Überschätzt – Unterschätzt

Ruhe

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Freitag, 17. März 2023

«Gott ruhte am siebten Tag von all seinem Werk aus, das er gemacht hatte.» So steht es in der Genesis. «Was macht denn Gott an seinem Ruhetag?» fragte mich kürzlich ein elfjähriger Junge, der diese Stelle in der Kinderbibel entdeckt hatte. «Chillt er etwa so wie wir? Schlafen geht ja wohl schlecht.» Auf meine erstaunte Nachfrage, warum denn das nicht gehe, ant­wortete der Junge ohne zu zögern, Gott müsse ständig über uns Menschen wachen und könne deshalb kein Auge zumachen. Selbst von meinem Einwand, dass die Schutzengel solange die Urlaubsvertretung übernehmen könnten, wollte er sich nicht überzeugen lassen. «Auf gar keinen Fall», sagte er. «So eine Auszeit wäre doch die grosse Chance des Teufels, alles wieder zu zerstören, was Gott in sechs Tagen aufgebaut hat.»

Gegen so viel Altersweisheit aus Kindermund muss man erst mal ankommen. Ich versuchte es so: «Gott muss sich nicht ausruhen. Die göttliche Kraft ist nämlich anders als unsere, unerschöpflich. Gott wollte uns mit diesem Ruhetag ein Geschenk machen. Er schenkte sich und uns eine Auszeit, in der wir ein bisschen Abstand gewinnen können von dem, was wir die Woche über so werkeln.» So ganz überzeugte ihn das noch nicht, also redete ich weiter. «Wir sollen den Ruhetag dazu nutzen, unsere Beziehung zu Gott zu überdenken, und uns vor Augen führen, wie wir die Woche über mit uns und anderen umgehen. Wenn es dieses Innehalten nicht gäbe, würden wir nur unermüdlich vor uns hin wühlen wie die Tiere.» Das leuchtete ihm schliesslich ein.

Indem Gott seinen abgeschlossenen Schöpfungsprozess mit einem Ruhe­moment versah, wollte er unserem Irrglauben ein Ende setzen, Menschen müssten pausenlos produktiv sein. Gott schuf keine Workaholics, sondern reflektierende Wesen. In einer Zeit völlig überzogener Leistungserwartungen gilt ein Leben inzwischen nur noch als gelungen, wenn jemand in seiner Arbeit völlig aufgeht. Vor diesem Missverständnis soll uns das dritte Gebot, «Du sollst den Feiertag heiligen», schützen.

Gott sah, dass sein Werk gut war, heisst es in der Genesis weiter. Das ist keine eitle Selbstgefälligkeit, sondern Ausdruck grenzenloser göttlicher Lebensbejahung. Wir haben Gott dafür zu danken, dass er die Ruhe an uns weitergab, wie Prometheus das Feuer. Es liegt an uns, daraus etwas zu machen. Himmlische Ruhe und ewigen Frieden im Geiste des Herrn zu finden ist das Ziel aller Christen. Damit steht die Ruhe am Anfang der Schöpfung und am Ende aller Tage. Vielleicht ist ­diese Zeit der Stille dann auch eine Zeit des Chillens. Zumindest für den Teufel – er hätte ausgedient.

  • Alles zu viel

    N° 2/2023

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