Wer behauptet, er habe noch nie Rachegelüste verspürt, kann sich zu den Heiligen zählen. Jeder Sterbliche erfährt früher oder später, wie süss die sprichwörtliche Rache sein kann. Jemandem etwas heimzuzahlen, alte Rechnungen zu begleichen, bis man quitt ist, tut gut. Aber schnell spüren wir auch, welche höllischen Folgen Rache hat. Im Inneren folgt der ersten Genugtuung nur Leere. Was sich zunächst als wohltuender Ausgleich für erlittenes Unrecht anfühlt, erweist sich bald als die blosse Verlängerung der Gewaltspirale. Rache, das ist ein Durst, der, während er gestillt wird, noch durstiger macht.
Was haben wir nicht alles schon an Anstrengungen unternommen, um dieses archaische Gefühl in uns zu bändigen. Die oft und fast immer falsch zitierte Redewendung «Auge um Auge, Zahn um Zahn» erzählt von diesem Versuch. In der alttestamentarischen Welt sollte der Spruch ein neues Rechtsprinzip begründen, auf dass fortan zwischen Straftat und deren Ahndung eine gewisse Verhältnismässigkeit gewahrt werden sollte. Ein ausgeschlagenes Auge kostete von nun an nicht mehr den ganzen Kopf, sondern bloss ein Auge. Das war ein zivilisatorischer Fortschritt.
Wir glauben stets, dass der Grad unserer Hochkultur sich daran bemisst, wie wir solch niedrige Instinkte wie Rachegefühle gesellschaftlich im Griff haben. Doch jetzt scheinen die Furien entfesselter denn je. Ein Hisbollah-Führer im Libanon sagt: «Die Zeit der Rache ist gekommen.» Und Ehud Barak, der ehemalige Ministerpräsident Israels sagt: «Jetzt ist kein Augenblick der Versöhnung.»
Dazwischen stehen die Christenmenschen, denen Jesus in der Bergpredigt abverlangt, sie sollen auch die andere Wange hinhalten, wenn sie geschlagen werden. Eine solche Aussage wirkt unter Rachsüchtigen in ihrem Furor dieser Tage wie eine Botschaft von einem anderen Stern. Auch der Abt des Jerusalemer Klosters am Zionsberg, Nikodemus Schnabel, wirkt in diesem Konflikt wie ein Alien.
Er wehrt sich gegen die Dehumanisierung in der Sprache, die Menschen zu Tieren macht, um sie schlachten zu können. Und er ist sich gewiss, dass Rache nur durch Reue überwunden werden kann: «Was, wenn ein Täter irgendwann erkennt, was er getan hat, und sein Verbrechen bitterlich bereut? Dann wird auch ihm der Segen der Barmherzigkeit Gottes zuteil. Das ist die Voraussetzung für Versöhnung.»
Und er sagt: Bei Matthäus 7, 12 findet man die Zeile: «Also: Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um!» In der Thora liest man: «Was dir selbst verhasst ist, tue deinem Nächsten nicht an.» Und der Prophet Mohammed predigte: «Tue anderen nichts an, was dir, wenn es dir selbst angetan würde, Schmerz verursachen würde.» Drei wunderbare Elixiere gegen die Rache in diesen rachsüchtigen Zeiten.