehen. Im Advent letzten Jahres verwandelte Projektil zudem das Landesmuseum im Rahmen des «Illuminarium». vbu

Gibt es etwas, das Sie bei der neusten Show «Infinity» anders machen?

Da das Thema Unendlichkeit äusserst spannend, aber auch sehr abstrakt ist, arbeiten wir erstmals mit einem Intro, in dem ein paar Aspekte des Themas angesprochen und aufgemacht werden. Zusätzlich gibt es ein Booklet mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung aus Mathematik, Theologie, Physik und Kosmologie. Und natürlich Informationen zur musikalischen Auseinandersetzung.

Also eigentlich fast ein Opernprogrammheft?

Ein gutes Pendant. Ich nehme auch in der Oper oft weniger die Geschichte als relevant wahr, sondern das grosse Ganze. Das Handwerk beziehungsweise die Technik ist extrem wichtig, genauso wie die Üppigkeit in der Show, der Ausstattung und der Gestaltung – und natürlich die Musik.

Der Fokus aber liegt auf einem eher abstrakten Thema?

Zu abstrakt darf es nicht bleiben. Wir haben früh erkannt, dass sich die Leute mit inhaltlichen Anhaltspunkten sehr viel besser auf abstrakte Installationen einlassen können. Denn solche Projektionen und Bilder sind schön und gut, aber schnell unbefriedigend. Oft bleiben die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Suche nach Inhalten hängen und grübeln während der Show der Aussage hinterher. Geniessen können sie die Show dann schwer. Wenn man sie aber zu Beginn mit dem Thema abholt, können sie das abhaken und entspannen. Sie können die folgenden Bilder zum Thema passend interpretieren. Auch wenn es nicht unbedingt das ist, was wir uns dabei ursprünglich gedacht haben.

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Lichtshows, aber auch ganze Lichtfestivals scheinen im Trend zu liegen. Ist das ein subjektiver Eindruck oder beobachten Sie das ebenfalls?

Es ist ein langsam wachsender Trend. Es existierten ja bereits 2008 riesige internationale Shows. Doch durch die Technik, die sich immer schneller entwickelt, gibt es mehr Möglichkeiten. Und es ist schon so, dass besonders in der kalten und dunklen Jahreszeit mit Lichtinstallationen immer mehr Publikum angezogen wird.

Ist das in der Branche spürbar — gibt es mehr Konkurrenz?

Es ist eher so, dass Firmen Konkurs anmelden oder sich wieder zurückziehen aus dem Geschäft. Denn natürlich kann man als Eventfirma eine Lichtshow aufziehen. Mit den Technologien, die sich spannend entwickeln, sind faszinierende Projektionen möglich. Für das eine Mal, vielleicht ein weiteres, funktioniert das. Dann jedoch braucht es mehr als bloss die Technik: Installationen und Shows, die Gefühle transportieren, Geschichte erzählen und die Menschen emotional abholen. Ähnlich wie beim Medium Film.

Inwiefern?

Man kennt die Erzählung von der ersten Vorführung des Kurzfilms «L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat» 1895, bei dem das Publikum vom auf der Leinwand auf sie zurasenden Zug in Angst und Schrecken versetzt worden sei. Die Technik alleine war noch so einmalig und beeindruckend. Heute begeistert ein im Film einfahrender Zug niemanden mehr. Was bei der Umsetzung stehenbleibt und sich nicht weiterentwickelt, verliert an Reiz. Am Ende braucht es Inhalte, die vermittelt werden – sei es Wissen oder seien es Emotionen.