Der ehrliche Klappentext

«rosa loui. Hommage an Kurt Marti.» von Guy Krneta

Mit «rosa loui» zertrümmerte Kurt Marti einst die «bluemete Trögli»-Idylle berndeutscher Heimatdichtung. Guy Krneta vom Spoken-Word-Kollektiv «Bern ist überall» hat Martis Dialektgedichte feinsinnig vertont und weitergesponnen. Berner Mundart ist heute präsent wie nie: Die Hör-CD «hommage an kurt marti» zeigt diesen als Pionier dialektaler Sprachkunst. Eine schöne Begegnung mit Kurt Marti.
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Freitag, 29. Januar 2016

«Ich kenne kein berndeutsches Gedicht, in dem ein Auto oder ein Flugzeug vorkommt, geschweige denn der Traktor des heutigen Landwirts.» 1967 machte sich der Theologe, Pfarrer, politische Denker und Lyriker Kurt Marti daran, das Berndeutsche aus dem «Heimatschutzreservat der gesprochenen Mundart» zu befreien. Die Gedichtserie «rosa loui» war für den Schriftsteller, der bis zu diesem Zeitpunkt ausschliesslich hochdeutsche Gedichte verfasst hatte, ein Versuch, die «Möglichkeiten des Sagbaren» in dieser «schwerfälligen Sprache», wie er das Berndeutsche nannte, auszuloten. Für die Schweizer Literatur wurde sie zum Vermächtnis. Sie machte den Dialekt zu einem Idiom moderner Lyrik, mehr noch, zu einer «neuen Sprache», wie Weggefährte Peter Bichsel einst bemerkte: Martis ins Dadaistische neigenden Mundartgedichte bewegten sich am «Rande der Unverständlichkeit, sie verloren ihren Inhalt und wurden nur noch Sprache». Seine «hommage à rabelais» etwa spielt ebenso wunderbar mit den Worten wie mit ihrer Bedeutung: «d’schöni/vo de wüeschte wörter/isch e brunne/i dr wüeschti/vo de schöne wörter».

Kurt Martis dialektale Erkundungen blieben nicht singulär. Er und der lakonische Mundartpoet Ernst Eggimann wurden die Geburtshelfer des Berner Dialekts als der Sprache der deutschschweizer Dichtung schlechthin. Die zweiteilige Hör-CD «rosa loui» des Spoken-Word-Künstlers Guy Krneta eröffnet nun einen Dialog zwischen den Anfängen der modernen Berndeutsch-Lyrik und der gegenwärtigen Mundartszene der Bundeshauptstadt. Zusammen mit dem Gitarristen Ruedi Schmid und der eigens dazu gegründeten Musikkombo Louisen vertonte der Exilberner Krneta Martis Sprechkunst zu Klangcollagen zwischen Jazz und Rock.

Die Aufnahmen der ersten CD entstanden zu grossen Teilen im trockengelegten Berner Wellenbad Ka-We-De. Krneta und die Louisen folgen darauf den Spuren ihres Vorbildes – ganz wie die «nachfahre»; aus dessen Gedicht «verchehrsornig» fahren sie als «nachfahre/au we si vorfahre/de vorfahre nache». Und spinnen dabei die Sprachanordnungen Martis auch einmal weiter, etwa in den «rosa loui variazione», wo sich neben der Oberländer Rosenlaui-Gletscherschlucht auch der «blauseeblaublauseetiefseeblaupouseeblau» oder das «rothorn/ du rots horn/du rotzhorn/du zornrots horn» im Dada auflösen.

Auf CD 2 sind neben einem frühen Interview aus den 60er Jahren auch O-Töne von Marti von 1974 zu hören. In den ruhig und schlicht vorgetragenen Gedichten kommt neben dem Mundartlyriker Marti der politische Denker, Theologe und Gesellschaftskritiker Marti eindringlich zum Ausdruck. Etwa in seiner feinen Analyse des kleinbürgerlich-helvetischen Gärtlidenkens in «fänschter zue», dem letzten Gedicht auf dem Tonträger. Heute, wo Bern überall ist und kulturgeförderte Mundartartistik es bis in die Kinosäle schafft, kommt einem Marti umso radikaler vor. Er befreite einst den Dialekt aus der «heimatümeligen» Enge. Heute droht ihm das neuerliche Erstarren im Klischierten und Gefälligen.

Wie dem auch sei: Autos und Flugzeuge kommen mittlerweile zu Hauf in berndeutscher Poesie vor. Patent Ochsner besingt den Flughafen Belpmoos, Endo Anaconda den Transitort Wallisellen, und Züri West sinniert gar über Geri Gagarins Reise zum Mond. Apropos Verkehrsmittel: Der «hommage an kurt marti» zuhören kann man prima auf einer stündigen Zugfahrt, etwa von Bern nach Zürich, Basel oder Luzern. «0,05 Sekunde» und eine flüchtigzarte «Lippeschtiftnotiz» von Marti gehen einem ungemein näher als eine Gratiszeitung. Mit Marti und Krneta im Ohr, zieht einem das Mittelland am trüben Fenster vorbei: «Besser es rägni hüt/wones wüescht isch als/morn wennes schön wird.» Wie anders einem die Landschaft vorkommt. Als sähe man sie zum ersten Mal. Wunderbar.

Guy Krneta, Kurt Marti, Louisen: rosa loui. Hommage an Kurt Marti. Gesunder Menschenversand; 2 CD, 82 Minuten; 34 Franken.

Susanne Leuenberger ist Redaktorin bei bref.

  • N° 2/2016

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