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Wer nichts wagt, gewinnt

Ist ein guter Mensch einer, der nichts falsch macht? Unser Kolumnist stellt tiefschürfende Fragen.
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Autor: Lukas Linder
Illustration: Sören Kunz
Freitag, 11. August 2023

Nicht mal verreisen kann man, ohne dabei fotografiert zu werden. So ist es unlängst dem Schweizer Klimaaktivisten Max Voegtli ergangen, der auf dem Weg nach Mexiko von einem sogenannten «Blick»-Leserreporter entdeckt wurde. Dieser schrieb: «Ich flog heute von Zürich nach Paris. Und wen treffe ich da? Max Voegtli von Renovate.» Doch woher kannte der wachsame Leserreporter überhaupt den «Vollzeit-Aktivisten», der unter anderem bei der Blockade vom Gotthardtunnel beteiligt gewesen war? Dummerweise war Voegtli nur wenige Tage zuvor in der TV-Sendung «Talk Täglich» zu Gast gewesen, wo er über die Aktionen der Klimakleber gesprochen hatte.

Die empörten Reaktionen blieben erwartungs­gemäss nicht aus: «Echte Klimaaktivisten reisen nicht», schrieb ein User in den sozialen Netzwerken. Und natürlich wurde in den Kommentaren auch die beliebte Floskel vom «Wasser predigen und Wein trinken» bemüht, wobei man passend zur Reisedestination auch von Mezcal hätte sprechen können.

Wir kennen Max Voegtli nicht und können über die Gründe seines Handelns nicht urteilen. Aber natürlich kann Moral auch ein Fashion-Objekt sein, das Farbe in den grauen Alltag bringt und das Leben zeitgeistiger und bedeutsamer macht. Das Tomahawk-Steak vom Grill schmeckt noch einmal zarter, wenn dazu eine vegane Beilage gereicht wird. Moral ist oft einfach das, was ­einem selber schmeckt. Und das kann auch ein Trip nach Mexiko sein mit einer Strassenblockade als Vorspeise.

Max Voegtli wurde allerdings nicht nur für seinen Ab­stecher nach Mexiko kritisiert, sondern grundsätzlich für seinen umtriebigen Lebenswandel, zu dem auch der Besuch eines Formel-1-Rennens gehört. Die Reaktionen sind sinnbildlich dafür, dass wir es in unseren Breitengraden noch immer nicht geschafft haben, ein positives Konzept eines moralischen Lebenswandels zu entwickeln. Moral bedeutet für uns Verzicht. Je grösser der Verzicht, desto moralischer erscheint uns ein Leben. Wir denken dabei an Mutter Teresa oder Jesus Christus, deren asketische Erscheinungen den moralischen Verzicht auch körperlich manifestieren.

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