«Ich wusste sofort, dass ich meinen Traumjob gefunden habe. Ich bin immer noch sehr zufrieden, das Putzen und Fegen liegt mir einfach.» Tezcan K. reinigt die Strassen, oft singt er dazu. Seit dreissig Jahren arbeitet der gebürtige Türke für die Basler Stadtreinigung. Gedanken, die ihm beim Strassenfegen zugeflogen sind, hat er in einem auf Türkisch verfassten Büchlein als Aphorismen gesammelt. Daraus stammt folgendes Zitat: «Das Schönste, das die Menschen vereint, sind die gemeinsamen Träume.»
Tezcans Geschichte ist eines von insgesamt zehn Portraits, in denen die Journalistin Marianne Pletscher und der Fotograf Marc Bachmann in ihrem Buch «Wer putzt die Schweiz?» Einblick geben in die Arbeitswelten von Reinigungskräften. Dabei verweben sie Anstellungsverhältnisse mit Herkunftsgeschichten: Die Protagonistinnen erzählen nicht nur detailliert, wo und wie sie putzen, sondern schildern auch, was sie auf ihrer Flucht und im Alltag in der Schweiz erlebt haben.
Pletscher begleitet die Frauen und Männer sehr nahe: Sie beschreibt, wie sie mit den Porträtierten in Wohnungen oder Büroräumlichkeiten unterwegs ist, und nimmt die Leser so mitten hinein in die Szene. Die Autorin versteht sich nicht als Beobachterin im Hintergrund, sondern bringt sich selbst in den Alltag der Protagonisten ein. So erwähnt sie etwa, dass sie einige von ihnen bei beruflichen oder privaten Schwierigkeiten unterstützt. Oft ist von einem «Wir» die Rede. Die Gespräche drehen sich nicht nur um ökologische Putzmittel oder Verdienstmöglichkeiten.
Das Buch kann nicht mehr nur als journalistisches Werk verstanden werden, weil Pletscher von der Reporterrolle in eine anwaltschaftliche Teilnahme wechselt und Partei ergreift für die Menschen, denen sie begegnet. Sie sieht sich als Fürsprecherin einer Gruppe, die sich öffentlich kaum zu Wort meldet – wegen mangelnder Sprachkenntnisse und aus Angst vor negativen Reaktionen der Arbeitgeberinnen.
Pletscher macht deutlich, dass in der Branche teilweise prekäre Anstellungsbedingungen herrschen. Ein Portrait ist einer Sans-papiers-Reinigungskraft gewidmet, die Frau ist anonymisiert und eine von «Tausenden, die als Illegale die Schweiz sauber halten». Diese «unsichtbaren Geister» sichtbar zu machen war Pletschers Ziel, und das ist ihr gelungen. Zugute zu halten ist der Autorin, dass sich das Werk äusserst leicht liest, die Sprache ist nüchtern und einfach verständlich. Eine Ausnahme bildet der literarische Beitrag von Dragica Rajčić Holzner, einer bekannten Schriftstellerin, die in den 1970er Jahren im Kantonsspital St. Gallen als Putzfrau arbeitete.
Das Buch ist interessant für ein Publikum, das sich Gedanken darüber macht, wer und zu welchen Bedingungen das Büro oder das Bad reinigt. Die Leserinnen und Leser können die Portraits aussuchen, die sie am meisten bewegen. Womöglich wäre es reizvoll gewesen, auf ein oder zwei Portraits zu verzichten und dafür bei den Fakten noch mehr in die Tiefe zu gehen. Zwar schreibt die Autorin am Schluss über Arbeitsbedingungen und Löhne, der historische Abriss und vor allem auch das Glossar am Ende des Buches hätten aber umfangreicher ausfallen dürfen.
Den Schlusspunkt setzt Pletscher, indem sie noch einmal auf die Arbeitsbedingungen der Reinigungsfachkräfte aufmerksam macht: Heute verdienten schweizweit mehr als 200 000 Menschen ihren Lebensunterhalt mit Putzen, ihre Löhne seien in den letzten Jahren stetig gesunken, Arbeitslast und Zeitdruck dagegen ungleich gestiegen. «Wir alle können mitbestimmen, dass unsere Putzkräfte, die unser Land sauberhalten, unter fairen Bedingungen arbeiten», schreibt Pletscher. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Marianne Pletscher, Marc Bachmann (Fotografie): «Wer putzt die Schweiz? Migrationsgeschichten mit Stolz und Sprühwischer». Limmat-Verlag, Zürich 2022; 256 Seiten; 39.90 Franken.