Die evangelische Kirche hat die Hölle abgeschafft. Das ist schade, schreibt Sibylle Lewitscharoff, denn grausame Diktatoren sollten nicht ungeschoren davonkommen.
Wenn ich vom Tod einer mir persönlich bekannten Person erfahre, und sei dieses Gekannthaben auch reichlich entfernt, interessieren mich immer die Umstände – ob es sich um einen plötzlichen Tod gehandelt hat, um ein langes Leiden oder einen Selbstmord. Meine Neugier ähnelt dann derjenigen des berühmten schwedischen Botanikers Carl von Linné, der im 18. Jahrhundert lebte.
Der Gelehrte verzeichnete die verschiedenen, ihm zur Kenntnis gebrachten Todesarten von Bekannten, Berühmtheiten, Unbekannten und Nachbarn in einer Schrift namens «Nemesis Divina», um den Geheimnissen des Todes auf die Spur zu kommen. Die beschriebenen Blätter verwahrte er in einem Geheimfach, weil er die darin erkundeten Zusammenhänge für gefährlich hielt. Auch meine Neugier richtet sich auf das Wann, hauptsächlich aber auf das Wie des Gestorbenseins und dessen Verbindung zum geführten Leben.
Ich bin zwar nie so weit gegangen, ein Verzeichnis der Toten anzulegen, die ich persönlich gekannt habe, aber im Grunde bedaure ich, dass ich dies nicht bereits seit meinen schreibkundigen Kindertagen getan habe. Sehr, sehr schade, um nicht zu sagen – dumm von mir! Carl von Linné wollte mit seinen Aufzeichnungen ja nichts anderes, als Aufschluss darüber erhalten, wie die geführten Leben mit den dokumentierten Todesarten zusammenhingen.
Bei ihm ging es um die Art der Lebensführung und um Charaktereigenschaften der Verstorbenen, um eine Theologia experimentalis, die das vormalige Leben der Toten mit kurzen Sätzen umreisst, stark gewürzt mit einem Diesseits, das bereits Züge der Hölle trägt. So beschreibt er die bösen Folgen für diejenigen, die einem anderen Menschen in Todesnot nicht geholfen haben. Da hat es etwa in der Gemeinde Stenbrohult einen Mann gegeben, der sah, wie seine Frau auf dem Weg zum Gottesdienst ins Eis eines zugefrorenen Sees einbrach.
Er verharrte ungerührt am Ufer, weil er die ungeliebte Frau nur zu gern los wurde. Das aber sollte sich rächen, und genau das interessierte Carl von Linné: Wenige Jährchen später verfaulten die untätigen Finger des Mannes, sie begannen abzufallen, und er starb.
Ich gebe zu, vor vielen Jahren habe ich die eigenartige Todesartensammlung von Linnés mit Wonne verputzt. Auch wenn es unwahrscheinlich wirkt, vielleicht gibt es da eben doch Zusammenhänge zwischen Lebensführung und Sterbeweise. Etwa als das Reich der Nazis unterging, war das Ende im Führerbunker nicht gerade erhaben und nobel. In mir hat der Anblick der verkrümmten Brandreste des sogenannten Führerleibes keinerlei Mitleid erregt, ebenso wenig wie die Bilder der kopfunter aufgehängten Leiche Mussolinis.
Stalin und Mao Tse-tung fanden hingegen einen natürlichen Tod. Allerdings litt der alte Stalin, den seine Bediensteten und Getreuen auf leisen Sohlen ratlos umschlichen, vor seinem Tod an Paranoia – wenigstens eine klitzekleine Strafe für die Verfolgungen, denen Tausende von Menschen zum Opfer gefallen waren.
Ich finde, die Hölle wäre eine gerechte Bestrafung für die Untaten der Diktatoren der Welt. Aber die seifenselige Plüschtiertheologie der evangelischen Kirchen hat die Jenseitsstrafen samt und sonders abgeschafft. Gott vergibt inzwischen ja allen.