Kain erschlägt Abel, Medea tötet ihre Kinder aus Rache, Liz Taylors Hollywood-Ehen endeten gleich achtmal vor dem Scheidungsrichter – die meisten Geschichten sind erst zu Ende, wenn sie ihren schlimmstmöglichen Ausgang genommen haben, meinte einst Max Frisch zur Schriftstellerei. Das gleiche gilt im richtigen Leben. Böses Verhalten kommt in den besten Familien vor, wenngleich die alltäglichen Fiesheiten, mit denen wir Nachbarn, Arbeitskollegen oder Lebensgefährten traktieren, selten die Grösse griechischer Dramen erreichen. Weder christliche Feindesliebe, buddhistische Gleichmut noch der humanistische Appell an das Gute im Menschen vermögen der Feindschaft Herr zu werden – letztere triumphiert über Moral und Political Correctness.
Dem menschlichen Versagen, das Böse zu überwinden, trägt der Lebenskunstphilosoph Wilhelm Schmid nun Rechnung. Anstatt Zwietracht zu bekämpfen, schlägt er vor, diese fürs eigene Leben fruchtbar zu machen und eine Art Kunst der Feindschaft zu kultivieren: Wenn böse sein, dann bitte mit Stil. In fünf Kapiteln legt er der geneigten Leserin dar, wie gekonnte Bosheit geht. Ironisch, aber auch ein bisschen ernst gemeint vollzieht Schmid eine lebensphilosophische Rehabilitation der Boshaftigkeit.
Zunächst preist er deren Vorzüge: Feindschaft bindet. «Wir gegen sie» oder «ich gegen den Rest der Welt» – es geht nichts über richtige Feinde. Sie erlauben es, die dunklen Seiten des Selbst nach aussen zu projizieren, sie schaffen Klarheit, Sinn und Identität. Im Auge des Kontrahenten, so Schmid, gewinne das Selbst erst Konturen. Bedeutungslos hingegen, wer keine Rivalen hat – und einsam: Kein Freund intimer und treuer als ein richtiger Feind. Freunde kommen und gehen, Erzfeinde bleiben dauerhafte Begleiter.
Und es kommt noch dicker: Auch Liebe kommt ohne ihr Gegenteil nicht aus, denn nur wo Zuneigung rar ist, gewinnt sie an Wert. Ohne die Dynamik von Gut und Böse kein Lauf der Dinge – Feindschaft ist die anthropologische Konstante, die die Geschichte auf Trab hält, so Schmids Einsicht. Seine philosophischen Gewährsmänner sind dabei – wen erstaunt’s – Misanthrop Schopenhauer und Antimoralist Nietzsche; aber auch Hesiod, Kant und der Freiherr von Knigge wussten die Feindschaft zu schätzen.
Doch Niedertracht will gekonnt sein: Kapitälchen drei, das unterhaltsamste von allen, handelt «von den Freuden der Feindschaft» und schaut den Virtuosen der Bosheit über die Schulter. Sei es die meisterliche Arroganz eines Oscar Wilde, die bitterböse Brillanz eines Thomas Bernhard oder die abgründige Komik des Liedermachers Georg Kreisler: Zivilisierte Boshaftigkeit ist genial. Sie ist bewundernswert, sie entlarvt, sie ist kathartisch. Ein grosser Teil der kulturellen Produktion, so Schmid, entspringe gezähmtem Hass. Anstelle blinder und dumpfer Gewalt propagiert der Philosoph den kultivierten Umgang mit schlechten Neigungen. Denn letztere seien nun mal da, nur komme es darauf an, wie wir sie nutzen.
Mit seinem Plädoyer für gepflegte Fiesheit kommt Wilhelm Schmid, der sonst für ernst zu nehmende Lebensberatung auf gehobenem Niveau steht, erfrischend unterhaltsam daher. Das Miniaturbüchlein ist wunderbar illustriert und gespickt mit Anekdoten und Zitaten zynischer Meister. Wer aber dem Bösen seriös auf den Grund gehen möchte, dem sei eher zu Terry Eagletons Monografie über «Das Böse» geraten: Für zu leicht empfunden, wäre sonst das Urteil.
Schmids Büchlein bietet zu wenig Substanz für eine profunde Auseinandersetzung mit Feindseligkeit und Hass in Zeiten von Karikaturen und Gotteskriegern. Zu unbedarft geraten da persönliche Feindschaften und globale Konflikte durcheinander. Vom Nutzen der Feindschaft ist aber feine Lektüre für einen regnerischen Sonntag – oder als Geschenk für den liebsten Feind.
Wilhelm Schmid: Vom Nutzen der Feindschaft. Insel-Bücherei; 111 Seiten; 12 Franken.
Susanne Leuenberger ist Redaktorin bei bref.