Der ehrliche Klappentext

«Mr. Goebbels Jazz Band» von Demian Lienhard

Demian Lienhards Roman «Mr. Goebbels Jazz Band» ist eine Reflexion über das Verhältnis von Kunst zu Propaganda sowie, dem schweren Stoff zum Trotz, ein kurzweiliges und musikalisches Lesevergnügen.
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Freitag, 02. Februar 2024

Der Titel von Demian Lienhards Roman scheint ein komplettes Unding zu bezeichnen. Joseph Goebbels war in Nazideutschland für die Propaganda zuständig, und der Jazz als entfesselte (afro-)amerikanische Unterhaltungsmusik war dem Regime suspekt. Eine Jazzband von Goebbels Gnaden erscheint daher als eine unwahrscheinliche historische Fiktion. Doch es gab sie tatsächlich. «Charlie and His Orchestra» hiess die Bigband, die vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda geleitet wurde. Für das englischsprachige Rundfunkprogramm «Germany Calling», das per Kurzwelle antibritische Kriegspropaganda verbreitete, wurde die verfemte Musik gezielt eingesetzt.

Lienhards Roman speist sich aus Recherchen über das Propagandaradio der Nazis, das «Fernkampfgeschütz im ätherischen Krieg gegen England», und über die Musikproduktionen, die während der Kriegsjahre in Berlin entstanden. Die Swing-Hits der Zeit wurden neu arrangiert und mit manipulierten englischen Texten versehen. So wurde etwa das Stück «Goody, Goody» des US-Klarinettisten Benny Goodman mit einer Strophe ergänzt, die den britischen Premier «Winnie Churchill» als Verlierer, Träumer und Totengräber des Imperiums verunglimpft. Und die Romanze «Alone» des Songwriters Arthur Freed – der wie Goodman Jude war – wurde zum antisemitischen Hetzlied umgeschrieben.

Die historischen Fakten rund um diesen perfiden Betrieb packt Lienhard nun in eine Komödie, die dem 1987 geborenen Schweizer Schriftsteller eine Nomination für den Schweizer Buchpreis einbrachte. Möglich wird dies durch den Kniff, als Erzähler den ahnungslosen Schweizer Jungschriftsteller Fritz Mahler vorzuschieben, der von den Nazis beauftragt wird, Goebbels’ Jazzband in einem propagandistischen Roman zu verherrlichen. Als Schweizer sei er besonders geeignet, «denn gerade der Anstrich von Unparteilichkeit verleihe einem Urteil ja ein ganz besonderes Gewicht». Mahler fährt also von Zürich nach Berlin und stellt sich einer verzwickten Aufgabe. Sein Auftraggeber William Joyce, der britische Faschist und Sprecher von «Germany Calling», mahnt ihn zur Regimetreue. Doch Mahler verfällt dem Jazz und verbrüdert sich mit den Jazzmusikern, die ihn jedoch zunächst als Spion beargwöhnen.

Die Musiker von Goebbels’ Jazzband changieren zwischen den Zwängen ihrer Auftraggeber und den eigenen künstlerischen Ansprüchen. Unter ihnen sind einige der besten deutschen Jazzer der Zeit, etwa der Saxophonist Lutz Templin und der Schlagzeuger Fritz Brocksieper. Vormittags proben sie den Propagandajazz für die britischen Hörer, nachmittags Unterhaltungsmusik für die deutschen, und abends möchten sie in den Kneipen ihre wahren kreativen Impulse ausleben. Doch ausserhalb des Propagandaministeriums sind sie der Repression durch die Kontrollbehörden ausgesetzt. Als Juden und Ausländer von der Einberufung oder Deportation bedroht, spielen manche der Musiker in Goebbels’ Jazzband buchstäblich um ihr Leben.

Im Portrait der Jazz-Szene zwischen Anpassung und künstlerischer Haltung liegt die Stärke von Lienhards Roman. Der Klemme der Musiker entspricht die des Schriftstellers Mahler, der nach zwei Jahren Recherche realisiert, dass sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Der Roman in den Händen des Lesers besteht nun aus Mahlers Manuskriptfragmenten, als deren blosser Herausgeber Lienhard im Nachwort auftritt. Sie sind eine Reflexion über den schmalen Grat zwischen Fiktion und Manipulation und über Moral in der Kunst in Zeiten, in denen diese nicht billig zu haben ist. Stilistisch verpasst der Autor seinem Erzähler Mahler eine exaltierte, unreife Stimme und wäscht als «Herausgeber» seine Hände in Unschuld. Seine stilistischen Manierismen und Antiquiertheiten (etwa Aeroplan für Flugzeug) verlangen dem Lesepublikum einige Nachsicht ab. Belohnt wird es hingegen mit eigenständigen kreativen Versuchen, die musikalische Sprache des Jazz einzufangen, und mit einem tiefen Einblick in ein denkwürdiges Kapitel deutscher (Musik-)Geschichte.

Demian Lienhard: «Mr. Goebbels Jazz Band». Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2023; 320 Seiten; 33 Franken.

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